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Britta Stöckmann über das Spiel Expedition Sumatra

Expedition Sumatra von Igramoon

Umgeklappte Wege zur Jagd exotischer Tiere

Britta, in Essen tritt der neue Verlag Igramoon mit dem Spiel Expedition Sumatra an. Welche Bedeutung hat der Verlagsname und wie kam es zur Gründung?
„Der Name geht auf unsere gemeinsame Vorliebe für Sprachen zurück, insbesondere west- und osteuropäische, und setzt sich aus einem russischen (‚igra’ = Spiel) und englischen Wort (‚moon’ als Symbol für den gemütlichen Teil des Tages, an dem man sich Ruhe zum Spielen nimmt). Zur Zeit unserer Namenssuche war Jens (Anmerkung der Redaktion: Jens Jahnke ist zweiter Kopf hinter dem Verlag) gerade intensiv mit seinem Russischstudium beschäftigt, weshalb sich ihm der Bestandteil ‚igra’ geradezu von selbst aufdrängte. Mich erinnerte dies sofort an Ygramul die Viele aus der Unendlichen Geschichte und so landeten wir schließlich bei Igramoon.
Durch ihren Biss ermöglicht es Ygramul dem Helden (und seinem späteren Gefährten dem Glücksdrachen) kraft seiner Gedanken an einen beliebigen Ort Phantasiens zu reisen, und das ist es ja eigentlich auch, was ein gutes Spiel leistet: Es gibt seinen Spielern den Anstoß, sich mit ihrer Vorstellungskraft auf eine (mehr oder weniger) abenteuerliche Phantasiereise zu begeben, oder etwas allgemeiner formuliert, Grenzen verschiedener Art zu überwinden (Alltag vs. Phantasie; Menschen verschiedenen Alters oder verschiedener Nationalität, die sich an den Spieltisch setzen; thematische Beschäftigung mit anderen Ländern oder exotischen Tieren usw.). Und einen gewissen Biss sollten Spiele schließlich auch haben (s. u.).
Der Sinn fürs Spielen war aber leider auch uns zunächst durch die Umstände des Erwachsenwerdens zu einem Teil abhanden gekommen, bis wir eines Tages einmal beiläufig darüber sprachen, dass wir beide früher an eigenen Spielideen herumgebastelt hätten, woraufhin wir den Spaß am Spielen wiederentdeckten und schließlich auch begannen, erneut über eigene Spielideen nachzudenken. Um diese gemäß den eigenen Vorstellungen umsetzen zu können, aber auch weil der Umgang mit Spielen schon eine Faszination für sich ist, fiel dann bald die Entscheidung, früher oder später selbst einen kleinen Spieleverlag betreiben zu wollen.

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Expedition Sumatra von Igramoon

Der Spieletitel klingt nach einem Spiel der Sorte „Abenteuer Dschungel“. Was ist Thema bei Expedition Sumatra?
„Von der Spielidee her geht es thematisch zunächst einmal prinzipiell um bedrohte Tierarten. Der Gedanke, vom Aussterben bedrohten Tierarten ein Spiel zu widmen, entsprang einer Reise nach Neuseeland. Als ich mich ein wenig mit der Geschichte des Landes beschäftigte, stieß ich darauf, dass die Maori bereits vor einigen Jahrhunderten alle Moa-Arten der Insel(n) durch Überjagung ausrotteten und damit auch gleich noch eine weitere Tierart, nämlich den Haastadler, der nur auf Neuseeland lebte und dessen Hauptnahrungsquelle eben der Moa war. Das Eintreffen der Europäer wurde dann vielen weiteren Tierarten zum Verhängnis. Und heutzutage ist es ein weltweit bedauerliches Phänomen, dass zahllose Tierarten vom Aussterben bedroht sind. Bei Expedition Sumatra geht es nun darum, ähnlich dem Arche-Noah-Prinzip, einige Vertreter von stark gefährdeten Tierarten aufzuspüren und einzufangen, um sie in Zoos („Zoos“ sind hier als spieltechnisch benutzter Oberbegriff zu verstehen, der auch Schutzreservate, Wiederaufzuchtstationen und dergleichen einschließen kann, was in der Spielregel zu erläutern jedoch etwas zu ausführlich und vielleicht auch zu ernüchternd wäre) in Sicherheit zu bringen. Doch warum gerade Sumatra? Es gibt dort eine Vielzahl von Tieren und Pflanzen, die nur da vorkommen, und die symbolisch von den im Spiel genannten Tierarten, die einer speziellen Sumatra-Unterart angehören, vertreten werden. Leider ist es derzeit so, dass Indonesien zu den weltweit führenden Ländern gehört, was die Abholzung des Regenwalds betrifft (auf Sumatra seit 1985 ca. 50 Prozent). Und leider gibt es auf Sumatra auch ein gravierendes Wildererproblem, dem der Staat nicht viel entgegen zu setzen hat und nur leichte Schadensbegrenzung betreiben kann. In diesem Sinne ist die ganze Insel – ihre exotische Schönheit und Einzigartigkeit unter dem Damoklesschwert der aktuellen Verhältnisse – ein Subthema des Spiels.“

