Schreiben wir Geschichte! Und zwar in den Chroniken der Menschheit.
Im Kennerspiel Bücher der Zeit von Filip Głowacz (Giant Roc) stellen wir unsere eigenen Bücher zusammen, Seite für Seite, und nutzen deren Aktionsmöglichkeiten bzw. Fähigkeiten. Tableau Building wird hier neu gedacht: Wir stellen nicht nur unsere eigenen Tableaus (Bücher) zusammen, sondern können auch darin blättern. Auch haptisch ein ganz neues Spielelement, das sofort neugierig macht.
Unboxing: Woraus besteht Bücher der Zeit?
Puh, die Schachtel ist ganz schön schwer!
Und voll bis obenhin. Das erinnert an umfangreiche „Schwergewichte“ (in Gramm, nicht unbedingt spielerisch) wie Die Legenden von Andor, The Rise of Queensdale oder Merchant’s Cove. Tatsächlich wartet auch Bücher der Zeit mit großer Materialfülle auf.
Am auffälligsten sind die vielen, vielen Ringbuchklammern aus Metall, die in etwa so lang wie ein kleines Smartphone sind (und ja, das ist es, was das Spiel so schwer macht). Auch wenn das eigentliche Thema eher Menschheitsgeschichte als Literatur ist, basiert die Gestaltung des Spiels auf Büchern. Dicke Pappteile bilden die Buchdeckel, farbige Seiten kommen ins Innere, ebenso Papplesezeichen. Und die allgemeine Chronik bekommt sogar ein 3D-Pult zum Ablegen. So entsteht eine bestechende haptische Komponente. Der Aufforderungscharakter ist hoch, nicht nur für Buchmenschen. Lasst uns spielen!
Kurze Spielübersicht: Wie funktioniert das Brettspiel Bücher der Zeit?
Alle haben drei Bücher – gelb, rot und grün –, die für die Bereiche Handel, Wissenschaft und Industrie stehen. Anfangs haben diese nur wenige Seiten. Das Spielprinzip besteht in aller Kürze darin:
- Wir ergänzen die Bücher mit weiteren Seiten, wobei jede Seite Fähigkeiten (im Grunde Kartenaktionen) bietet.
- Wir nutzen diese Fähigkeiten oder rücken auf dem Zivilisationsplan vor.
- Wenn wir Fähigkeiten (Seiten) aktivieren, blättern wir im jeweiligen Buch um.
- So erfüllen wir bestimmte Ziele (sogenannte Meilensteine) je Farbe bzw. Buch, die auf Set Collection basieren.
Das war natürlich noch lange nicht alles, sondern soll erst einmal einen groben Überblick geben. Wenn wir bei der letzten Seite der Chronik angekommen sind, endet eine Partie Bücher der Zeit.
Aktionen rund ums Buch
Die Chronik strukturiert das Spiel als Rundenzähler – jede Runde blättern wir hier einmal um. Durchführen dürfen wir immer zwei Aktionen, einmal mit unseren eigenen Büchern (Muss) und einmal bei der Chronik (Kann). Beim eigenen Buch (Muss) haben wir die Wahl zwischen sechs verschiedenen Aktionen. Die haben wie oben angedeutet (fast) alle direkt mit dem Aufbau und/oder dem Nutzen der Bücher zu tun:
- Seiten aktivieren (Fähigkeiten)
- Seiten schreiben (einheften)
- Ein Buch zuklappen (bringt Boni)
- Neue Seiten nehmen (die werden dann erst mal zwischengelagert)
- Seiten umblättern (bringt Boni)
Und dann gibt es noch eine ganz andere Aktion: das Vorrücken auf dem Zivilisationsplan. Dort gibt es Leisten in jeder der drei Farben. Zahlen wir die entsprechenden Ressourcen, dürfen wir dort vorgehen und bekommen einen Bonus. Alternativ können wir einen neuen Meilenstein freischalten, der schwerer zu erfüllen ist als der vorige, dafür aber auch mehr Siegpunkte bringt.
Bücher der Zeit: Blättern wir uns durch das Spiel
Das Blättern in den Büchern erinnert ein bisschen an die Stadtausbau-Tableaus aus Die Siedler von Catan: Städte und Ritter, allerdings vor allem vom haptischen Handling her. Vom Spielmechanismus her sind die Ringbücher bei Catan statischer. Hier dagegen ist das Blättern eine Aktion.
Bücher der Zeit nutzt im Grunde eine Mischung aus Deckbuilding und Tableaubuilding.
