Das kaufmännische Talent im Spiele-Cafe
Deutsche Spiele sind in der Welt das Nonplusultra, sagt man wenigstens. Doch was ist mit anderen Ländern. Wie und was wird dort gespielt? Gibt es dort eine ähnlich rege Spieleszene? Wir wagen einen Blick über die Grenzen und haben Menschen gefragt, die es wissen müssen: Autoren, Verlage, Spieler. Natürlich können unsere Ergebnisse nur eine Stichprobe und eine Momentaufnahme sein. Die Wahrheit liegt hoffentlich dicht an unserer Recherche, vielleicht aber auch weit davon weg.
Spielen in Österreich. Man sollte meinen, dass es keine Unterschiede zu Deutschland gibt. Aber stimmt das? Gibt es am Ende doch Unterschiede? Wie sind denn unsere Spielernachbarn so beim Würfeln, Kartenlegen und Taktieren. Ist die Spieleszene in Österreich mit der deutschen vergleichbar? Und was soll überhaupt diese Überschrift mit dem Kaufmännischen Talent und dem Spiele-Cafe? Fragen, bei deren Beantwortung geholfen haben: Ferdinand de Cassan, unter anderem Herausgeber von spielen.at, des Fachblattes WIN und Mitinitiator der Auszeichnung Spiel der Spiele, Arno Miller, Herausgeber der Fachzeitung Spielwiese, Irene Schachner, Marketingleiterin von Piatnik, und Arno Steinwender, Herausgeber des Online-Magazins (und unserer Partnerseite) spieletest.at.
Bei der Beurteilung der österreichischen Spieleszene ist zunächst festzuhalten, dass es dort wie in Deutschland verschiedene Spielertypen gibt, für die je nach Vorliebe von schnellen Kartenspielen bis hin zu komplexen Taktikspielen alle Spielbereiche angeboten werden. Arno Steinwender sieht deshalb kaum einen Unterschied bei den Spielern: „Ich denke, es ist mehr eine Frage des persönlichen Geschmacks denn der Nationalität. Was jetzt auf Deutschland und Österreich bezogen ist, wo meines Erachtens die Spielkultur besonders ausgeprägt ist. In Großbritannien oder den USA spielt man sicher anders …“. Irene Schachner sieht die Österreicher jedoch etwas lockerer spielen, die „auch öfter Spielregeln nach ihren eigenen Vorstellungen ändern.“
Die Struktur für das Spielen ist in unserem Nachbarland jedoch eine ganz andere. Ferdinand de Cassan meint: „In Deutschland gab es zuerst die Krone-Spiele-Clubs, die in vielen Gebieten Spieleclubs entstehen ließen. Dann gibt es in Deutschland mehrere Gebiete, die mehr als eine Million Einwohner haben. Bei uns gibt es nur acht Millionen Einwohner, wobei im Großraum Wien 3,5 Millionen wohnen. Unsere neun Bundesländer haben Landeshauptstädte, wobei zum Beispiel Eisenstadt als Landeshauptstadt nur 10.000 Einwohner hat. Da hat sich die Szene anders entwickelt.“ Arno Miller pflichtet bei: „So konzentriert sich auch das ‚verspielte studentische Leben‘ auf wenige Orte. Spielen findet in Österreich noch sehr stark in den Familien statt. Eine für Deutschland typische Szene an ‚Freaks‘ oder so genannten ‚Vielspielern‘ mit regelmäßigen Treffen et cetera. ist in Österreich sehr, sehr klein. Dafür gibt es hier eine große Dichte an Ludotheken, die den ländlich geprägten Raum sehr gut ‚versorgt‘.“
Zumindest in den Ballungsräumen versuchen auch Dagmar und Ferdinand de Cassan das Spielen der breiten Masse zugänglich zu machen. Sie organisieren dort Spieleclubs, die so genannten Spiele-Cafes. Ferdinand de Cassan hebt dabei die Bedeutung des Wiener Clubs heraus: „Viele Spieler, die als Studenten beim Spiele Kreis Wien Mitglied wurden, sind jetzt in ganz Österreich weiterhin in der Szene tätig.“
Und diese Szene trifft sich. Sechs große Spielefeste gibt es in Österreich, das größte davon in Wien, das gemessen am Einzugsgebiet vielleicht die größte Spieleveranstaltung der Welt ist. In Österreich hat diese Veranstaltung eine enorme Medienwirkung bis in die Provinz. Arno Miller sieht hier einen „großen Vorsprung“ von Österreich gegenüber Deutschland, wo sich ähnliche Veranstaltungen erst viel später entwickelt haben. Auf den Spielefesten wird übrigens nur gespielt. Es handelt sich also weder um Messen, noch um Verkaufsveranstaltungen. Und das ist tatsächlich anders als bei den meisten deutschen Veranstaltungen.
