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Tristes Anthrazit für die Spielekenner

Jury-Sprecher Bernhard Löhlein präsentiert das neue Logo Kennerspiel des Jahres von Spiel des Jahres

Wie die Jury das Spiel des Jahres entwertet

Welcher auch nur halbwegs informierte Spielekenner konnte in den letzten Jahren nicht Zeuge werden, welche Brettspiele in diversen Internetauktionshäusern, bei Bekannten oder im Geschäft als Spiel des Jahres bezeichnet wurden. Hauptsache einer dieser Pöppel prangte auf der Schachtel. Und genau das ist schon das Problem. Nominiert zum Spiel des Jahres oder Kinderspiel des Jahres, eine Empfehlungsliste und natürlich die echten Hauptpreisträger. Alle diese Brettspiele waren irgendwie ein bisschen Spiel des Jahres.

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Man kann es den typischen Gelegenheitskäufern von Brettspielen verzeihen, wenn sie ein „nur“ nominiertes Spiel als Spiel des Jahres bezeichnen. Aber dieses Wirrwarr zeigt eben auch, wie überfordert der normale Kunde beim Kauf von Brettspielen ist. Das, was nach eigenem Anspruch Orientierung bieten soll, der Pöppelaufkleber der Jury Spiel des Jahres, ist längst zum Instrument einer breiten Verwirrung geworden. Wer außerhalb der Spieleszene kennt denn den Unterschied zwischen Preisträgern, Nominierten, Empfehlungsliste, Sonderpreisen wirklich? Viele Menschen glauben ganz fest daran, dass alle diese Brettspiele ein Spiel des Jahres sind. Sind sie aber nicht! Und hier hat die Jury Spiel des Jahres in der Vergangenheit meiner Meinung nach zu wenig getan. Eine klare Abgrenzung für Otto Normalkonsument wäre gut gewesen. Ein Aufdruck „Nominiert zum Spiel des Jahres“ ist eben missverständlich und hilft dem Kunden nicht. Jedenfalls nicht, wenn unter den Nominierten auch Brettspiele sind, die so oder so nach eigenem Anspruch der Jury kaum Aussicht auf Erfolg gehabt haben, da sie zu „kompliziert“ oder wenigstens zu „komplex“ sind.

Zumindest dem scheint die Jury nun ein Ende bereiten zu wollen. Denn im tristen Anthrazit – mache mögen es edel nennen, auf Pappe wirkt es aber eher wie eine Traueranzeige – wird es ab 2011 nach dem Spiel des Jahres und dem Kinderspiel des Jahres ein drittes Brettspiel zur durch einen Pöppel ausgezeichneten Ehren schaffen. Der Preis Kennerspiel des Jahres wird erstmalig verliehen. Es richtet sich an Spieler, „die bereits über längere Zeit Erfahrungen mit Brettspielen gesammelt haben und mehr Herausforderung suchen.“ Aha. Aber wer ist das? Die typische Familie, bei denen das Weihnachten gekaufte Spiel bis zum nächsten Winter wieder im Regal verschwindet? Oder klassische Vielspieler, die sowieso alles besser wissen als die Jury? Oder die Käufer, die bisher auf das Prädikat Deutscher Spielepreis gesetzt haben? Alle drei Gruppen werden mit dem Kennerspiel des Jahres nicht wirklich gut bedient. Vielleicht noch die Fans des Deutschen Spielepreises, der mit der Konkurrenz vielleicht an Bedeutung verlieren könnte.

Die Zielrichtung mag ja lobenswert sein. Und vielleicht den vielen hochklassigen Brettspielen geschuldet, die nach Ansicht der Jury zu kompliziert für die Normalfamilie sind, aber trotzdem überragend gut. Vielleicht möchte die Jury endlich mal ein solches Spiel auszeichnen dürfen. In den letzten Jahren gab es leichte Ansätze mit einem entsprechenden Sonderpreis. Ein Sonderpreis, der aber auch gezeigt hat, dass die ausgezeichnete Komplexitätsstufe echte Kenner nur müde lächeln lässt. Und meiner Meinung nach eine Komplexitätsstufe, die auch für ein Spiel des Jahres geeignet gewesen wäre. So ganz „blöd“ sind die wenig, aber immerhin spielenden Familien da draußen in der Realwelt jenseits des Tellerrandes dann eben auch nicht. Die Jury muss sich also die Frage gefallen lassen, wer denn die Zielgruppe nicht nur sein soll, sondern tatsächlich auch ist. Und ob diese ein in der Form ausgezeichnetes Brettspiel überhaupt benötigt.

Ganz nebenbei besteht noch die Gefahr, dass sie als nächstes dem a la Carte noch das Kartenspiel des Jahres nimmt und dem Deutschen Lernspielpreis das pädagogisch wertvolle Spiel. Und dann vielleicht noch das Spiel für Großgruppen oder das Spiel für Zwei auszeichnet. Auf diese Wiese kann man sich viele Freunde und Feinde machen, aber auch eine gut eingeführte Auszeichnung verwässern und entwerten. Je mehr Rubriken mit Auszeichnungen von der gleichen Instanz gibt, desto eher haben wir in Deutschland österreichische Verhältnisse und keiner weiß mehr, wer der eigentliche Hauptpreisträger unter den Brettspielen ist und was diesen gegenüber den anderen ausgezeichneten Spielen eigentlich auszeichnen soll … Orientierung schafft man nicht durch mehr „Schilder“, sondern durch wenige, aber klare.

Sicher ist der Preis Kennerspiel des Jahres eine konsequente Weiterentwicklung der letzten Jahre und ein guter Ansatz. Für mich zielt er aber ins Leere und vergrößert nur die Verwirrung um die vielen Aufdrucke auf den Schachteln der Brettspiele, die für normale Gelegenheitsspieler jetzt noch weniger auseinanderzuhalten sind. Dass für den neuen Pöppel ein tristes Anthrazit als Farbe genutzt wird, passt meiner Meinung nach leider nur zu gut. Aber ich freue mich, wenn ein paar Tausend Menschen sich am Ende doch auf der Suche nach neuen spielerischen Herausforderungen nur am langweiligen dunkelgrauen Aufdruck Kennerspiel des Jahres orientieren …

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