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Vorgestellt: Kris Burm (Interview, Teil II)

Kris Burm von Reich der Spiele

Über das Gipf-Projekt, komische Namen und das Spiele-Erfinden

Nachdem uns Kris Burm im ersten Teil des Interviews den Zusammenhang von Picasso und Go erklärt hat, widmen wir uns im zweiten Teil ganz anderen Fragen, zum Beispiel dem Gipf-Projekt.

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Kris, warum möchtest Du Gipf unbedingt als zentrales Spiel für ein ganzes Projekt sehen und nicht als einzelnes Spiel?
„Das ist eine alte Geschichte … Sie geht zurück in die zeit, als ich viel mit meinem Bruder spielte. Wie gesagt, konnten wir tagelang spielen. Dabei spielten wir nicht einfach ein Spiel nach dem anderen, sondern erschufen uns ein System, bei dem wir die Ergebnisse der Spiele im Auge behielten. Im Wohnzimmer gab es ein Teppich, dessen Muster wie eine Rennstrecke aussah. Jeder bekam fünf Spielsteine (Soldaten, Autos oder was auch immer), dann spielten wir ein Spiel, dessen Gewinner mit sechs Würfeln würfeln, um seine Steine zu bewegen. Dabei durfte das niedrigste Ergebnis ignoriert werden. Der Verlierer durfte nur mit fünf Würfeln würfeln. Dann spielten wir ein weiteres Spiel, dessen Gewinner wieder einen Würfelvorteil hatte – und so weiter. An Stelle einzelner Spiele traten wir zum Rennen auf dem Teppich an. Wir haben zwar immer noch die gleichen Spiele gespielt, aber sie waren Teil eines größeren Ganzen. Das fanden wir viel aufregender. Nachdem ich anfing, Spiele zu entwerfen, versuchte ich bald einen Mechanismus zu finden, der es ermöglichte, Spiele zu kombinieren. Es gab viele Fehlversuche, bis ich Gipf erfand. Die Regeln konnten in so viele verschiedene Richtungen entwickelt werden: zusätzliche Spielsteine, Funktionen, Ziele und anderes. Gipf erwies sich als der Mechanismus, den ich gesucht hatte. So begann das Projekt.“

Vor Gipf wurden zehn Deiner Spiele von anderen Verlagen veröffentlicht, warum hast Du Gipf in Eigenregie auf den Markt gebracht?
Gipf von Don & Co„Ich glaube, ich hatte keine andere Chance. Von Anfang an, testete ich Gipf mit Extra-Steinen, den Potenzialen. Ich hatte genug Erfahrung, um zu wissen, dass kein Verlag so ein komplexes Spiel veröffentlichen würde. Auch für Spieler wäre es schwer gewesen, gleich mit Potenzial-Steinen zu spielen. Deshalb stellte ich die Potenziale zunächst zurück, wollte sie aber später als Möglichkeit nutzen, Spiele miteinander zu kombinieren. Außerdem wusste ich, dass es schwer werden würde, einen Verlag für die Veröffentlichung eines abstrakten Spiels zu finden. Solche Spiele galten als kommerziell wertlos, so war es nur schwer vorstellbar, dass irgendjemand gleich eine Reihe von sechs abstrakten Spielen veröffentlichen würde, von denen ich gerade mal Gipf, ein paar Potenziale und ein Prototype von Tamsk fertig hatte. Das alles lies nur einen Weg zu, das Projekt zu starten: Ich musste es selbst veröffentlichen.“

Wie kam es dann zur Zusammenarbeit mit Schmidt Spiele, die doch recht früh in das Projekt eingestiegen sind?
Gipf wurde in Deutschland im Oktober ’97 auf der Messe in Essen vorgestellt und bekam eine sehr gute Resonanz. Aksel Kaldenhoven und Gabi Salomon boten mir dann freie Hand und die von mir gewünschte komplette Kontrolle an. Am Anfang glaubten sie wirklich an das Projekt Gipf, aber sie unterschätzten die Schwierigkeiten, die abstrakte Spiele mit sich bringen.“

Inzwischen wurde die Zusammenarbeit beendet und Du veröffentlichst wieder selbst. Zwei Spiele der Gipf-Reihe stehen noch aus. Weißt Du schon, welche das sein werden?
„Keine Ahnung. Ich hatte noch nicht eine Sekunde Zeit, mich um neue Spiele zu kümmern. Bürokram und ähnliches nimmt meine ganze Zeit in Anspruch – und ich hasse das. Ich hoffe, dass ich mit dem fünften Spiel nach Nürnberg 2002 beginnen kann.“

