Rekorde, Neuheiten und Chaos
Es hätte so eine schöne Messe werden können. Die Fachgruppe Spiel gab schon vor der Spiel ’10 in Essen gute Zahlen bekannt, die Ausstellerzahlen sind erneut gestiegen und am Ende besuchten 154.000 Spielebegeisterte die Spielemesse in Essen. Aber auch die erneute Neuheitenflut mit rund 650 Spielen konnte nicht über teilweise eklatante Mängel in der Organisation hinwegtäuschen. So standen am Donnerstag viele Besucher rund 90 Minuten an den Kassen und konnten wegen eines Softwarefehlers erst mit Verzögerung eingelassen werden. Gerade am ersten Messetag ist das extrem ärgerlich, da hier viele vorbestellte Spiele oder Give-Aways abgeholt werden (müssen). Dennoch: Die Spiel ’10 war auf dem Papier ein Erfolg. 786 Aussteller aus 32 Nationen zeigten allein die genannten Neuheiten, aber auch bekannte Spiele und viele Klassiker. An allen Messeständen wurden ausgiebig Brettspiele, Kartenspiele oder Kinderspiele gespielt und eingekauft.
Der immer wieder neue Erfolg in Form von Rekordmeldungen der Spielemesse in Essen liegt seit einigen Jahren ganz klar in der wachsenden Bedeutung des Spielens und der Messe selbst im Ausland begründet. Immerhin kommen ca. 45 Prozent der Aussteller nicht aus Deutschland. Dieses Jahr war entsprechend neben Japan und Korea auch China mit einem eigenen „Pavillon“ vertreten. Auch spielerisch ist das Ausland stark. Das klassische German Game scheint seinen Zenit überschritten zu haben. Denn seit einigen Jahren zeigen vor allem italienische und französische Verlage, wie man handwerklich gute Spiele auf Niveau der German Games mit witzigen und innovativen Themen und Mechanismen verknüpft. Das Klötzchenschieben und Optimieren vieler deutscher Spiele allein reicht nicht mehr aus, um zu überzeugen. So ist mit Dixit sogar ein Spiel des Jahres gekürt worden, das alle Bezüge zum typischen „deutschen Autorenspiel“ vermissen lässt. Die Jury Spiel des Jahres als Wegweiser für die kommenden Brettspiele?
Beim Deutschen Spielepreis hingegen sind die typischen „Vielspielerspiele“ noch hoch im Kurs. Hier wurde im Rahmen der Messe das Spiel Fresko von Marco Ruskowski und Marcel Süßelbeck (Queen Games) als Sieger gekürt. Die Goldene Feder ging an Vor den Toren von Loyang von Uwe Rosenberg (Hall Games). Ein Sonderpreis erhielt das Spiel Ruhrpottparty, das aus einem Schulprojekt mit Zweit- und Drittklässlern entstanden ist. Die Jury zeichnete damit die Kreativität und spielerische Weitsicht der jungen Schüler aus. Ob das Spiel jedoch den Handel erreicht, ist aktuell noch unklar.
Aber nicht nur Ausgezeichnetes, sondern auch viel Neues gab es in Essen zu sehen. Dabei setzte sich ein Trend fort, der in den letzten Jahren bereit zu beobachten war: Es gibt keinen Trend. Im Gegenteil: Jeder Spieler findet ein gutes Spiel nach seinem Geschmack. Er muss dafür aber auch immer länger suchen. Zwar gibt es diverse Listen von Kollegen, die eine Orientierung erleichtern sollen, aber die Auswahl ist einfach riesig. Von diesen Listen hat die Scoutliste des Fachmagazins Fairplay den wohl größten Stellenwert. Hier lagen auf den ersten Plätzen: 7 Wonders (Repos), Troyes (Pearl Games) und Navegador (PD Verlag). Damit gelingt belgischen Verlagen ein Doppelerfolg bei den Notengebern. Daneben sind für erfahrene Spieler sicher auch die Brettspiele First Train to Nürnberg (Argentum), Key West (Spiele-Idee) und Vinhos (What’s Your Game) von Interesse. Aber auch 1655 – Habemus Papam (DDD), Grand Cru (eggertspiele), Bangkok Klongs (dlp), Merkator (Lookout Games), Porto Carthago (Irongames) und Asara (Ravensburger) sprechen Vielspieler an. Wobei einige davon, insbesondere Asara, sehr gut für Gelegenheitspieler geeignet sind. Dazu bieten Der Pate (Kosmos), Skyscraper (Huch and friends), Safranito (Zoch Verlag), Discover India (Queen Games) und Ranking (Hans im Glück) beste Unterhaltung für Familien und eine breite Spielergruppe.
Kartenspiele waren in diesem Jahr wieder etwas stärker auf der Spiel vertreten. Besonders herausragende Spiele sind unter anderem Die Säulen der Erde – Das Kartenspiel, Haggis und Triumvirate (Bambus Spieleverlag), Stichmeister und Wizard Extreme (Amigo Spiele), Antigua (Adlung Spiele), Fifty-Fifty (Zoch Verlag) und Alhambra – Das Kartenspiel sowie das Spiel Freeze (Bewitched), bei dem es um Improvisationstheater geht. Überhaupt sind „Aktivitätsspiele“ im Kommen. Denn auch Crazy Dancing (Huch), ratzfatz in Bewegung (Haba) oder Cuponk (Hasbro) gehen in diese Richtung. Liebhaber von schönen abstrakten Spielen finden einmal mehr bei Rombol, Gerhards Spiel & Design oder Steffen Spiele kleine oder große Perlen.
