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Stefan Risthaus über sein Spiel Tallinn

Spieleschachtel Tallinn - Foto von Ostia Spiele

Ausbalancierter Türmebau

blankStefan, zur Spielemesse in Essen 2016 wird Dein Spiel Tallinn im Kleinverlag OSTIA Spiele veröffentlicht, der Deiner Frau Heike und Malte Meinecke gehört. Es ist ein Spiel, das die baltische Stadt in den Mittelpunkt stellt. Wie kam es zu diesem Thema?
„Es spielt sich leicht und schnell, ohne trivial zu sein, und passt deshalb ganz gut zu Visby. Deshalb haben wir eine Art kleine Reihe mit Spielen zu Städten der Hansezeit gestartet. Außerdem hat mich die Stadt letztes Jahr bei unserem Besuch fasziniert. Die beeindruckende Stadtmauer, die Klöster, der Domberg und die Gildenhäuser sind für mich als Spiele-Autor sehr inspirierend gewesen, auch wenn das Spiel zugegebenermaßen nicht so sehr vom Thema durchdrungen ist.“

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Das Setting spielt im Mittelalter. Es geht um Türme, Ritter und Kaufleute. Ein typisches Spielethema. Worum geht es inhaltlich genau?
„Das Ziel ist das meiste Ansehen, also (wieder einmal) Siegpunkte. Dazu spielt man Runde für Runde eine weitere Karte in seine Auslage und mehrt so seinen Einfluss bei den auf der Karte abgebildeten Kaufleuten, Rittern und Mönchen.
Um Siegpunkte während des Spiels zu erhalten, muss man gezielt eine Wertung der Ritter, Kaufleute oder Mönche auslösen. Dann bekommt man Punkte für jeden Spieler mit weniger Personen des entsprechenden Standes. Außerdem kann man nach einer Wertung eine Karte auf die Rückseite (Turm) drehen.
Am Spielende gibt es zusätzlich eine automatische Wertung aller drei Stände mit doppelter Punktzahl und eine dreifache Wertung des jeweils stärksten Standes innerhalb der Türme.“

Mit welchen Mechanismen setzt du das Thema in Tallinn um? Welche sind deiner Meinung nach das gewisse Etwas?
„Eine Besonderheit sind die zweigeteilten Karten. Jeder hat einen identischen Satz von zehn Karten und spielt alle nacheinander aus, allerdings kann immer nur eine der beiden Hälften genutzt werden, während die andere verdeckt wird. Wenn ich die Karte mit den drei Kaufleuten und den drei Rittern ausspielen will, muss ich also entscheiden, welchen Stand ich beeinflussen will. Wenn ich mich für die Ritter entscheide, verzichte ich auf die drei Kaufleute für den Rest des Spiels.
Da die Karten gleichzeitig ausgesucht und ausgespielt werden, entsteht keine Downtime und das Spiel läuft schnell. Alle sind immer am Spiel beteiligt und müssen sich orientieren, wer bei welchem Stand einen hohen oder geringen Einfluss hat. Außerdem muss man antizipieren, was die anderen machen könnten. Wenn ich eine Wertung für meine Ritter auslösen möchte, muss ich eine Wertungskarte spielen, die selbst nur einen Ritter zeigt. Spielt ein anderer Spieler in derselben Runde seine Dreier-Ritter-Karte, kann es sein, dass ich ihn gar nicht mehr übertreffe und weniger Punkte erhalte, als ich erwartet hatte.
Die Herausforderung liegt in der Balance zwischen permanentem Ausbauen der eigenen Auslage und der Notwendigkeit, durch Wertungen während des Spiels und den Bau von Türmen für die Schlusswertung die Auslage zu schwächen. Eigentlich ist es gut, immer mehr Personen in der Auslage zu sammeln. Wenn man eine Wertung auslösen will, muss man aber eine Kartenhälfte mit nur einer Person auswählen. Wenn man einen Turm baut, muss man eine Karte umdrehen und verliert den Einfluss auf die Personen der Vorderseite. Andererseits bringen die Türme in der Schlusswertung viele Punkte. Timing ist auch wichtig: Wenn ich meine Auslage durch Türme zu früh schwäche, ermöglich ich den anderen leichte Punkte im weiteren Verlauf des Spiels.“

An wen richtet sich Tallinn? Ist es für Einsteiger so gut spielbar wie für erfahrene Spielekenner? Ist es Experten zu „leicht“?
„Tallinn ist für Familien und Einsteiger ebenso geeignet wie für Experten. Mit einer Spieldauer von deutlich unter einer halben Stunde kann es für letztere natürlich nur ein Absacker oder Spiel für Zwischendurch sein. Experten sollten aber die in der Schachtel enthaltenen Zusatzregeln ‚Der Legat des Kaisers‘ und ‚Die Chronik‘ sofort einbeziehen, damit es für sie interessanter wird. Außerdem bieten die separat erhältlichen Erweiterungen ‚Die Versammlung‘ und ‚Die Alten‘ zusätzliche Herausforderungen und noch mehr Interaktion.“

