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Atlantic City

Spiel Atlantic City - Foto von Noris Spiele

Mini Story

Es gibt erstaunlicherweise durchaus Spiele, die eigentlich gar keine richtigen sind. Und sie sind unter Umständen sogar alles andere als erfolglos. Neben dem von mir und uns sehr hoch geschätzten Wie ich die Welt sehe, bei dem es meist sehr hoch zu- und hergeht und der Sieg überhaupt keine Rolle spielt, ist Concept ein gutes Beispiel für das eingangs Festgehaltene. Wir spielen Concept immer wieder gerne, allerdings eher als intellektuelle Herausforderung und Kreativitätsprüfung und ohne die seltsame Wertung mit den Punkteplättchen. Und wir sind dabei keineswegs die einzigen, wird doch dasselbe sogar in der Anleitung selber und bezeichnenderweise selbst von der Jury Spiel des Jahres ausdrücklich so als Möglichkeit erwähnt, um nicht zu sagen empfohlen. Und die Jury muss es ja wissen, schliesslich hat sie Concept kürzlich sogar in ihre Auswahlliste für das Spiel des Jahres aufgenommen – und es wäre wohl durchaus der interessantere und innovativere, um nicht zu sagen bessere Preisträger gewesen als das letztlich gewählte Kamelrenn- und -wettspiel (Anmerkung des Lektors: Das sehe ich anders!), aber das hier nur ganz so nebenbei …

Worum geht es beim Spiel Atlantic City von Noris Spiele?

In die gleiche Kerbe versucht nun offenbar auch Atlantic City von Noris Spiele in der Reihe der sog. „Mini Stories“ zu schlagen, das im Jahre 1920 eben in Atlantic City spielt. Dabei wird in der Anleitung bereits ganz am Anfang und damit prominent und gewissermassen offiziell darauf hingewiesen, dass all jene, „denen starre Regeln, penible Definitionen von Abläufen und das eigene Gewinnen wichtig“ seien, Atlantic City vielleicht besser sofort wieder beiseite legen sollten. Ich muss mich an dieser Stelle ebenfalls gewissermaßen offiziell und ausdrücklich für die tendenziöse, um nicht zu sagen spielefeindliche Ausdrucksweise entschuldigen; sie ist unverändert aus der Anleitung übernommen und hier wortwörtlich zitiert, wobei es eigentlich schon sehr erstaunt, solche Worte von einem Verlag zu lesen, der durchaus auch schon eine breite Pallette anderer, um nicht zu sagen „richtiger“ Spiele mit starren Regeln und penibel definierten Abläufen veröffentlicht hat (aber auch das nur so als ziemlich ketzerische Anmerkung und völlig nebenbei).

Dabei gäbe es bei Atlantic City als Mini Story eigentlich gar nicht viel zu rechtfertigen oder zumindest nicht das fehlende Regelwerk. Die Ausgangslage des Ganzen ist jedenfalls durchaus vielversprechend. Die Spieler verkörpern je eine von total sieben Figuren, die das Geschehen in Atlantic City, einer aufstrebenden Stadt in den USA in der Zeit der Prohibition mit den damit verbundenen Gaunereien und Bandenkriegen beeinflussen wollen. Da gibt es beispielsweise den verschlagenen Bezirksabgeordneten, den durchsetzungsstarken Jungunternehmer, die tugendhafte Ordensschwester oder das verruchte Showgirl. Sie alle sind Mitglieder einer von zwei Gangs, die die Stadt und die Abläufe darin unter ihre Kontrolle zu bringen versuchen.

Wie wird Atlantic City gespielt?