Das Thema beinhaltet das Einfangen von Wildtieren und sogar das Verkaufen auf dem Schwarzmarkt. Ist das für ein Spiel nicht etwas zu sehr „gesellschaftlich und politisch unkorrekt“?
„Die gerade genannten Überlegungen findet man im Spiel allerdings nur impliziert. Denn das Spiel ist nicht als Weltverbesserspiel konzipiert, da uns erstens bewusst ist, dass man mit einem Brettspiel derartig komplexe Situationen nicht ändern kann (man kann maximal einen winzigen Beitrag in Form eines Gedankenanstoßes leisten), und zweitens, dass die Welt der Brettspiele ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten hat, in denen Spiele, die gutmenschliche Absichten verfolgen, ein Schattendasein führen, wenn sie überhaupt auf dem Markt existieren können. So ließe sich der Frage ‚Wie gesellschaftlich und politisch unkorrekt DARF ein Spiel sein?’ spielerisch die Frage gegenüberstellen ‚Wie gesellschaftlich und politisch unkorrekt MUSS ein Spiel sein?’, um auf dem Spielemarkt überleben zu können, bzw. um als Brettspiel reizvoll zu sein. Denn was wäre die Spielewelt ohne die Möglichkeit, seine Mitspieler rauszuwerfen, in den Bankrott zu treiben, sie manchmal gar zu ermorden oder die Niagarafälle hinunterstürzen zu lassen, Hühnern die Schwanzfedern auszureißen, Baumaterialien wegzuschnappen oder zu stehlen, Vampiren Knoblauch in ihre Ruhestätte zu legen, oder auch einfach mal die Welt zu erobern? Wer wollte schon ein Spiel spielen, in dem vor lauter Gerechtigkeit und Moral keinerlei Reibereien auftreten und am Ende alle die gleiche Anzahl Punkte bekämen? Es ähnelte wohl einem Roman, in dem auf jeder Seite Friede, Freude, Eierkuchen serviert wird, und den man schwerlich schafft, bis zum Ende durchzulesen. Es fehlte einfach der nötige Biss bzw. der Funke, der die Imagination und ggf. auch das Interesse an Dingen, die über den Roman oder das Spiel hinausgehen, entzünden könnte.
Der besondere Reiz bei Spielen (rein abstrakte Spiele und Lernspiele hier einmal außer Acht gelassen) liegt ja eigentlich darin, dass man sich in fiktive Welten begeben und dabei den schweren Themen des Alltags entfliehen kann. Und ein Mittel, den Unterschied zwischen grauer Wirklichkeit und fiktiver Welt hervorzuheben, besteht nun mal im Ausleben unkorrekter (z. B. Häschen mit einer Mohrrübe anzulocken und dann ins Loch fallen zu lassen oder als Pirat die Karibik unsicher zu machen) oder sogar unmöglicher Verhaltensweisen (z. B. als Kriegsherr die Geschichte neu zu schreiben oder Horden von Zombies niederzumetzeln). Andererseits dienen diese bewusst im Spiel herbeigeführten und in einer Art Zerrspiegel dargebotenen ‚gesellschaftlich und politisch unkorrekten’ Verhaltensweisen nicht