Neue Seiten legen wir erst einmal auf unsere sogenannte Geschichtsleiste, wenn wir sie mit der Aktion „neue Seiten nehmen“ bekommen. In eins der Bücher heften wir sie dann später mit der Aktion „Seiten schreiben“. Trotzdem kann man die Bücher nur begrenzt gezielt aufbauen, der Building-Aspekt kommt leider etwas kurz, zumindest im Zusammenhang mit den Fähigkeiten der Seiten. Schließlich gilt es, nicht nur passende Fähigkeiten auf den Seiten zu haben, sondern auch die Meilensteine zu erfüllen. Und das bedeutet, dass wir auch auf die Symbole der Seiten achten müssen.
Gerade beim gelben Handelsbuch rücken die (Seiten-) Aktionsmöglichkeiten bzw. Fähigkeiten oft in den Hintergrund, denn hier müssen wir eine bestimmte Symbolreihenfolge erreichen. Und sobald wir einmal umblättern (was wir beim Nutzen einer Fähigkeit zwangsweise tun), heften wir die nächste neue Seite dahinter ein. Das ist manchmal ziemlich unpraktisch, wenn das Symbol eigentlich davor sein müsste. Und sorgt schnell dafür, dass wir auf so manches „Seiten aktivieren“ verzichten.
Aber auch beim roten und grünen Buch ist man etwas eingeschränkt, welche Seitenaktionen/Fähigkeiten man wann einsetzt, nicht nur wegen des Set Collection-Mechanismus. Vor allem das Blättern und das Einheften neuer Seiten will gut getimt sein, denn das wirkt sich unmittelbar sowohl auf die Meilensteine als auch auf die möglichen folgenden Seitenaktionen (Fähigkeiten) aus. Insgesamt macht es das Spiel komplex und lässt ein eher verkopftes Spielgefühl entstehen, das gegen Ende des Spiels immer weiter zunimmt.
Meilensteine und Kettenaktionen bei Bücher der Zeit
Das Aufwerten der Meilensteine bringt dabei auch ein bisschen Push your luck ins Spiel. Hier müssen wir vorausschätzen, wie viel wir wohl noch erreichen können. Gute Planung ist alles? Ja, und trotzdem gibt es auch ein gewisses Maß an Glück, das mitspielt – zum Beispiel, welche Karten (Seiten) gerade in der allgemeinen Auslage und vom Stapel zu bekommen sind. Manchmal ist das so dringend benötigte Symbol einfach nicht dabei. Dann müssen wir flexibel sein und andere Möglichkeiten nutzen. Und auch die Aktionen bei der Chronik (es gibt zwei zur Auswahl) sind jede Runde eine Überraschung, die es kurzfristig bestmöglich zu nutzen gilt.
Im Blick behalten müssen wir neben den Meilensteinzielen und den Kartensymbolen immer auch den Zivilisationsplan, der einen Gutteil der Siegpunkte generieren kann – teils während des Spiels für Dinge, die wir schon erreicht haben, teils am Spielende (sind wir bei einer Leiste oben angekommen, bekommen wir Extrapunkte für die entsprechenden farbigen Seiten in unseren Büchern). Außerdem lassen sich über den Zivilisationsplan auch fehlende Symbole ausgleichen und weitere Boni nutzen. Dabei entstehen dank Sprungmarken auch Kettenreaktionen, die es taktisch klug zu nutzen gilt. Das kennt man von Roll & Write-Spielen wie Lost Cities – Roll & Write.
Und auch sonst bietet das Spiel Möglichkeiten für Kettenaktionen. Das zu beherrschen, dauert einige Partien und bietet auch Vielspielenden eine schöne Herausforderung. Irgendwie wünschen wir uns aber während des Spiels doch mehr Möglichkeiten, gerade das „Bücherbauen“ noch mehr nutzen zu können. Einmal ein perfektes Buch zusammenheften und dann die idealen Aktionen aneinanderhängen können! Das ist an sich vielleicht möglich, geht aber in der Praxis des Spielverlaufs dann doch meist etwas unter (zugunsten der Meilensteine und Co). Das ist schade.
Bücher der Zeit: Akten, Papier und Stifte kann man nie genug haben
Übrigens können wir zwei der Aktionen in einem Zug so oft machen, wie wir möchten, solange wir die nötigen Ressourcen bezahlen können: Vorrücken auf dem Zivilisationsplan und Seiten schreiben. Nur: So wichtig und mächtig diese Regel auch ist, in der Praxis wird sie im Spielverlauf doch gerne vergessen, gerade beim Zivilisationsplan. Das kann auch mal spielentscheidend sein. Schade, dass eine so wichtige Regel keine grafische Erinnerungsstütze auf dem Spielmaterial hat (auf der Übersichtskarte wird es erwähnt, ist aber auch dort nicht hervorgehoben).