Wie kommst Du auf die Titel für Deine Spiele? Sie klingen sehr abstrakt?
Zertz von Don & Co„Klingen sie? Besonders in Deutschland überrascht es mich zu hören, dass die Namen abstrakt klingen. Ich habe mal eine Rezension über Zertz gelesen, die mit einem Kommentar zum Namen des Spiels begann. Der Titel der Besprechung war ‚Spielbrett schrumpft‘. Nun frage ich Dich: Was ist schwerer auszusprechen, Zertz oder schrumpft.“

Gut, aber wie kommst Du nun auf die Namen?
„Es sind die Erinnerungen an einen verzweifelten Versuch, Deutsch zu lernen. Ein Bergsteigerkollege versuchte mir auf einer Klettertour Deutsch beizubringen – natürlich mit Wörtern aus der Bergwelt. Unter anderem erklärte er mir, was ein Gipfel ist. Am nächsten Tag hatte ich alles vergessen, außer ‚Gipfel‘. Ich mochte das Wort wegen des kantigen Klangs. Ich verkürzte es zu ‚Gipf‘ und benutzte es für alles mögliche: Lass uns mal Pause machen und eine Gipf rauchen… So war es auch mit dem Spiel, das ich damals entwickelte. Ich nannte es auf die gleiche Art einfach ‚Gipf‘. Man könnte auch sagen, ich habe dem Spiel keinen Namen gegeben, es hatte bereits einen.“

Gibt es für die anderen Namen auch so eine Erklärung?
Tamsk von Don & Co„Nicht wirklich. Tamsk hat auch mit meiner Bergsteigervergangenheit zu tun. Ich war ein bisschen in Russland unterwegs. Ich mochte die osteuropäischen Städtenamen wie Omsk, Misnk, Gdansk und Brno schon immer. So einen Namen wollte ich auch meinen Spielen geben.“

Du benutzt sehr einfache Regeln, die Deine Spiele strategisch machen – und schwierig: ein kleiner Fehler und Dein Gegner gewinnt das Spiel. Wie kommst Du auf solche Regeln?
„Um ehrlich zu sein: Ich entwickle Spiele seit mehr als 15 Jahren und weiß immer noch nicht, wie ich mit der Arbeit an einem Spiel beginnen soll. Ich sitze an meinem Schreibtisch und warte – manchmal wochenlang … Das kommt der Beschreibung meiner Arbeitsweise am nächsten. Bevor ich keine Idee habe, kann ich nicht anfangen zu arbeiten. Am schwersten für mich ist es herauszufinden, wann eine Idee genug Substanz hat, um sie auszuarbeiten. Wenn die Idee unausgereift ist, wird es sehr schwer, etwas spielbares daraus zu entwickeln. Es ist wie beim Modellieren einer Skulptur. Hat man zu wenig Material, ist die Figur am Ende unvollständig.
Nach einer guten Idee übernimmt dann der Spieler in mir. Ich hatte ja bereits gesagt, dass der Autor die Idee bringt und der Spieler sie zu Ende denken muss. Das Problem ist, der Autor ist dominanter. Er arbeitet mit seinem Hirn. Er denkt, dass er ein Genie ist und seine Idee fantastisch. Wenn der Spieler dann mit dieser tollen Idee nichts anfangen kann, übernimmt der Autor wieder und denkt sich, der Spieler sei dumm. ‚Diese hoch innovative Idee! Komm, gib sie wieder her, ich beende sie für dich‘. Genau dann geht es schief. Der Autor wird das das Spiel so clever und brillant ausarbeiten, wie er nur kann. Dabei vergisst er aber, dass der Spieler nicht Cleverness und Brillanz sucht, sondern einfach eine schöne Zeit haben will.“

Um ein Spiel zu erfinden, muss es also eine Symbiose aus Autor und Spieler geben?
„Ja, das ist es. Der erste hat die Tendenz, zu geistig und konzeptionell zu denken, der zweite ist faul und will einfach nur Spaß haben. Es ist wie mit Vater und Sohn. Für mich ist ein Spiel fertig, wenn der Vater den Sohn bereit sieht, etwas Komplexeres zu spielen, ohne überzeugt werden zu müssen. Aber da spricht nur der Vater. Der Sohn wird immer seinen eigenen Willen haben. Am Ende fragt man sich immer: Ist dieses Spiel fertig oder nicht? Ist es gut genug oder nicht? Ein bisschen Erfahrung hilft zwar, aber die Frage bleibt.“