Kinderspiele erleben wachsenden Zuspruch. Sie legten beim Umsatz um rund 15 Prozent in diesem Jahr zu und sind damit auf dem besten Wege, dem klassischen Brettspiel den Rang abzulaufen. Entsprechend war die Auswahl dieses Jahr überraschend groß. Die Kleinen Zauberlehrlinge (Drei Magier), Tier auf Tier – Das große Abenteuer (Haba), Fauna Junior (Huch), Capt’n Sharky – Ab auf die Palme (Spiegelburg), Harry Potter Hogwarts (Lego), Magicus (Beleduc), Husch, husch kleine Hexe (Zoch Verlag), Wer war’s II (Ravensburger), Kackel Dackel (Goliath) oder Water Lilly (GameWorks) gehören zu den interessantesten Kinderspielen.
Auffallend war dieses Jahr neben der Fortführung der „Spielefamilien“ wie Monopoly, aber auch die Menge an Erweiterungen und Neuauflagen. Es scheint fast so, als ob jedes einigermaßen große Verkaufszahlen aufweisende Spiel Erweiterungen erhält. Das ist für den Verlag eine sichere Sache, da hier die potenziellen Verkäufe gut kalkuliert werden können. Das, was Kosmos mit Die Siedler von Catan oder Hans im Glück mit Carcassonne vorgemacht haben, machen inzwischen selbst Kleinverlage. Auch bei den Neuauflagen sieht es ähnlich aus. Kaum laufen Lizenzen bei einem Verlag aus, ergreifen andere die Chance, um gute und bewährte Spiele wieder neu aufzulegen. Das Resultat ist eine unglaubliche Menge an guten und fast vergessenen Spielen, die dem Markt auf diese Weise erhalten bleiben.
Für Spieler ist die Messe der Startschuss in die Vorweihnachtszeit: Brettspiele, die jetzt nicht gekauft werden (können), wandern auf den Wunschzettel. Bei einigen Spielen ist dies auch notwendig, denn durch Produktionsverzögerungen gab es eine Reihe von Verlagen, die von nicht fertig gewordenen Aufträgen betroffen waren. So fehlten an einigen Ständen die Neuheiten leider ganz oder teilweise. Für die Verlage ist das ebenso ärgerlich wie für enttäuschte Spieler, denn ihnen entging auf der Spiel ein gutes Geschäft, manchen Kleinverlagen sogar das wichtigste des Jahres. Die so zwangsweise verschobenen Brettspiele sollen aber alle in den kommenden Wochen nachgeliefert und dem Handel zur Verfügung gestellt werden.
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1 Kommentar
Hallo, dieser Artikel hat mich tagelang beschäftigt. Warum eigentlich, so war es doch im Jahre 1988, als unser Sohn gerade mal 13 Monate alt war und ich seit längerem von dieser Messe erfahren habe. Soweit in Erinnerung wohl entstanden von Friedhelm Merz in den Räumen der VHS in Essen. War das ein Erlebnis, wenn ich nicht täusche, gab es eine eigene Halle für Spielplatzgeräte mit Sandkästen. Wow! 1989 kam unser zweiter Sohn zur Welt und natürlich folgte er uns in Windeln nach Essen. Ich erinnere mich an den Wittig-Stand der Edition Perlhuhn mit seinen ganzen Röhren oder wie meine Ehefrau mal bei Ingolf Lück am Ravensburger-Stand eine Einwegkamera beim Klappe Auf Spiel persönlich überreicht bekam. Die Einwegkamera war wohl das erste GiveAway. Später gab es dann mal eine Halle mit Donkey Kong auf Leinwand und elektronisch zu steuern, aber der ist wohl wieder sehr schnell in den Dschungel zurück. Schöne Spiele gab es im Historienverlag bei Jean du Poel und wenn mich alles täuscht, steht heute die Spielbox auf seinem Stand. Nun sind 22 Jahre vergangen, keine lange Zeit, aber doch eine Zeit der vielen Veränderungen. Im Zeitalter des Handy, Fax, email, Telefon und Internet glauben wir alles gleichzeitig bzw. paralell erledigen zu können. Dem ist nicht so. Zuerst erledige ich dein Anliegen und danach kümmere ich mich um dich. Genauso ist es im Spiel. Erst nach studieren der Spielregel starten wir die erste Partie. Aber hier stimme ich dem Autor zu. Alles wollen wir gleichzeitig machen: Spiel entwickeln, Spiel herstellen, Spiel produzieren und natürlich im gleichen Moment auch auf der Spiel in Essen präsentieren. Das alles leider zum Leidwesen der Käufer. Vergessen wurde nämlich: Zuerst schreibe ich dir eine gute und vollständige Spielregel und danach biete ich dir das Spiel zum Erwerb an. Dieses negative Phänomen hat sich bei der Spiel 2010 ausgebreitet. Neutral möchte ich auf fehlende Erläuterungen von Funktionen der Subventionskarten in einem zwei Jahre entwickelten Wirtschaftsspiel oder das aus Einfluss auf einmal Einkommen wird, hinweisen. Weitere Beispiele möchte ich zum Schluss nicht erwähnen, aber gerne erinnere mich wieder zurück, wo dieser Spieleerfinder mit seinem Evolutionsspiel da war und man zu Hause viel Bauarbeit leisten musste. Heute macht er mehr mit "Promidinner" und präsentiert die A la Carte dazu, aber seine Spielregel aus der Steinzeit war fehlerfrei und sofort für jeden verständlich und umsetzbar. Stimmt, die Spiel in Essen hat sich in Bezug auf die goldene Feder und das Anstreben nach Auszeichnung diese zu erhalten sehr verändert.