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Kommentar zur Preisverleihung Spiel des Jahres 2006

Nacht der Magier von Reich der Spiele

Wiedergutmachung?

Der Würfel ist gefallen. Die Jury Spiel des Jahres hat die Preisträger 2006 verkündet. Gewonnen haben Thurn und Taxis für die Familien und Erwachsenen sowie Der schwarze Pirat bei den Kinderspielen. Während bei der Vergabe des roten Pöppels (Thurn und Taxis) die Spieleszene noch Beifall klatscht, reagiert sie mit Irritation auf die Vergabe des blauen Pöppels (Der schwarze Pirat). Denn mit Nacht der Magier gab es bei den Kinderspielen einen ganz anderen Top-Favoriten, wie sich in den letzten Jahren im Vorfeld der Juryentscheidung kein Spiel deutlicher herauskristallisiert hatte.

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Kritik gibt es immer wieder

Nun ist die Vergabe der Auszeichnung jedes Jahr wieder ein gefundenes Fressen für Nörgler und Kritiker gleichermaßen. Drauf auf die Jury, die eh am Spielevolk vorbei entscheidet. Besonders deutlich wird dies immer dann, wenn die Spieleszene einen anderen Liebling als den Preisträger hat. In unserem ersten Jahr, 2001, war dies zum Beispiel Medina, das nicht mal auf die Nominierungsliste kam, danach war es mal Puerto Rico, das die Auszeichnung letztlich nicht bekam. Oder 2005, als mit Niagara nur wenige gerechnet hatten. Bei der traditionellen Jury-Kloppe geht es aber meistens nur darum, der Enttäuschung Ausdruck zu verleihen, dass das eigene Lieblingsspiel nicht ausreichend berücksichtigt wurde.

Preisträger ist an der Konkurrenz zu messen

Aber sind wir doch mal ehrlich. Das großartige, aber eben auch anspruchsvolle Puerto Rico als Spiel des Jahres unter dem Tannenbaum gelegt hätte dem so genannten Kulturgut Spiel wohl eher geschadet als genützt. So ist es fast jedes Jahr. Und die Entscheidungen der Jury sind eigentlich immer nachvollziehbarerer und zugleich weniger streitbar geworden. Zumindest bei der Vergabe des Preises Spiel des Jahres. Ob Carcassonne, Villa Paletti, Der Palast von Alhambra, Zug um Zug, Niagara oder jetzt Thurn und Taxis. Die Preisträger der letzten Jahre gehen schon in Ordnung. Irgendwie. Nur muss ein Preisträger immer an der alljährlichen Konkurrenz gemessen werden. Und da gab es mitunter bessere, pardon geeignetere Spiele.

Gibt es besondere Vorlieben?

Andererseits gibt es aber immer wieder Mechanismen und Themen, auf die fliegt die Jury. Zum Beispiel Eisenbahnspiele. Zug um Zug oder auch der „Oldie“ Dampfross zeigen dies. Oder Spiele wie TransAmerika und Union Pacific. Und letztlich ist auch Thurn und Taxis in Grundzügen ein verkapptes Eisenbahnspiel, werden hier doch Streckenkarten gesammelt und Städte miteinander verbunden. Wenn es auch eigentlich um Postkutschen geht. Also ist diese Entscheidung vorhersehbar gewesen. Zumal Hersteller Hans im Glück einer der Lieblinge der Jury-Mitglieder ist. Immerhin schon zum fünften Mal bekommt der Münchener Verlag mit Miniteam die begehrte Auszeichnung. Und das Mitautor Andreas Seyfahrt mit dem wegweisenden Puerto Rico nicht bei der Jury landen konnte, mag ihm bei manchem Jurymitglied noch ein Trostpunkt gebracht haben.

Dass eine interaktionsarme knallharte Punkteoptimierung Hauptziel des Spiels ist, dürfte so manchen „Gelegenheitsspieler“ eher überfordern, der sich zu Weihnachten über sein einziges Spiel im Jahr freut. Aber die Jury kam auch aus einem anderen Grund nicht um dieses Spiel herum. Mit dem Namen Thurn und Taxis ist immer noch der Flair des Adels verbunden. Als Fürstin Gloria von Thurn und Taxis vom Verlag zu einer Partie des Spiels eingeladen wurde, wurde dies öffentlichkeitswirksam in Szene gesetzt. Eine solche Medienkanone darf sich die Jury nicht entgehen lassen. Doch ob sie damit das richtige Spiel prämiert hat, steht auf einem anderen Blatt. Nun gilt es für die Jury, diesen Namen entsprechend auszuschlachten und zugleich die eigene Pressearbeit weiter zu optimieren.