Hast du einen Tipp für die erste Partie? Worauf sollten die Spieler achten, um sich nicht selbst den Spaß zu verderben?
„In ihrer ersten Partie neigen viele Spieler dazu, zu viele Türme zu bauen und damit ihre Auslage für die Wertungen während des Spiels zu sehr zu schwächen. Das Spiel ist kurz genug, um einfach drauflos zu spielen und zu sehen, was passiert. Deshalb ist mein Tipp, die erste Partie ‚aus dem Bauch heraus‘ zu spielen. Gleich im Anschluss sollte man eine zweite Partie spielen, um anhand der Erfahrungen aus der ersten Partie das Geschehen dann gezielter zu steuern.“

Noch einmal zurück zum Thema Mittelalter. Immer wieder heißt es von Verlagen, dieses Thema funktioniert in Deutschland hervorragend. Wie sehr lässt sich ein Kleinverlag wie OSTIA Spiele von solchen Erwägungen leiten? Wie mutig darf das Thema bei euch sein?
„Wir bei OSTIA sind alle historisch interessiert und lieben historische Themen in Spielen. Deshalb ist es für uns ziemlich selbstverständlich, dass unsere Spiele häufig historische Themen haben. Blindes Huhn und SLICKS sind da natürlich gute Gegenbeispiele. ‚Experimente‘ können wir uns als Kleinverlag nur sehr bedingt leisten, auch wenn ein ‚mutiges‘ Thema vielleicht mehr Aufmerksamkeit generieren könnte. Unsere Zielgruppe ist mit historischen Themen vertraut und akzeptiert sie. Wir müssen da keine Überzeugungsarbeit leisten, wie es bei ungewöhnlichen Themen vielleicht der Fall wäre.“

Tallinn ist wie Blindes Huhn über das Crowdfunding der Spieleschmiede produziert. Ihr sprecht selbst von „professionell“ produziert. Welchen Einfluss hat Crowdfunding auf eure Verlagsarbeit? Wären Spiele in der Form ohne Partner wie die Spieleschmiede denkbar?
„In erster Linie muss das Spiel überzeugen. Erst wenn das Spiel fertig ist, überlegen wir, wie wir es umsetzen können. Das hat natürlich dann wieder Einfluss auf das Spiel an sich, weil nicht alles finanziell machbar ist. Wir entwickeln aber keine Spiele extra so, dass sie besonders fürs Crowdfunding geeignet sind.
Denkbar wären unsere Spiele auch ohne Schwarmfinanzierung, aber es wäre erheblich schwieriger, aus dem Stand heraus eine vergleichbare Aufmerksamkeit zu erzielen – und die frühzeitigen Einnahmen und mit der Kampagne erreichten Verbesserungen sind natürlich für einen Kleinverlag sehr interessant.“

Ein Blick zurück: Letztes Jahr habt ihr Blindes Huhn samt Erweiterungen und Visby veröffentlicht. Wie sind beide beim Publikum angekommen? Haben sich eure Erwartungen erfüllt?
„Beide Spiele sind sehr gut angekommen. Visby ist mittlerweile bei uns im Verlag ausverkauft, im Handel aber vereinzelt noch erhältlich. Die Rezensionen für beide Spiele waren positiv.
Blindes Huhn verkauft sich sehr gut, wo immer wir die Gelegenheit haben, es zu zeigen und zu erklären. Ohne direkte Vermittlung denken manche leider, es würde sich eher um ein reines Kinderspiel handeln. Visby hat unsere Erwartungen übertroffen, weil wir bei einem so kleinen und auf den ersten Blick unscheinbaren Spiel nicht mit einer solchen Aufmerksamkeit gerechnet hatten. Die Erwähnung in der Spielbox vor der Messe und die Mund-zu-Mund-Empfehlungen in der Branche haben da sehr geholfen. Wir haben sogar ein paar Anfragen zu Lizenzen erhalten.“

Noch eine kurze Frage für alle Messebesucher: Sollten interessierte Besucher der Spiel ’16 Tallinn vorbestellen? Oder ist die Stückzahl begrenzt? Wie steht es mit den Erweiterungen?
„Wir freuen uns natürlich über Vorbestellungen, aber wir gehen davon aus, dass die Auflage ausreichend ist, Tallinn während und auch nach der Messe noch für alle Interessierten anbieten zu können. Die Erweiterungen ‚Die Versammlung‘ und ‚Die Alten‘ haben wir zunächst in geringerer Auflage gefertigt. Es gibt aber keinen Grund, nicht noch zusätzliche Exemplare herstellen zu lassen, wenn der Bedarf da ist.“

Webseite zum Gesellschaftsspiel Tallinn

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