Schreibe deine eigene Geschichte zu Der Herr der Ringe
Pandemic? Tolles Spiel! Mittelerde? Tolkiens „Der Herr der Ringe“ habe ich als Buch und Film verschlungen! Als ich das Interview mit Matt Leacock zu Das Schicksal der Gemeinschaft führte, was für mich eins schnell klar: Das muss ich haben.
Jetzt habe ich es und traue mir nicht zu, eine Rezension dazu zu verfassen. Ein Spielgefühl, ein Ersteindruck muss vorerst reichen. Aber warum? Und was ist dran an dem vielleicht spannendsten Hype-Titel zur Spielemesse 2025 in Essen?
Vorab zum Ersteindruck: Wow, wooooow, einfach nur woooooooow!

Um es für unsere eilige Leserschaft kurz zu machen: Das Schicksal der Gemeinschaft ist ein unfassbar gutes Spiel. Es schreibt Geschichte, setzt eigene Akzente, fordert Interaktion, ist solo spielbar, bleibt recht eng am Gefühl der Geschichten aus dem Roman, bietet dennoch Pandemie-Mechanismen und bietet in nahezu jeder, wirklich jeder Partie immer wieder neue Herausforderungen.
Für Mittelerde-Fans ist das ein Muss
Dabei ist die Einstiegshürde für geübte Spielende recht gut machbar. Die Regeln sind sogar eher einfach, aber es sind sehr viele Details zu beachten. Und die Frage nach Pandemic: Ja, es ist ein Grundmechanismus enthalten, aber Das Schicksal der Gemeinschaft ist kein typisches Pandemic-Spiel.
Darum gibt es nur ein Spielgefühl zu Das Schicksal der Gemeinschaft

Die Geschichte der Ringgemeinschaft ist ein Epos. Frodo und Sam (ja, man muss beide nennen) laufen eine irrwitzige Strecke vom Auenland bis nach Mordor, wo mit Glück der eine Ring zerstört wird. Parallel gibt es unglaublich viele Verflechtungen der Geschichte. Die Elben, die Zwerge, herumziehende Orks, finstere Ringgeister, die Reiter von Rohan und nicht zuletzt Gondor und der zurückkehrende König.
Das alles ist als Buch ein Mammutwerk, als Film ein (fast) 12-Stunden-Werk (ja, Kino war kürzer). Als Spiel müsste ein guter Autor einen Teil davon herausnehmen und ganz stark abstrahieren. Genau das ist dann auch das, was die meisten Gesellschaftsspiele zum Thema bieten. Eine seltene Ausnahme: Der Ringkrieg.
Das Spielgefühl? Das Schicksal der Gemeinschaft ist einfach umwerfend!

Matt Leacock versucht es mit Das Schicksal der Gemeinschaft erst gar nicht. Zugleich löst er das Story-Problem auf elegante Weise. Er lässt die fast vollständige Geschichte von den Spielenden neu erzählen. Ja, von euch allen, die ihr euch Zeit für dieses Spiel nehmt. Dabei verläuft fast jede Partie anders.
Das ist einfach grandios gelöst. Wer sich an dieses Werk heranwagt, wird mit einer unglaublich dichten Geschichte belohnt. Die Atmosphäre ist grandios. Klar, ich bin Mittelerde-Fan. Aber selten hat mich ein Spiel erzählerisch so gepackt wie Das Schicksal der Gemeinschaft. Dazu bietet es noch Mechanismen, die wirklich gut miteinander verzahnt sind.
Die Besonderheit: Flexible Zielvorgaben und asymmetrische Kombos

Kommen wir zu einem der wesentlichen Punkte des Spiels. Jede Partie verläuft anders. Klar, Frodo und Sam müssen stets den Ring vernichten. Aber mindestens drei weitere Ziele werden nach empfohlener Vorgabe und je nach Schwierigkeitswunsch zufällig hinzugefügt. Besonders gemein: Alle müssen vor der Ringvernichtung erfüllt sein und alle sind nur in Absprache aller Beteiligten lösbar.
Das schafft extrem viel Abwechslung, denn alle Ziele unterscheiden sich etwas und liegen vor allem an geografisch völlig anderen Ecken von Mittelerde. Daher sind die Figuren gezwungen, weite Wege in Kauf zu nehmen und sehr gut untereinander zu agieren.

