Im Schatten der Wolkenkratzer
New York – diese Stadt ist selbst ein Mythos. Da liegt es doch eigentlich nahe diesen mit einem ganz anderen Mythos zu verschmelzen, dem Cthulhu-Mythos. Dies geschieht im neusten Quellen- und Abenteuerband zum Cthulhu-Rollenspiel: New-York – Im Schatten der Wolkenkratzer. „Moment!“ wird jetzt vielleicht der eine oder andere rufen: „Gibt es nicht schon so einen Quellenband?“. Ja, das englischsprachige Secrets of New York befasst sich bereits mit dem Big Apple. Doch der vorliegende deutsche Band ist nicht bloß eine Übersetzung, sondern eine komplett überarbeitete und stark erweiterte Ausgabe mit anderen inhaltlichen Schwerpunkten und vollständig neuen Abenteuern.
Wie man es von den anderen bisher erschienenen Städtebeschreibungen zum Cthulhu-Rollenspiel gewohnt ist, beginnt auch der New York-Band mit einem geschichtlichen Überblick über die 1624 als Neu-Amsterdam gegründete Stadt. Schnell wird der Siedlungspunkt Anlaufstelle für verschiedenste Volksgruppen wie Juden, Iren oder Schwarze. Aus dem Melting Pot wird schließlich im beginnenden 20. Jahrhundert ein überkochender Topf aus boomender Wirtschaft, einzigartigen Persönlichkeiten und mehr oder weniger verschleierten Verbrechen. Aus diesem Grund nennt sich das zweite Kapitel auch „Die Unterwelt“ und befasst sich mit den zahlreichen Betätigungsfeldern der Kriminellen, die durch die Prohibition nur noch ausgedehnter wurden. Die Struktur der Mafia wird ebenso vorgestellt, wie die unzähligen Gangs und ihre Aktivitäten. Hinzu kommt die Beschreibung des realen Kriminalfalls des „Terranova Girls“, der 1906 für Schlagzeilen sorgte. Anhand dieses Falles wird das zum Teil perfide amerikanische Gerichtssystem erklärt.
Die dann folgenden Kapitel befassen sich mit den einzelnen Stadtteilen New Yorks. Neben Manhattan, das gegenüber der englischen Ausgabe nun komplett vorgestellt wird, werden auch die Stadtteile Queens, Brooklyn, die Bronx und Staten Island detailliert beschrieben. Gewürzt werden die Stadtteilbeschreibungen wie gewohnt mit vielen Bildern, Karten, Charakterbeschreibungen und kleinen Besonderheiten, die Aufhänger für ein Abenteuer sein können. Nicht zu vergessen sei hier natürlich der gefaltete Stadtplan in schwarz-weiß, der dem Band ganz hinten beiliegt.
Nach dem sehr umfangreichen und klar strukturierten Quellenteil folgen nun drei komplett neue Abenteuer aus deutscher Feder. Den Anfang macht „Pinselstriche“ von Alexander Dotor und Peter Schott. Es führt die Charaktere in die New Yorker Kunstszene und zu einem Maler, der offensichtlich Selbstmord begangen hat. Aber schnell geraten die Charaktere selbst in den Fokus der Ermittlungen und sie müssen erkennen, dass ein verstörendes Bild des Malers für dessen Tod verantwortlich ist und New York in etwas völlig anderes verwandeln will.
Das Abenteuer „Tunnel mit Aussicht“ von Bernhard Bihler beginnt mit einem missglückten Ritual in den Schächten der New Yorker U-Bahn. Die Charaktere haben nur wenig Zeit herauszufinden was hier vorgefallen ist, bevor sich die Beschwörung verselbständigt und die ganze Stadt bedroht.
Den Abschluss bildet „Der Fluch des schwarzen Mannes“ von Mirko Bader. Hier stolpern die Charaktere über eine Reihe obskurer Todesfälle. Ermittlungen führen zu Tage, dass es sich bei den Toten um Überlebende der Titanic-Katastrophe handelt, die in der Unglücksnacht von einem geheimnisvollen schwarzen Mann gerettet wurden und dafür einen fürchterlichen Preis bezahlten.
Mit New York – Im Schatten der Wolkenkratzer hält man einen Quellenband in den Händen der wirklich alles enthält was man braucht, um atmosphärisch dichte Abenteuer im entsprechenden Setting zu leiten. Somit ist dem Verlag wieder eine gute Publikation gelungen die jedem ans Herz gelegt sei, der seine Spieler in die Stadt, die niemals schläft, schicken möchte. Trotzdem bleibt ein leicht fader Nachgeschmack. Je öfter ich den Band nutze, umso mehr vermisse ich einen Index, der das Auffinden so mancher Information oder der zwischen den Texten eingestreuten Berufe und Zusatztexte erleichtert. Aber das ist eindeutig jammern auf höchstem Niveau. Etwas anders sieht es bei den Abenteuern aus, die allesamt reine Detektivabenteuer sind und einen sehr versierten Spielleiter brauchen. Häufig sind die Zusammenhänge nur äußerst schwer zu erfassen bzw. der rote Faden ist sehr dünn, sodass er schnell übersehen und wichtige Rückschlüsse nicht gezogen werden. Hier ist viel Fingerspitzengefühl des Spielleiters notwendig, um keinen Frust bei den Ermittlungen aufkommen zu lassen. Zudem vermisse ich bei den letzten beiden Abenteuern die zündende Idee, die das Abenteuer zu etwas Besonderem macht. Aber auch hier ist man womöglich nur durch das hohe Niveau der deutschen Veröffentlichungen zum Cthulhu-Rollenspiel verwöhnt. Einigen mag vielleicht auch der Mythos-Bezug im Quellenteil zu spärlich vorkommen. Ich finde dies hingegen ganz reizvoll, denn dadurch lässt der Quellenband auch einen ganz anderen Fokus zu, nämlich ein Spielen ganz ohne Cthulhu-Mythos, ausschließlich mit dem Mythos New York. So öffnet sich der Band auch den Spielern, die kein Cthulhu-Rollenspiel spielen möchten, sondern einfach spannende Abenteuer im New York der 1920er-Jahre erleben wollen.
Infos zu Cthulhu: New York
- Verlag: Pegasus Spiele
- Autor: Heiko Gill, Peter Schott, William Jones, Mirko Bader, Bernhard Bihler, Alexander Dotor
- Jahrgang: 2010
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