selten gleichzeitig dazu, sie auch über das Spiel hinaus zu überdenken. Dies geschieht oft auf humorvolle und parodistische Weise (z. B. bei der Darstellung eines Unternehmens, bei dem Ränke- und Machtspiele an der Tagesordnung sind), aber es kann natürlich auch etwas schlichter lediglich im Mechanismus angedeutet sein. Somit kann man hinter dem offensichtlichen Spaßfaktor gesellschaftlich oder politisch unkorrekten Verhaltens im Spiel ebenso einen gewissen Lernfaktor finden, also einen positiven Nutzen; ähnlich dem Biss Ygramuls, der den Held auf den ersten Blick gefährdet, ihm jedoch entschieden hilft, bei seinem Abenteuer voranzukommen. Dies mag sich manchmal zwar nicht immer auf den ersten Blick erschließen lassen – aber genau das ist auch gut so.
Bei Expedition Sumatra haben wir versucht, dem Genannten Folge zu leisten. In erster Linie soll es ein Spiel sein, das Spaß bringt und durch eine gewisse Interaktion der Spieler untereinander (z. B. blocken, wegschnappen etc.) und mit dem Spiel (z. B. Eingeborener oder Sturm) auch spannend ist. Im Fokus steht jedoch nicht so sehr, dass man Tiere von der Insel wegbringt, als vielmehr logistische Herausforderungen zu meistern, Aufträge zu erfüllen und die verborgene Seite des Dschungels zu entdecken. Die zugrunde liegende Realität soll dabei nicht mehr als angedeutet werden.
Deshalb eröffnet Expedition Sumatra einen Blick in eine (fiktive) unberührte Dschungelwelt, in der es keine zerstörte Natur, keine Industriegebiete und kaum Menschen gibt. Auch den Tieren wird nichts zuleide getan; es fließt kein Blut; und um die gefangenen Tiere nicht zu stressen, dürfen sie nicht einmal in den Laderäumen umpositioniert werden. Um dabei dennoch genug Spannung im Spiel zu haben, wurde der mittlere Laderaum zum Schwarzmarkt deklariert: In ihm ist die Gefahr am höchsten, die gefangenen Tiere wieder zu verlieren; gleichzeitig bietet er den Tieren spieltechnisch die Möglichkeit, in den Dschungel zurückzukehren. Symbolisch deutet er dabei einerseits auf das reale Problem des Schwarzmarkts hin (und ist natürlich nicht als Aufforderung zu verstehen, sich im wirklichen Leben am illegalen Tierhandel zu beteiligen), andererseits auf die menschliche moralische Unvollkommenheit, die mit uns allen ihr Spiel treibt, und mit der wir uns wiederum selbst gerne spielerisch auseinandersetzen. Deshalb enthalten wir uns bei Expedition Sumatra auch jeglichen Werturteils, und es bleibt allein der Phantasie und Individualität der Spielerinnen und Spieler vorbehalten, ob sie  als Wildhüter oder Trophäenjäger den Urwald durchstreifen, und ob sie ihren Mitspielern Schonzeit gewähren oder mit ihnen vielmehr wie mit Freiwild umgehen.“

