Reich der Spiele

Helvetia

Helvetia von Reich der Spiele

Der Einstieg ist fast schon ein wenig peinlich: Gleich das erste Wort der Anleitung ist falsch geschrieben, steht dort doch "Gruetzi", was in der ganzen Schweiz wirklich niemand sagt. Oder höchstens Zugewanderte, die es nicht besser wissen oder können. Korrekt wäre "Grüetzi" oder "Grüessech" oder sonst etwas in der Art, je nach Landesregion und Dialekt.

Andererseits aber wirkt der Versuch auch sympathisch, sich spielerisch überhaupt mit der für Uneingeweihte unbekannten Alpenrepublik des Rezensenten auseinanderzusetzen. Erfreulich denn auch der (korrekte) Hinweis, ebenfalls zu finden auf Seite 1 der Anleitung, dass in der Schweiz normalerweise gegen den Uhrzeigersinn gespielt werde ("em Chlapf nache"). Man fühlt sich so sofort etwas besser verstanden und kann unbeschwert loslegen, ohne immer zuerst überlegen zu müssen, ob die Aufforderung zum Spielen im Uhrzeigersinn tatsächlich wichtig ist in Bezug auf den Ablauf oder das Material des Spiels oder aber getrost ignoriert werden kann.

Helvetia versetzt die Spieler in die Bergwelt zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Alle Mitwirkenden erhalten ein Bergbauerndorf, das sie zu Wohlstand und Hochblüte führen sollen. Dazu haben die Bewohner Häuser zu bauen und Güter zu produzieren, sie entdecken die Welt oder zumindest das Nachbardorf und sorgen dabei fleissig für Nachkommen, die sich ihrerseits umgehend um das Wohl der Gemeinschaft kümmern.

Das alles ist bei Helvetia derart trickreich und stimmig umgesetzt, dass die anfänglichen Sprüche über gesunde Bergluft und Karnickel rasch verstummen und einer konzentrierten Stimmung Platz machen. Motor des Brettspiels sind fünf Persönlichkeiten, von denen jeweils eine frei ausgewählt und eingesetzt werden darf: Beim Baumeister beispielsweise können Gebäudeplättchen erworben werden, während der Fuhrmann Waren in Siegpunkte umtauscht. Beides setzt eigene Dorfbewohner voraus, die die gewünschten Güter in einem dazugehörenden Produktionsgebäude herstellen. Nach getaner Arbeit gehen die Spielfiguren schlafen und müssen durch den Nachtwächter geweckt werden, bevor sie ein nächstes Gut produzieren können.

Für das nötige Wachstum bei Helvetia wird der Pfarrer benötigt, der die Hochzeit zweier alleinstehender Spielfiguren ermöglicht. Dabei wird die eigene ins Gebäude einer gegnerischen Figur gesetzt, wo sie später das dort produzierte Gut ebenfalls herstellen kann, ohne dass das Gebäude selber errichtet werden musste. Andererseits wird so die Möglichkeit geschaffen, mit der Hebamme als Geburtshelferin Nachwuchs zu gebären, was zusätzliche Figuren ins Spiel bringt, die anschließend ihrerseits in fremde Dörfer verheiratet oder aber in selber erworbene eigene Gebäude gesetzt werden können, um dort die jeweiligen Güter herzustellen.

In Helvetia ist jede Aktion einer der fünf Persönlichkeiten durch Ablegen einer Münze zu vergüten. Das bleibt möglich, bis mit Ausnahme eines einzigen alle übrigen Spieler ihre letzte Münze eingesetzt haben, was im Normalfall einige Umgänge dauert mit jeweils freier Wahl der Persönlichkeiten. Anschliessend erhält der Spieler, der die meisten Münzen bei einer der Persönlichkeiten platziert hat, das dazugehörende Personenplättchen, mit dem in der darauffolgenden Spielrunde eine Gratisaktion dieser Funktion ausgeführt werden darf. Bei einem Gleichstand der Münzen bleibt das Plättchen dagegen an seinem alten Ort, gegebenenfalls auch bei einem der Spieler, was ein nicht zu unterschätzender Vorteil sein kann und von den Gegner durch entsprechendes gezieltes Einsetzen der Münzen bestmöglich vermieden werden sollte. Außerdem werden zum Rundenende die eingesetzten Münzen zurückgenommen und fünf neue Gebäudeplättchen bereitgelegt, bis einer der Spieler 20 oder mehr Siegpunkte erworben hat und so das Spiel beendet.

Der Mechanismus von Helvetia ist schnell verstanden. Die einzelnen Elemente greifen gut ineinander und vermitteln einen verständlichen Ablauf des Spiels mit seinem Wachstum der einzelnen Dörfer und ihre Bewohner. Wichtig ist dabei der stete Überblick über das Geschehen und die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Wie schnell wird vergessen, dass im Nachbarort eine meiner verheirateten Figuren zum Einsatz stehen würde, um das entsprechende Gut zu produzieren, während ich mich nur mit dem eigenen Dorf beschäftige! Außerdem ist dort vielleicht kein Metzger, sondern ein Glockengießer, was à distance kaum zu erkennen ist, zumal die Informationen auf dem Gebäudeplättchen weitgehend durch die darauf platzierten Spielfiguren verdeckt werden.

Aber auch sonst ist die Gestaltung des Brettspiels nicht über alle Zweifel erhaben, was selbst das prächtige Schachtelcover von Helvetia nicht zu ändern vermag. Die diversen Plättchen wirken unnötig düster und wenig einladend. Vor allem aber lassen sich männliche und weibliche Spielfiguren schlecht voneinander unterscheiden, was wichtig wäre bei der Suche geeigneter Hochzeitskandidaten in den anderen Dörfern und bei der Planung des eigenen Nachwuchses. Das stört anfänglich sehr und führt zu lästigen Rückfragen und allenfalls gar Planungsfehlern, die mit zunehmender Spielerfahrung allerdings seltener werden. Und dann steht einem interessanten, anspruchsvollen und dennoch gut nachvollziehbarem Spielvergüngen nichts mehr entgegen. Wunderbar.

Infos zu Helvetia

  • Titel: Helvetia
  • Verlag: Kosmos
  • Autor: Matthias Cramer
  • Spieleranzahl (von bis): 2 - 4
  • Alter (ab oder von bis in Jahren): 12
  • Dauer in Minuten: 90
  • Jahrgang: 2011

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