Apropos Ressourcen: Für nahezu alle Aktionen brauchen wir Ressourcen in Form von Papier und Stiften, die gut eingeteilt sein wollen. Gefühlt hat man irgendwie immer zu wenig, auch wenn es dann meist doch (knapp) reicht (aber nicht immer!). Eine besondere Ressource sind die Akten, die als Joker Papier oder Stift sein können. Leichtfertig nutzen sollte man sie aber nicht: Um auf dem Zivilisationsplan vorzurücken, braucht es gerade auf den oberen Feldern jede Menge Akten, was diese sehr wertvoll macht. Es gilt also, rechtzeitig vorzusorgen – oder aber anderweitig die Leisten emporzuklettern, z. B. über Fähigkeiten beim „Seiten aktivieren“.
Wie komplex ist das Brettspiel Bücher der Zeit?
Bücher der Zeit hat (für ein Kennerspiel) eine recht hohe Einstiegshürde. Dementsprechend dauert es auch unangenehm lange, wieder ins Spiel zu kommen, wenn die letzte Partie etwas länger zurückliegt. Zum Glück gibt es eine Übersichtskarte, die man in den ersten Partien (und nach Spielpausen) auch braucht, besonders, wenn man die Symbole (noch) nicht im Kopf hat. Geht es um Details, gibt es zusätzlich Nachschlagemöglichkeiten im Anhang der Spielanleitung.
Wenn man sich erst mal im Spiel zurechtfindet und es mehr oder minder regelmäßig spielt, ist Bücher der Zeit aber gar nicht mehr so kompliziert und eher Kenner- als Expertenspiel (unter anderem auch, weil wie oben erwähnt eben auch ein Quäntchen Glück mitspielt). Wohlgemerkt aber doch eher ein gehobenes Kennerspiel. Und auch wenn sich nach einigen Einstiegspartien schon irgendwie ein schöner Spielfluss ergibt, erfordert Bücher der Zeit relativ viel „Denken“ beim Spielen. Insbesondere im Endgame wird der Spielfluss dann auch mal gebremst, je grübellastiger die Runde, desto mehr.
Atmosphäre und Thema bei Bücher der Zeit
Leseratten sollten sich von der grafischen und haptischen Umsetzung nicht täuschen lassen: Mit Büchern im Sinne von Literatur hat das Spiel noch weniger zu tun als der Spielmechanismus von Romeo & Julia mit Shakespeares Stück. Und auch das Thema Menschheitsgeschichte und Chroniken ist im Spielverlauf nicht so spürbar, wie es sein könnte, aber redaktionell wirklich schön umgesetzt (in der Anleitung gibt es sogar Hintergrundinfos zu den auf den Buchseiten vorkommenden historischen Persönlichkeiten, Errungenschaften und Erfindungen). Die Haptik von Büchern ist wie ein roter Faden durch das gesamte Spielmaterial gewoben und mit den Spielmechanismen verknüpft. So entsteht eine tolle Atmosphäre und es fühlt sich irgendwie besonders an, in den eigenen Büchern zu blättern.
Lohnt sich das Kennerspiel Bücher der Zeit?
Bücher der Zeit ist ein schönes Kennerspiel mit besonderem haptischem Ansatz, das sich manchmal komplexer anfühlt, als es eigentlich ist. Dabei nutzt es interessante Spielmechanismen, die aber noch nahtloser ineinandergreifen könnten. Der Building-Aspekt kommt ein wenig kurz, weil man mehr damit beschäftigt ist, auf Symbole und Zielerfüllung zu schauen. Dabei wäre ja gerade das „Bücherbauen“ in aller Konsequenz ein neues, spannendes Element. Nicht zuletzt in Verbindung mit der besonderen Atmosphäre, die durch die haptischen Elemente und das Gefühl des Blätterns entsteht. Letztlich entpuppt sich Bücher der Zeit als weniger innovativ als anfangs gedacht. Trotzdem bietet es eine interessante Mechanismus-Kombination in neuartiger Umsetzung.
Bücher der Zeit kommt immer wieder gerne auf den Tisch. Allerdings nicht in Dauerschleife, dafür ist es dann doch etwas zu verkopft. Für alle, die Kennerspiele mit einem besonderen Dreh mögen, lohnt es sich aber auf jeden Fall, Bücher der Zeit einmal näher anzusehen.
Infos zu Bücher der Zeit
- Titel: Bücher der Zeit
- Verlag: Giant Roc
- Autor: Filip Głowacz
- Spieleranzahl (von bis): 1-4
- Alter (ab oder von bis in Jahren): 12
- Dauer in Minuten: 45-60
- Jahrgang: 2023
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