Das nächste Detail: Alle Personen erhalten zwei Charaktere. Mal spielen Frodo und Sam als Einheit zusammen mit Legolas oder Faramir (beides Top-Kumpanen), mal mit Galadriel, Arwen oder vielleicht sogar Gollum (was die Sache schwierig und einfach zugleich macht). Auch die anderen haben je zwei Charaktere. Mal sind Boromir und Gandalf ein Team, mal Eowyn und Gandalf.
Durch die Kombinationen aus Charakteren müssen sich alle Spielenden immer wieder neu auf deren unterschiedlichen Stärken einstellen. Hinzu kommen die flexiblen Ziele und auch auf Saurons Seite lässt sich die Herausforderung durch Hineinmischen von mehr Schatten-Karten anpassen.
Fünf Aktionen für eine Person, aber nur vier für einen Charakter

An der Stelle noch eine spannende Feinheit: Alle Spielenden haben für beide Charaktere fünf Aktionen zur Verfügung. Beide Charaktere können alle Handkarten nutzen und alle Plättchen, die sie beide gesammelt haben. Klar, gehört auch beides zur gleichen Person.

Aber: Pro Zug kann ein Charakter nur eine Aktion ausführen, der andere bis zu vier. Da alle Sonderfähigkeiten stets in vollem Umfang und an verschiedenen Ecken Mittelerdes benötigt werden und die Ressourcen knapp sind, muss sich die aktive Person immer wieder zu unschönen Einschränkungen durchringen. Natürlich in Absprache mit allen anderen, denn es geht um nichts weniger als die Rettung Mittelerdes. Jeder Fehler kann die Niederlage bedeuten.
Und noch ein Spielgefühl: Interaktion ist Pflicht bei Das Schicksal der Gemeinschaft

Zugleich bietet die gemeinsame Ressourcenverwaltung Chancen. Gimli produziert zum Beispiel Schwerter, die vom anderen Charakter in den Schlachten oder zum Erfüllen der Aufgaben genutzt werden können – unabhängig vom aktuellen Standort. Denn ansonsten ist ein Austausch zwischen Charakteren verschiedener Personen am Tisch nur sehr begrenzt an Zufluchten der freien Völker möglich.

Genau diese Treffen in den Zufluchten sind ein wesentliches Element. Die Spielenden müssen Karten austauschen, um erfolgreich zu sein. Sei es, um Ziele zu erfüllen, sei es, um Frodo Ringe und Mäntel zuzuschustern, die er in Mordor benötigt. Das führt nicht nur zu Diskussionen am Tisch, wer was wann wo am besten machen sollte. Es führt auch zwangsläufig zu Absprachen, wo sich Charaktere treffen müssen, um optimal auf die Situation auf dem Brett zu reagieren. Dieser kooperative Ansatz wirkt extrem belebend und fordert ähnlich wie bei Pandemic zum Zusammenarbeiten am Tisch. Und dann ist da ja noch der Schatten!
Das Böse ist immer und überall!

So schwer das alles bereits als gruppendynamische Herausforderung zu managen ist, queren allen Ortens noch die Schergen des Schattens den Weg. Das geschieht im Wesentlichen auf zwei Arten:
- Das Auge wandert immer wieder in das Gebiet, in dem die Ringträger Frodo und Sam sich gerade befinden. Das Problem: Das Auge lockt die Ringgeister an und die wiederum haben Mittel, die Hoffnung der Gemeinschaft empfindlich zu dämpfen. Ohne Hoffnung verlieren aber alle die Partie.
- Rekrutierungen und Bewegungen der Armeen. An allen Ecken und Enden tauchen Saurons Armeen auf. Irgendwann setzen sich diese Truppen in Bewegung. Langsam, aber gewaltig. Es gibt vorgegebene Strecken, auf denen das Böse den freien Völkern immer näher kommen und irgendwann angreifen – schlimmer noch – bei Würfelpech Zufluchten erobern.

Und jetzt kommt der Clou: Wie bei Pandemic wandern bei Das Schicksal der Gemeinschaft die Schattenkarten auf einen Ablagestapel, werden eher früher als später neu gemischt und oben auf das Deck gelegt. Die Folge: Die Bewegungen wiederholen sich früher oder später so, wie die Seuchenwürfel sich bei Pandemic vermehren. Es wird an den gleichen ohnehin schon gefährlichen Stellen Mittelerdes noch brenzliger. Ein wunderbarer Mechanismus, der zu einer dichten Atmosphäre führt und die Erfolge der Gemeinschaft kräftig unterminieren kann.

