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Im Interview: Heinrich Glumpler (Teil 2)

Heinrich Glumpler von Heinrich Glumpler

Über Fette Autos – Entstehung und Strategien

Du hast den vermeintlichen Glücksanteil bei Fette Autos angesprochen. Da das Spiel mit Karten gesteuert wird, ist das Nachziehen ja schon eine Glückssache. Natürlich kann man mit den Handkarten etwas im voraus planen, aber die Änderung einer Karte am Anfang jeder Runde kann die ganze Planung zu Nichte machen. Auch wenn es eine Frage von Wahrscheinlichkeiten ist und man die komplette Streckenführung vorher kennt, also weiß, wann welche Karte vermutlich ausgetauscht wird. Ist Fette Autos wirklich so „taktisch“, wie du hier andeutest?
„Meiner Meinung nach liegt das Verhältnis Taktik/Glück bei 70/30 – auf der Packung steht zwar 80/20, aber das war nicht meine Idee. Es gibt zu diesem Thema bereits ein paar Mails, die ich vorwiegend mit Derek Carver und teilweise auch Mik Svellov geführt habe.
Es wird zu Recht angeführt, dass man keinen Einfluss auf die vierte Karte hat, die aufgedeckt wird. Entscheidend ist allerdings, dass der Spieler immer weiß, welche seiner drei offenen Karten ausgetauscht wird und dass er zum Teil sogar sagen kann, mit welcher Wahrscheinlichkeit das passiert. Wenn wir zum Beispiel ein Gefälle sehen, ist klar, dass die niedrigste von vier Karten abgelegt wird. Ein Spieler, der eine Zehn vor sich liegen hat, kann davon ausgehen, dass diese Karte ziemlich sicher ausgetauscht wird, während er eine eine 40 mit ziemlicher Sicherheit behalten wird. Wenn er seine Karten sogar so auslegt, dass er mehrere gleich niedrige Karten hat, kann er sogar wählen, welche er weg legt.
Auf diese Weise kann er zwei Effekte erzielen – er kann schlechte Karten los werden und so die Wahrscheinlichkeit steigern, dass er Chips bekommt. Zwei Chips bekommt man fast immer, vier Chips, wenn man aufpasst und sechs Chips sind zwar Glückssache, aber wenn man eine Karte sicher tauschen lässt immerhin mit 25 Prozent Eintrittswahrscheinlichkeit, da es nur vier verschiedene Kartentypen gibt – von den sechs verschiedenen Warnschildern tauchen zwei immer zusammen auf den Karten auf. Der zweite Effekt ist eine gesteuerte Beschleunigung oder ein Abbremsen. Wenn ein Spieler ausgeglichen fährt, haben die drei Steigung/Gefälle-Warnschilder kaum einen Effekt auf seinen Wagen. Spielt er allerdings gegen die Warnschilder (niedrig bei Gefälle, hoch bei Steigung), kann er sich zusätzliche Beschleunigung und Verzögerungen holen – zusätzlich zu seinem normalen Manöver, das immer anschließend kommt und dazu genutzt werden kann, ein ‚unglückliches‘ Aufdecken wieder auszugleichen. Bei den anderen drei Warnschildern hat man zwar keinen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, weil diese immer mit 5/6 ausgetauscht werden – aber man wird mit ihnen ziemlich sicher die falschen Warnschilder los.
Man kann etwa drei Streckenabschnitten voraus rechnen, mit etwas Mühe sogar mehr. Und es ist ziemlich viel Raum für Fehler – Anfänger legen typischerweise ihre ‚guten‘ Karten an eine Stelle, wo sie spätestens im übernächsten Abschnitt ausgetauscht werden. Ich erzähle auch ganz gerne, dass ich es in zwei von drei Testspielen geschafft habe, von ganz hinten an die erste Position zu fahren, wenn ich es drauf angelegt habe – und es waren keineswegs immer nur Anfänger dabei, sondern zum Teil schon erfahrene Spieler, die das Spiel mehrfach gespielt haben.
Andere taktische Möglichkeiten ergeben sich dadurch, dass man nicht – ein typischer Fehler – ständig am Limit fährt und versucht, so weit wie möglich nach vorne zu kommen, sondern auch einmal bewusst eine Pause einlegt, um die eigenen Karten zu optimieren. Schließlich und endlich kann man nur eine (!) Position verlieren pro Streckenabschnitt – aber durchaus mehrere gewinnen, wenn man es zum richtigen Zeitpunkt macht. Trotzdem lebt das Spiel eher vom Spaß, den man hat, wenn man es intuitiv spielt – und Fehler macht. Das erkennt man auch an den Kommentaren von Spielern, die wir auf unserer Web-Site gesammelt haben.
Oh – auf das Nachziehen bin ich nicht eingegangen – also auf die Karten, die man auf die Hand bekommt. Das ist richtig. Mit unserer Zusatzregel ‚Taktische Startaufstellung‘ kann man das aber relativ gut ausgleichen (leider nur als Download im Internet, weil wir sie bis zur Veröffentlichung nicht ausgiebig genug testen konnten) – sie sorgt dafür, dass derjenige, der ganz vorne startet, mit einem zufälligen Kartensatz beginnt, während alle anderen mindestens einmal beziehungsweise mehrmals ihre Karten tauschen können – wer ganz hinten startet, hat am häufigsten getauscht und somit die ‚besten‘ Karten – die Regel ist so austariert, dass sich der Vorteil etwa bis zum sechsten Streckenabschnitt auswirkt. Das ist allerdings nur eine Schätzung.“

