Mitteilungsbedürfnis mit Pokerface
Manche Spiele verlangen Unmögliches von ihren Spielern: „Ihr dürft nicht kommunizieren!“. Dabei ist der kommunikative Anteil eines Spieleabends für viele mit ein Hauptgrund, sich überhaupt zu treffen. Und außerdem heißt es doch, „man kann nicht nicht kommunizieren“ (Paul Watzlawick, Kommunikationswissenschaftler). Ist das also ein Sabotageakt?
Sicher nicht. Kooperative Spiele wie Magic Maze, The Game oder The Gang machen das Schweigegelübde zum Programm. Nun verbieten sie nicht die Kommunikation schlechthin, sondern beschränken das auf wichtige Informationen während bestimmter Spielphasen oder über Spielelemente wie zum Beispiel die Inhalte oder Werte von Spielkarten. Dadurch erst bekommt das Spiel dann einen Sinn oder es steigert den Reiz, es zu bewältigen.
Das 2024 erschienene kooperative Pokerspiel The Gang (John Cooper, Kory Heath bei Kosmos) ist ein außergewöhnliches Beispiel dafür, wie non-verbale Kommunikation funktionieren kann, wenn man Antennen dafür hat. Und es zeigt gleichzeitig Grenzen auf.
The Gang – meins bleibt meins

Das Spiel The Gang verrät vom Titel erst mal nicht mehr über sich, als dass hier möglicherweise eine Gruppe Gleichgesinnter gemeinsame Ziele verfolgen könnten. In Wirklichkeit ist es ein Kartenspiel, das auf der populären Poker-Variante Texas Hold’em fußt. Üblicherweise spielt man Poker gegeneinander, The Gang ist aber ein kooperatives Spiel. Ziel ist es, Kartenkombinationen zu bilden und diese so einzuschätzen, dass man sie am Rundenende nacheinander in aufsteigender Reihenfolge aufdeckt. Man zeigt dies mithilfe von Pokerchips in verschiedener Wertigkeit an. Wie es genau funktioniert, könnt Ihr in der Rezension der Wilden Zockerei nachlesen.
Mitteilungsbedürfnis mit Pokerface
Da die Spieler bei The Gang nicht miteinander reden dürfen (jedenfalls nicht über ihre Kartenhand), ist das Nehmen der Chips der einzige Hinweis für die anderen, wie man sich mit seinen Karten in der Rangfolge der Gruppe einschätzt. Nur selten herrscht jedoch Einigkeit. Wer sich einen Chip nimmt, muss damit rechnen, dass ihn ihm ein Mitspieler wegnimmt, da dieser der Meinung ist, dass der Wert des Chips seiner Kombi und der richtigen Reihenfolge entspricht. Und nicht selten beginnt damit ein Hin und Her: Einer nimmt, ein anderer nimmt weg, der erste holt ihn sich zurück, vielleicht kommt noch ein Dritter dazu, der auch meint, seine Kombi wäre die richtige für den Chip.
Gescheiterte Verhandlungen
Das ist der Punkt, an dem mancher genervt aussteigt, weil er das Hü und Hott als sinnfreies Hick-Hack einstuft, dem er nicht mehr entnimmt, als dass andere dasselbe denken wie er selbst. Doch genau da, wo es spannend wird, unterbricht er damit das „Gespräch“, noch bevor es richtig angefangen hat. Wenn mir ein Mitspieler zum x-ten Mal den 1er-Chip wegnimmt, nachdem ich ihn ihm wieder und wieder weggenommen habe, ist das für beide ein Signal, darüber nachzudenken, ob die eigene Einschätzung die richtige ist. Schätze ich meine 5 auf der Hand als niedrige Zahl ein, was sie in der Tat ist, kann das beharrliche Intervenieren meines Mitspielers ja auch heißen, dass er eine noch kleinere Zahl hat. Ist vielleicht die 10 in meiner Hand sogar die höchste von allen, weil alle um die kleinen Chips rangeln? Nicht selten stellt sich heraus, dass es tatsächlich nur um einen einzigen Kartenwert Unterschied ging. Und da gehört dann auch ein bisschen Glück dazu. Am Ende ist es ein Kartenspiel.

Dennoch funktioniert das umso besser, je mehr man sich darauf einlässt, die Chips öfter zu tauschen. Nicht jedoch, ohne dabei die Reaktion der Mitspieler zu beobachten. Was sich zunächst anfühlt wie ein gegenseitiges Ärgern, ist in Wirklichkeit der unhörbare Wille der Einigung, der umso hörbarer wird, je mehr man sich auf die Reaktion der anderen einlässt. (Das soll übrigens auch im richtigen Leben ein trefflicher Weg sein, einen Konsens zu finden.) Auch die Vehemenz, mit der man den Willen äußert, trägt zum Verständnis bei, was aber an Grenzen stößt, wenn auf beiden Seiten gleichermaßen vehement agiert wird. Dann helfen nur noch Schwingungen.
Buch mit sieben Siegeln
Nicht allen erschließt sich das, womit man konstatieren muss, dass Spiele wie The Gang lange nicht für jeden geeignet sind. Jemand, der ob des ständigen Nehmen-und-Genommen-werdens genervt aufgibt und sich halt den nächstbesten Chip nimmt, gibt den anderen nicht die Signale, auf die diese warten. So als hörte jemand mitten in einer Diskussion auf zu reden. Davon abgesehen kann er damit den „Dialog“ mit einem anderen Spieler zusätzlich entfachen, was ihn vom Regen in die Traufe bringt.

John Cooper, Kory Heath und Kosmos haben mit The Gang damit – bewusst oder zufällig – ein sehr feinsinniges Spiel entworfen. Wie bei The Game (Steffen Benndorf, Reinhard Staupe, NSV) bleibt der Zugang zu dem Spiel für manche verschlossen. Diejenigen aber, die die Sprache des Spiels verstehen, erleben damit geradezu erhellende Momente, wenn nämlich nach kontroversen Verhandlungen dann das Ergebnis stimmt.