Durch diese beiden Kniffe gibt es Nöte: Die Charaktere auf dem Brett müssen das Auge unbedingt von Frodo weglocken. Denn bei einer Suche nach ihm droht, die Hoffnung zu sinken. Das geht über Angriffe auf Festungen oder Armeen Saurons. Sofort wechselt das Auge in die jeweilige Region.
Das Dilemma: So wichtig die Angriffe sind, so aussichtslos sind sie meistens.
Die Schlacht wird häufig nur aus einem Grund geschlagen: Um Frodo und Sam den Weg freizumachen. Durch diese Aktionen verlieren die freien Völker aber Truppen und die Charaktere Aktionen, die sie viel besser für die zwingend zu erfüllenden Ziele nutzen könnten …
Am Ende muss der Ring zum Schicksalsberg

Bleibt noch der Ring. Das Schicksal der Gemeinschaft wäre kein Spiel zu „Der Herr der Ringe“, wenn Frodo und Sam nicht zum Schicksalsberg müssten. Auf dem Weg dorthin sind Mäntel als Deckung und Ringe für die letzte Aktion unbedingt erforderlich. Denn am Ende folgt eine Suche Saurons unter erschwerten Bedingungen. Wenn die Hoffnung schon fast verloren ist, wird das zum Tanz auf dem Drahtseil.

Denn auch hier hat Matt Leacock erneut ein Kniff eingefügt: Diese Ressourcen sind begrenzt. Die Ringe noch stärker als die Mäntel. Daher müssen wieder alle zusammenarbeiten, diese Karten zur Person bringen, die Frodo führt. Nur dann gelingt die Reise zum Berg und nur dann kann der Ring vernichtet werden. Muss ich sagen, dass beide Kartentypen auch für andere Aktionen große Vorteile bringen?
Das Spielgefühl ist ein gigantisches Ui!

Das alles ist eingebettet in überschaubare Regeln und tolles Material. Besonders erhaben wirkt der Würfelturm. Gigantisch thront er als Barad-dûr neben dem Spielbrett und schützt die vielen, leider recht kleinen und fizzeligen Figuren vor dem sprichwörtlichen Überrollen. Überhaupt haben Würfel (und das Mischen der Karten) einen wesentlichen Effekt auf die Siegchancen. Läuft es schlecht, kann eine Partie nach wenigen Zügen vorbei sein. Läuft es gut, spazieren die Ringträger mit voller Hoffnung nach Mordor. Aber immer, wirklich immer entsteht eine wunderbare Neuerzählung des Kampfes gegen Sauron.

Ich will gar nicht verheimlichen, dass die Ausstattung zwar opulent, aber nicht perfekt ist. Aber das Spielgefühl ist entscheidend und der Ersteindruck nach einigen Partien durchweg positiv. Klar, Das Schicksal der Gemeinschaft ist ein thematisches Spiel. Aber es ist eins, das durch spannende Mechanismen zum Leben erweckt wird, die auch abseits des Themas überzeugen. Nur eine Rezension ist mir noch nicht möglich, weil die Besonderheiten der Kombos, der Einfluss der Zielkarten, die Relevanz des Würfelglücks und viele weitere Details erst in vielen weiteren Partien zu bewerten sind.
Und das Spielgefühl? Zieht los, versteckt euch vor den Ringgeistern, verteilt die Ressourcen mit Bedacht, lenkt das Auge ab und erzählt „Der Herr der Ringe“ neu. Erlebt und schreibt eure eigene Geschichte über Das Schicksal der Gemeinschaft.

2 Kommentare
Am erwähnten „Ringkrieg“ sind wir krachend am Regelwerk gescheitert – allzu oft traten Detailfragen idR zu den nicht selten widersprüchlichen Kartentexten auf, deren Antworten sich nicht finden liessen.
Hätte mir dieses Spiel hier längst zugelegt, wenn ich nicht ähnliches Detailgefuzzel befürchten würde.
Der Ringkrieg hatte in der ersten Auflage eigentlich keine so schlecht formulierte Regel. Die war nur didaktisch unter aller Kanone und es gab und gibt viel zu viele Spezialfälle.
Bei Das schicksal der Gemeinschaft ist das anders. Die Grundregeln sind sogar einfach. Details zu den Aktionen und Kämpfen muss man genau lesen und etwas verinnerlichen. Aber im Prinzip sind die Regeln nicht schwerer, eher einfacher, als bei einem typischen Eurogame.