Gibt es eigentlich wenigstens ein nicht-abstraktes Spiel von Dir?
Dvonn von Don & Co„Über die Jahre sicherlich ein Dutzend, aber keins davon wurde veröffentlicht. Aber wenn ich weiter Spiele entwickle, habe ich vor, mehr an nicht-abstrakten Spielen zu arbeiten.“

Verdienst Du eigentlich Dein Geld mit der Entwicklung von Spielen? Was ist Dein Beruf?
„Das Gipf-Projekt bestimmt mein Leben, 24 Stunden am Tag, jede Woche, jeden Monat. Ich hatte nie vor, meine ganze Zeit mit Spielen beschäftigt zu sein, und sicher nicht, von ihnen besessen zu sein, aber nun ist es so. Ich tu, was ich kann, um mit Don & Co zu überleben.“

Don & Co ist Deine Firma, richtig?
„Ja, ich gründete sie vor sieben Jahren, um Gipf zu veröffentlichen. Ich finde es immer noch komisch, meine eigene Firma zu haben, und fühle mich nicht wohl dabei. Es ist eigentlich das Letzte, was ich jemals wollte. Ich bin Autor und kein Geschäftsmann.“

Würdest Du auch Spiele anderer Autoren auf Don & Co veröffentlichen?
„Einige würden niemals sagen, aber meine feste Antwort ist: sicherlich nicht! Ich habe Don & Co nicht gegründet, um Spiele, sondern um ein Projekt zu veröffentlichen. Für Dich ist es vielleicht das gleiche, aber für mich ist es ein großer Unterschied. Nach dem Bruch mit Schmidt Spiele war ich nahe dran, das Gipf-Projekt zu stoppen, weil ich eigentlich nicht wieder von vorne anfangen wollte. Andererseits war Dvonn fertig und ich wollte unbedingt, dass es Teil des Projekts wird. Ich hätte es niemals als vom Rest getrenntes Spiel veröffentlichen wollen. Wäre das Projekt gestorben, hätte ich Dvonn aber einer anderen Firma anbieten müssen.“

Was ließ dich weiter machen?
„Ich wollte ich das Projekt unbedingt vervollständigen. Es steckte schon so viel Arbeit drin. Ich war von der Qualität überzeugt und wollte nicht glauben, dass es kein Platz für Spiele wie Gipf und Dvonn auf dem Markt gibt. Ein anderer Grund sind die vielen E-Mails, die ich nach der Trennung von Schmidt Spiele aus der ganzen Welt bekommen hatte. Das hat mich sehr berührt. Für diese Spieler musste ich weiter machen. Letztlich war es aber auch genau die Trennung von Schmidt Spiele, die mich antrieb. Es hätte mich sehr traurig gemacht, wenn Schwierigkeiten das Ende des Projekts verursacht hätten. Deshalb wollte ich wenigstens ein weiteres Spiel veröffentlichen.“

Wie stehen die Chancen, glaubst Du, das Projekt vervollständigen zu können?
„Oh … Ich weiß es nicht. Es ist ein halbes Wunder, dass ich überhaupt so weit gekommen bin. Es steht auf Messers Schneide. Ich habe wirklich keine Ahnung, was als nächstes passieren wird. Zum Beispiel ist die Lage in Deutschland alles andere als klar. Schmidt Spiele hat die rechte an Zertz, Der Heidelberger Spielverlag ist Vertrieb für Dvonn und das Gipf-Set 2, Gipf und Tamsk werden zum Niedrigpreis verkauft … Das Projekt geht weiter, aber die meisten Leute wissen nicht einmal, wo und wie sie die Spiele bezahlen können. Ich glaube, ich brauche ein weiteres Jahr, um wieder eine überschaubare Lage zu bekommen. Ich hoffe, es wird dann nicht zu spät sein.“

Das klingt nicht gerade optimistisch …
„Wirklich? Da liegst Du falsch! Der Tag, an dem ich meinen Optimismus verliere, wird der Tag sein, an dem ich das Gipf-Projekt stoppe. Ich habe ja gerade ein paar der Probleme erklärt, aber ich bin auch bereit, ihnen gegenüber zu treten. Glaub mir, ich sitze immer noch fest im Sattel, und bin gut gerüstet.“

Hinweis:
Hier geht es zum ersten Teil des Interviews.

 

Webseite des Gipf-Projectes

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