Auszeichnung etwas zu spät!

Doch die Jury ist auch lernfähig. Entscheidungen können im nachhinein in einem anderen Licht gesehen werden. Und bei passender Gelegenheit revidiert. So scheint es bei der Vergabe des Preises an Der schwarze Pirat zu sein. Denn der Mechanismus dieses Spiels folgt in abgeänderter Form dem von Akaba, einen in den Kritiken durchweg als innovativ und hervorragend beurteiltem Spiel, das die Jury 2005 komplett unberücksichtigt ließ und nicht mal auf die erweiterte Empfehlungsliste setzte.

Der Verlag Haba und Autor Guido Hoffmann verstanden die Welt nicht mehr – ebenso die meisten Spielekritiker. Aus gut unterrichteten Kreisen weiß ich, dass mit Der schwarze Pirat absichtlich ein Spiel konzipiert wurde, bei dem die möglichen „weichen Kritikpunkten“ der Jury an Akaba modifiziert und zu einem neuen Spielvergnügen kombiniert sind. Ganz offensichtlich mit Erfolg.

Und dann noch die schlechtere Wahl

Tja, in den Tests bei uns schnitt das Spiel gut ab, weil der Mechanismus eben gut ist. Aber dennoch gibt es zwei Kritikpunkte, die Der schwarze Pirat hinter Akaba zurückfallen lässt. Zum einen fehlt den Kindern die Action, die bei Akaba durch einen gewissen Zeitdruck gegeben war, zum anderen kommt ein gerade für die Kleinen problematischer Ärgerfaktor hinzu. Vor diesem Hintergrund kann ich diese Auszeichnung für das schwächere der beiden tollen Spiele nur als Wiedergutmachung der Jury für ihren Aussetzer von 2005 empfinden.

Und wieder bleibt das Top-Spiel auf der Strecke!

Und das gilt umso mehr, als dieses Jahr mit Nacht der Magier ein extrem gutes und innovatives Spiel als Konkurrent zur Wahl stand. Dummerweise von einem Verlag, der mit Schmidt Spiele den gleichen Vertrieb wie Thurn und Taxis hat. Vielleicht deshalb keine Auszeichnung für dieses Spiel? Dabei verkörpert Nacht der Magier alles, was ein gutes Spiel ausmacht. Schnell verstanden, schnell gespielt, innovative Elemente (Spiel im Dunkeln mit phosphoreszierendem Spielsteinen), großer Spielspaß, hervorragendes Material und vor allem gerne von allen Altersklassen und Spielertypen gespielt. Dieses Spiel hätte wie kaum ein zweites in den letzten Jahren die Auszeichnung verdient gehabt. Meiner Meinung nach wäre es sogar nicht nur das passende Kinderspiel des Jahres gewesen, sondern ein würdiger Träger des roten Pöppels. Es ist das perfekte Familienspiel. So bleibt den Autoren und dem Verlag nur, auf eine erneute Wiedergutmachung im nächsten Jahr zu hoffen und eine modifizierte Neuauflage mit anderem Thema zu probieren.

Verpasste Chance

Doch die Jury hat darüber hinaus auch eine echte Chance vertan. Denn Nacht der Magier hätte als Preisträger neue Impulse für die gesamte Spieleszene und weit darüber hinaus setzen können. Die innovative Idee, ein Spiel fürs Dunkle zu konzipieren, wäre ein Signal für die Welt jenseits der Szene gewesen. Das Signal, dass Spiele spannend, innovativ und modern sein können. Und das hätte so manchen penetranten Nichtspieler vielleicht zumindest mal aufhorchen lassen: „Wie, das spielt man im Dunkeln? Was, das leuchtet? Zeig mal, muss ich mir mal ansehen.“ Aber es wäre auch ein Signal an die Verlage gewesen, dass sich der Mut lohnt, neue und frische Ideen vergleichsweise kostspielig umzusetzen (leuchtende Spielsteine).

Chance vertan. Spielen bleibt für außen Stehende weiter ein kindisches und staubtrockenes Pöppelziehen. Ob mit Blasebalg oder ohne. Ob mit verkappten Eisenbahnstreckenbau oder ohne. Innovativ sind wir für die schon seit Jahren nicht mehr. Die Szene schmort im eigenen Saft, weil Wiedergutmachung bedeutender ist, als Mut zu belohnen.

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