Expedition Sumatra von Igramoon

Kannst du uns bitte sagen, mit welchen Hauptmechanismen ihr das Spiel umsetzt? Was macht deiner Meinung nach den Spielspaß aus?
„Das zentrale Element ist ein Klappmechanismus, der es erlaubt die Dschungelplättchen beidseitig und teilweise multifunktional zu verwenden. Die Oberseite ist auf allen Plättchen gleich, während die Unterseite variiert. Durch das Umklappen der Plättchen entdeckt man symbolisch den Dschungel, spieltechnisch baut man damit Wege, stöbert Tiere auf, trifft auf Eingeborene, gerät in Unwetter etc. Gefangene Tiere werden aufs eigene Schiff verladen, wozu man mit den Dschungelplättchen aber erst die entsprechenden Wege bauen muss. Der Haken an der Sache ist jedoch, dass sich das Schiff ständig bewegt, und man deshalb gehalten ist, die Wege immer neu auf den (zu erwartenden) Liegeplatz des Schiffes auszurichten. Auf die Zugweite des Schiffes kann man wiederum mit der Positionierung eines der LKW Einfluss nehmen. Die zwei LKW, mit denen man herumfährt, haben verschiedene Lademöglichkeiten.
Spaß macht vom Mechanismus her zum einen das Überraschungsmoment, was wohl beim Umklappen der Plättchen zum Vorschein kommt (bzw. wenn man nach Spielende die Plättchen umdreht, zu sehen, was man alles nicht gefunden hat). Zum anderen ist es eine interessante Herausforderung, wie man die diversen taktischen Komponenten des Spiels angesichts einer nur teilweise prognostizierbaren Situation am besten nutzt, um am Ende die wertvollste Ladung zu besitzen. Eine kleine Prise Nervenkitzel wird durch den Eingeborenen eingestreut, da man bei seinem Auftauchen unverhofft schnell wieder kostbare Tiere verlieren kann.“

Kannst du Spielern vielleicht einen Tipp für ihre erste Partie geben, damit sie im Spiel möglichst erfolgreich sind?
„Die eine richtige Strategie habe ich bei Expedition Sumatra noch nicht ausmachen können. Prinzipiell ist es schon mal gut, das Schiff entsprechend den jeweiligen Jagd- und Wegebedingungen schneller oder langsamer fahren zu lassen, oder darauf zu achten, dass man den Mitspielern am Ende seines Zuges keine Vorlagen gibt, zum Beispiel indem man kostbare Tiere aufdeckt oder ihnen gute Verbindungen baut. Hilfreich ist unter Umständen, zwei Tiere auf einmal zu verladen. Es gab auch Fälle, in denen das Bestehlen von Mitspielern einen entscheidenden Teil zum Erfolg beigetragen hat.  Aber da muss man sich natürlich wieder selbst fragen, wie ‚böse’ man sein möchte.

An wen richtet sich das Spiel? Welche Spielergruppen werden den meisten Spaß mit Expedition Sumatra haben?
„Von Thema und Schwierigkeitsgrad her lässt es sich wohl am ehesten dem Typus Familienspiel zuordnen. In den Testrunden haben wir die Erfahrung gemacht, dass sowohl Gelegenheitsspieler im Familienkreis gut mit dem Spiel zurecht kamen (wenn auch die taktischen Möglichkeiten nicht immer voll ausgeschöpft wurden), als auch Vielspieler auf ihre Kosten gekommen sind, die sich u.a. gerne mal auf ‚kürzere’ Spiele einlassen, auch wenn sie hier vielleicht nicht bis an die Grenzen ihres strategischen Könnens gehen mussten. Um hier noch mehr Möglichkeiten zu bieten, werden wir für Interessierte auf unserer Website bald einige Erweiterungen bereitstellen, die zwar schon ins Spielmaterial integriert worden sind, mit denen wir aber die Regelleser nicht übermäßig in Anspruch nehmen wollten. Wir planen, die kleinen Erweiterungsmodule nach der Messe in Essen in Bild und Text aufzubereiten und sie dann sukzessive zu veröffentlichen.“

Werdet ihr ausreichend Exemplare in Essen von Expedition Sumatra dabei haben, oder empfiehlt es sich, für Interessierte das Spiel vorzubestellen?
„Wir werden einige hundert Spiele mit auf die Messe nehmen, können aber derzeit selbst noch nicht einschätzen, wie lange dieser Vorrat reichen wird. Interessierte können natürlich gerne vorbestellen. Es reicht eine einfache Mitteilung per Mail. Vorbestellern, die sich bis spätestens dem 18. Oktober 2010 melden, werden wir 1,- Euro Preisnachlass gewähren, wenn sie das Stichwort ‚Reich der Spiele’ in der Mail angeben.“

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