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Wie bist du eigentlich auf die Idee zu diesem doch sehr eigenwilligen Autorenn-Spiel gekommen und woher nimmst du sonst deine Inspiration?
„Lustigerweise hatte ich gar nicht vor, ein Autorennspiel zu erfinden. Ich bin nur irgendwann auf die Idee gekommen, dass man ein typisches Arkade-Spiel, das wohl die meisten von uns kennen, eventuell auch als Brettspiel umsetzen könnte.
Die Idee bestand darin, Straßenabschnitte genau so auftauchen zu lassen, wie das im richtigen Leben auch ist. Alle Spieler müssen sich dann auf die jeweilige Situation einstellen und das Beste draus machen. Idealerweise sollte es eine Nachtfahrt auf einer kurvenreichen Strecke sein, damit die Reaktionszeit kurz und die Strecke interessant ist. Die Forderung nach Spielbarkeit machte dieser Grundidee schnell ein grausames Ende, da der Zufallsfaktor zu hoch war. Zudem stellte sich bei den frühen Tests schnell heraus, dass jemand, der über viele Abschnitte gut gefahren ist, am Ende dafür nicht belohnt wird, da die Chancen auf dem letzten Abschnitt wieder ziemlich gleich verteilt waren – wir brauchten so etwas wie eine ‚Batterie‘ für jeden einzelnen Spieler, in der wir die Qualität seiner Fahrweise ’speichern‘ konnten.
Durch die Idee mit den Chips und insbesondere den sehr spannenden Bietduellen wurden die Spiele schlagartig interessant. Nun gab es einen Mechanismus, um Chips zu verdienen, und dem Spieler blieb zudem auch überlassen, wann und wie er sein gewonnenes Kapital einsetzte – ein sehr wichtiges Element des Spiels. Es gibt eine Unzahl von Spielen, die mittels (teilweise komplizierten) Regeln eine Balance schaffen – wenn es gelingt, den Spielern die Kontrolle über diese Balance in die Hände zu legen, hat man es mit dem Spiele-Erfinden leichter und die Spieler auch mehr Spaß.
Was die Inspiration angeht: Ich liebe Themen, vor allem Abenteuer, Action, Deduktion, Schatzsuche, Raumfahrt – ich bin da vielseitig interessiert. Mit einem Thema fängt normalerweise alles an. Es entstehen Ideen, die dann in den harten Kampf mit den Spielmechanismen geschickt werden und das heißt: Das Spiel muss einfach sein. Es müssen Wege gesucht werden, wie komplexe Regeln durch zum Beispiel geeignet gestaltetes Material ersetzt werden. Die Spieler dürfen keine lange Auszeiten haben – sie müssen zumindest neugierig auf das sein, was die anderen machen, wenn sie gerade nicht am Zug sind (bei Fette Autos ist es schon sehr wichtig, zu beobachten, was vor allem der Vordermann so anstellt).
Zufall und Taktik im Gleichgewicht zu halten, ist das Schwierigste überhaupt. Wenn das Thema dann – meist recht zerzaust – wieder aus diesem Kampf zurückkehrt, wandert das Spiel in fast allen Fällen … in den Papierkorb (oder zumindest in die Schublade). Aber die Mechanismen bleiben und akkumulieren sich (ich habe noch einige sehr eigenwillige, aber sehr einfache Mechanismen auf Lager). Zur Zeit komme ich dem Spiel, dass ich entwickeln möchte, kaum näher – aber lustigerweise kann ich viele der Mechanismen, die ich aufspüre für ganz andere Spiele und Themen verwenden. Mit anderen Worten: ich wäre gerne ein ‚Geschichtenerzähler‘, aber mein Talent liegt offenbar auf der Seite des ‚Uhrmachers‘.“

Hinweis:
Hier geht es zum ersten Teil des Interviews.

 

Webseite von Heinrich Glumplers Verlag Edition Erlkönig

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