Die Mitwirkenden erhalten zu Beginn alle je eine der Figuren zugelost, stellen sie kurz den anderen vor und werden sie im weiteren Verlauf der Partie mit Leben und Entscheidkompetenz auszufüllen haben. Zusätzliche Karten geben zudem individuelle, geheim zu haltende Ziele vor und legen die Beziehungen zu den jeweiligen Tischnachbarn fest. Da gibt es Geschäftspartner, Jugendfreunde und Totfeinde (auch hier zitiere ich bloß), einige sind oder waren zusammen im Knast oder aber sind miteinander verwandt oder ineinander verliebt.

Danach folgen mehrere Runden, in denen entweder frei agiert werden kann, was in der Anleitung mehrfach wiederholt und damit gewissermaßen offizialisiert wird (vgl. oben). Stattdessen, falls man solches nicht tun kann oder will oder sich erstmals in Atlantic City aufhält, gibt es aber auch die Möglichkeit, einem vorgeschlagenen Ablauf als einer Art Drehbuch zu folgen, bei dem in jeder Runde Kärtchen aufgedeckt werden, die einzelne Gegenstände wie Waffen oder Alkohol oder bestimmte Örtlichkeiten oder auch besondere Ereignisse wie ein Feuer, die Verhaftung einer der Figuren im Spiel oder das Auftauchen einer Leiche zeigen. Sie alle sind den Mitwirkenden mehr oder weniger zufällig zugewiesen und sollen von ihnen untereinander ausgehandelt, verteilt und in die gemeinsam zu entwickelnde Geschichte eingebunden werden.

Gemäss der Anleitung gilt es (wobei selbstverständlich auch das von den Mitwirkenden gemeinsam anders vereinbart und gehandhabt werden kann; vgl. nochmals oben) einerseits das individuelle Ziel der jeweiligen Persönlichkeit zu erreichen. Wirklich entscheidend ist andererseits aber (vgl. unten), welche Gang das meiste Geld besitzt, wobei zuletzt das reichste Mitglied dieser Gang das Spiel gewinnt.

Wie gut ist das Mini-Stories-Spiel Atlantic City?

Leider funktioniert das alles mehr schlecht als recht. Schon nur die individuellen Ziele sind ein ziemlicher Witz, hat deren Erreichen doch absolut keinen Einfluss auf den Ausgang des ganzen (Nicht-) Spiels. Und auch der Rest der Wertung hakt fürchterlich. So gibt es keine sinnvolle Möglichkeit (oder dann haben wir sie nicht entdeckt), ausgewählten Spielern die eigene Zugehörigkeit zu einer der Gangs mitzuteilen, ohne dass das gleich die ganze Runde mitbekommt. Außerdem versucht ja jeder möglichst große Reichtümer anzuhäufen, um der eigenen Gang und zuletzt sich selber Vorteile in der Endabrechnung zuzuschanzen. Wie und weshalb aber sollte unter diesen Umständen jemand auf die Idee kommen, sich von einem wertvollen Gut wie einer Flasche Champagner oder einer Pistole zu trennen und diese einem Mitspieler zu überlassen? Vielmehr wird jeder das zu behalten trachten, was ihm mehr oder weniger zufällig in die Hände geraten ist. Das degradiert das Ganze zu einem ziemlich dürftigen, wenn auch hübsch aufgebauschten Glücksspiel der eher trivialen Art.

Ich kann nicht behaupten, die in Atlantic City verbrachte Zeit wirklich verschwendet zu haben. Dazu hat das gemeinsame Entwickeln und Erzählen der Geschichte von Atlantic City zumindest in Einzelfällen zu viel Spaß gemacht. Da waren allerdings stets Leute mit am Tisch, mit denen man generell eine gute Zeit haben kann. Nur braucht es dazu keine Spielkarten und zugeloste Rollen und ein Regelwerk, das gar keines sein will.

Infos zu Atlantic City

  • Titel: Atlantic City
  • Verlag: Noris Spiele
  • Autor: Christian Fiore
  • Spieleranzahl (von bis): 3-5
  • Alter (ab oder von bis in Jahren): 16
  • Dauer in Minuten: 20-30
  • Jahrgang: 2013

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