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Die Jury „Spiel des Jahres“ schlägt einen falschen Weg ein

Uli Blennemann von Reich der Spiele

„Aber auch Spieler, die einen einfacheren Einstieg ohne lange Regellektüre wünschen, haben 2007 eine umfangreiche Auswahl. … Dies ist auch deshalb wichtig, weil die Bereitschaft zum Lesen der Regeln immer weiter abnimmt. Zudem haben Verbraucher immer häufiger Probleme, Regeltexte in einen runden Spielablauf umzusetzen. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, einfache, aber spannende Spielangebote zu machen, die Interesse für mehr erzeugen.“

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Dieser Kommentar des Sprechers der Jury „Spiel des Jahres“, Stefan Duksch, anlässlich der Veröffentlichung der Nominierungsliste 2007 hat mich sehr irritiert. Die Kriterien für die Vergabe des Hauptpreises sind noch nachvollziehbar: „Die im Rahmen des Kritikerpreises ‚Spiel des Jahres’ verliehenen Auszeichnungen sollen das Kulturgut Spiel fördern, den Gedanken des Spielens im Familien- und Freundeskreis beleben und eine Orientierungshilfe im großen Spieleangebot geben“, heißt es auf der Webseite der Jury. Neben Nominierten und Spielen auf der Empfehlungsliste steht im Mittelpunkt „der Hauptpreis ‚Spiel des Jahres’, für den alljährlich Spiele von besonderer Qualität nominiert werden.“ [Hervorhebung durch den Autor] Beurteilungskriterien sind Spielidee, Regelgestaltung, Layout und Design.

In diesem Zusammenhang ist der Kommentar von Stefan Duksch nicht nachvollziehbar. Unzweifelhaft ist es so, dass viele Menschen Probleme haben, selbst einfache Texte zu lesen und zu verstehen. Für sie ist bei einem Text der Marke Bild-Zeitung Endstation. Diese Klientel wird aber niemals ins (Brett-) Spielregal greifen, egal ob ein Spiel zwei, vier, sechs oder 24 Seiten Regeln aufweist. Warum soll ein Spiel nun aber einfache Regeln aufweisen? Nun, um möglichst viele Menschen an den Spieltisch zu bekommen. Dies ist sicherlich ein hehres Ziel, aber ist es auch eine realistische Zielsetzung?

Ich denke: nein. Spielen, da es aktives Handeln voraussetzt, wird niemals die Masse der Bevölkerung erreichen können. Die Konkurrenz zu anderen Freizeitangeboten, das immer noch anzutreffende Vorurteil, Spielen sei etwas für Kinder, und die Notwendigkeit, bei Karten- und Brettspielen gleichzeitig mehrere Personen am selben Ort zu versammeln, macht dies unmöglich. Wer jedoch wirklich Interesse hat am Spielen, wird sich mit der Materie auseinandersetzen, ob die Regeln nun zwei oder acht Seiten umfassen. In meinen Augen unterschätzt die Jury Spiel des Jahres, alles Vielspieler, trotz der „Leseunlust“ vieler Zeitgenossen, die Bereitschaft von tatsächlich Interessierten, die Regeln eines Familienspiels zu erfassen. Auf den Punkt gebracht: Wenn jemand Interesse an Etwas hat, wird er auch die Spielanleitung lesen; die Anderen werden sich auch durch einfache Ausführungen nicht locken lassen.

Machen wir uns zudem nichts vor: Die überwältigende Mehrzahl der „Spiel-des-Jahres“-Exemplare, in der Vorweihnachtszeit preiswert eingekauft („Ich brauche ja ein Geschenk!“), wandert ungespielt in die Schränke und Regale der Beschenkten, um dort zu verstauben. Wem dient dann aber die Auszeichnung? In allererster Linie dem Handel. Spiele mit dem Jury-Label werden blind gekauft. Für den Handel ist es wichtig, dass diese Spiele preiswert sind und zumindest auf der Schachtel einen einfachen Zugang und eine kurze Spieldauer suggerieren, um in großer Stückanzahl von „den Omas für ihre Enkel“ gekauft zu werden. Selbstverständlich hilft die Auszeichnung natürlich den Verlagen und Preis-Gewinnern. Wer bei der Auszeichnung „Spiel des Jahres“ nicht gewinnt, sind die Spieler, die eigentliche Kernzielgruppe, die außen vor gelassen wird. Hier denke ich gar nicht an die in der Tat kleine Schar der so genannten Vielspieler, sondern an die Gruppe der engagierten Familienspieler.

Der deutsche Kritikerpreis „Spiel des Jahres“ ist die unbestreitbar international bedeutsamste Auszeichnung für Brett- und Kartenspiele. Im Unterschied zu vielen anderen Preisen hat sie unzweifelhaft Gewicht. Aber weder im Journalismus noch im Buchhandel wird das Faktum, dass „die Bereitschaft zum Lesen immer weiter abnimmt“ so gedeutet, dass anspruchsvolle Produkte (damit ist nichts, aber auch gar nichts zur Qualität der nominierten Spiele gesagt!) verschwinden oder nicht mehr ausgezeichnet werden. Hier gibt es eine breite Streuung, hier gibt es neben Boulevard-Zeitungen noch die gut gemachten Blätter für anspruchsvolle Leserschaft, neben dem historischen Massenroman wortgewaltige und stilistisch niveauvolle Belletristik. Niemand würde jedoch auf die Idee kommen, gut gemachten und anspruchvollen Artikeln und schwerer zugänglicher Literatur Preise vorzuenthalten. Im Gegenteil – hier richtet man sich bewusst nicht nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner!

Spielen muss als Kulturgut verankert werden (auch wenn es nicht die gleiche Strahlkraft hat wie ein Buch) – dies geht jedoch nicht mit der selbst auferlegten Einschränkung der Jury. Diese Einschränkung passt zudem nicht zu den eigenen Beurteilungskriterien. Für mich sind andere Ansätze notwendig, um Spielen populärer zu machen, auch wenn man nur einen relativ kleinen Prozentsatz der Bevölkerung ansprechen wird: Wesentlich mehr Spiele-Events mit Mentoren und Tutoren, VHS-Kurse zum Spielen und nicht zuletzt eine stärkere und kompetentere Präsenz in den Medien (Tageszeitungen, Fernsehen, Fachmagazin). Also, nicht die Spiele für die uninteressierte Masse gerecht machen, sondern die möglicherweise interessierten Menschen näher zu den Spielen bringen.

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