Etwas, mit dem unsere Nachbarn dagegen nachzogen, ist der Spielepreis „Spiel der Spiele“. Mitinitiator Ferdinand de Cassan sieht diesen Preis nicht als Abgrenzung zum deutschen „Spiel des Jahres“, sondern „er geht vielmehr auf die Bedürfnisse in Österreich ein.“ Arno Miller ergänzt: „Spiel der Spiele bzw. die Untergruppen sind ein tauglicher Versuch, durch Marketing-Unterstützung des Handels eine breitere Palette eines Spielejahrgangs öffentlichkeitswirksam den Konsumenten bekannt zu machen.“ Das funktioniert, wie Irene Schachner in der täglichen Arbeit bemerkt: „Spiel der Spiele ist hier in Österreich sowohl für den Handel als auch den Verbraucher wichtig und wird von beiden Gruppen sehr gut angenommen, da viele Spiele, die in Deutschland ausgezeichnet wurden und werden, in Österreich nicht oder nur auf Sonderbestellung im Handel erhältlich sind. Die Auszeichnung wurde aus diesem Grund auch von der heimischen Presse sehr positiv aufgenommen.“ Arno Steinwender sieht hier auch ein deutliches Signal an die Vertriebe der deutschen Firmen, die Österreich zum Teil einfach nur als „weiteres Bundesland“ sehen oder deren Produkte dort gar nicht erhältlich sind.
Ansonsten unterscheidet sich das Spieleangebot kaum von dem in Deutschland. Irene Schachner kann zumindest für Piatnik, dem bekanntesten und größten Verlag in Österreich, in Relation zum Gesamtumsatz in beiden Ländern keine wesentlichen Unterschiede beim Kaufverhalten zwischen Österreichern und Deutschen feststellen. Allerdings gibt es in Österreich dann doch zwei spielerische Ausnahmen. Das erfolgreiche Die Millionenshow zur dortigen TV-Sendung wird von Piatnik nur im Alpenland vertrieben. Und dann ist da noch dieses österreichische Spiel, das in Deutschland nur ganz wenigen Eingeweihten ein Begriff ist: Das kaufmännische Talent von Perner. Mit diesem Spiel, so Arno Miller, ist „nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 80er-Jahre praktisch jedes Kind aufgewachsen. Es verkauft sich auch heute noch sehr, sehr gut.“ Das Spiel gehört also zur festen Spiel-Sozialisation unserer Nachbarn und ist Monopoly ähnlich.
Über das Spielen berichten im wesentlichen die hier Befragten mit ihren Publikationen WIN Spiele Magazin, Spielwiese und dem Online-Magazin spieletest.at. Ferdinand de Cassan ergänzt, dass es noch einige kleine Clubpublikationen gibt und „das „Buch der Spiele“, das jährlich mit zirka 540 Spielebeschreibungen in Wort und Bild herauskommt. Mit so viel geballtem Wissen kann man dann in den wenigen Fachgeschäften einkaufen gehen, die einen Marktanteil von etwa 40 Prozent erreichen. Dabei müssen allein wegen der in Österreich höheren Mehrwertsteuer etwas höhere Preise bezahlt werden. Aber auch in Österreich gibt es bei Spielen wie dem Spiel des Jahres oder dem Sieger des Spiel der Spiele Kampfpreisaktionen.
Ob nun die Österreicher im Spielecafe tatsächlich Das kaufmännische Talent spielen, kann jeder bei einem Besuch unseres Nachbarlandes selbst erfahren, fest steht nur, dass allein – wie Ferdinand de Cassan es ausdrückt – die „Spielefeste in ganz Österreich ein Zeichen sind, dass Österreich ein Land der Spieler ist!“
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