Politisch wertvolles Kartenspiel über einen „Problemstau“
Friedrich Ebert ist nicht nur eine der wichtigsten Personen in der Geschichte der Sozialdemokratie gewesen. Er hat die Weimarer Republik geprägt und dabei einerseits die Menschen vereint und war andererseits Ziel von Angriffen der extremen Linken, Rechten und Monarchisten. Das Gesellschaftsspiel Friedrich Ebert von OSTIA Spiele und Playing History ist eine Hommage an den großen deutschen Politiker und bietet zugleich ein realistisches Geschichtsthema. Wie entsteht so ein Historienspiel, welchen Unterschied gibt es zwischen der Browserversion des Titels und dem Brettspiel und was sagen Mitautor Martin Thiele-Schwez (neben Jonas André) und Redakteur Stefan Risthaus zur Entwicklung des Titels?
„Wenn ich – in der Auseinandersetzung mit Geschichtsthemen – eine Sache gelernt habe, dann ist es, dass wir Geschichte verstehen sollten, um klug in der Gegenwart zu handeln.“
Das Browser-Spiel Ebert als Basis
Martin, erklär uns bitte kurz, was sich hinter dem Namen Playing History versteckt.
„Playing History ist ein Produktionsstudio für didaktische Spielformate. Das heißt, dass wir darauf spezialisiert sind, komplexe und schwierige Inhalte spielerisch zu vermitteln. Das wiederum machen wir mit analogen und digitalen Spielen sowie zunehmend mit Spielen im Raum – insbesondere für Museen und Bildungseinrichtungen. Und da unser Schwerpunkt eben zuallererst im Kontext der Geschichtsvermittlung lag, kam der Name ‚Playing History‘ zustande, der sich inzwischen als Marke durchgesetzt hat.“
Am Anfang gab es das Online-Spiel „Friedrich Ebert – Der Weg zur Demokratie“ als „serious Game“ auf der Webseite der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte. Wie kam es zur Entwicklung dieses Spiels? War es eine Auftragsarbeit?
„Genau. Die Gedenkstätte hatte das Vorhaben, das Leben und Wirken Eberts durch ein spielerisches Format zu vermitteln. Als Bundesstiftung, die sonst eher mit Publikationen und Veranstaltungen Vermittlungsarbeit leistet, war das durchaus ein neuer Schritt. Da es das erste Spiel der Stiftung war, suchten sie sich mit uns eben einen Partner, der die Kompetenz hat, historisches Sachwissen in eben jenes spielerische Format zu übertragen. Wir haben zirka ein Jahr im Schulterschluss daran gearbeitet und das digitale Serious Game im Sommer 2023 veröffentlicht. Jüngst wurde das Spiel als ‚Bestes Serious Game‘ zum Deutschen Computerspielpreis nominiert, was mir zeigt, dass uns die Brücke aus fachlicher Vermittlung und immersivem Spielspaß gut gelungen ist.“
Ebert heißt: Politik in ein Spiel packen
Politik zu vermitteln, ist dennoch nicht ganz einfach. Wie bist du an diese Aufgabe herangegangen. Was ist für dich die Besonderheit dieses Spiels und welche Hauptmechanismen bringen am Bildschirm den Spielspaß?
„Zunächst möchte ich sagen, dass wir mit der Ebert Gedenkstätte einen starken Partner hatten und die Zusammenarbeit eine ideale Mischung aus historischem Fachwissen und Game Design Kompetenz ergeben hat. Im Entwicklungsprozess ist für uns stets die erste Frage: Wie können wir das, was wir erzählen wollen, in einen Mechanismus packen? Als ich die jüngste Ebert-Biografie gelesen habe, resonnierte ein Wort im Speziellen mit mir – nämlich ‚Problemstau‘. Laut Ebert-Biograf Walter Mühlhausen sah sich Ebert in seinem Wirken stets mit einem Problemstau konfrontiert. Daraus kam die Idee, das spielerische Setup an Eberts Schreibtisch zu verlegen und das Gefühl von ‚ich komme nicht hinterher‘ anhand zahlreicher Briefe zu vermitteln, die durch verschiedene Interessengruppen an den Reichspräsidenten geschrieben werden. Jene Briefe bieten uns wiederum Spielraum, historische Ereignisse aus der Sicht der Involvierten zu erzählen.
Die Spielerinnen und Spieler merken schnell, dass sie in der Rolle Eberts gar nicht alle Probleme gleichzeitig lösen können, sondern eher priorisieren müssen, welchen Herausforderungen sie zuerst ihre Aufmerksamkeit widmen. Aus meiner Sicht entsteht der Spielspaß insbesondere dadurch, dass wir inhaltlich immer wieder Neues entdecken und oftmals die Situation entsteht, dass wir ganz knapp einem Zusammenbruch der Verhältnisse durch geschicktes Handeln entgehen können.“
Die Umsetzung als Kartenspiel Friedrich Ebert
Stefan, wie ist Ebert dann bei OSTIA gelandet? Warum sollte das Browserspiel zu einem Kartenspiel werden?
„Wir bei OSTIA sind immer an geschichtlichen Themen im Spiel interessiert und haben schon lange privat Kontakt zu Martin und Michael von Playing History. So verfolgen wir auch die Projekte von Playing History. Das Spiel Friedrich Ebert hat einen schnell zu erlernenden und intuitiven Spielablauf, so dass die Einstiegshürde gering ist. Durch das Setting am Schreibtisch von Friedrich Ebert und die stimmungsvoll gestalteten Karten im Brief-Design fühlt man sich direkt ins Spielerlebnis hineingezogen und nimmt aktiv am Geschehen teil.
Nachdem ich das Spiel ein paar Mal online gespielt hatte, wollten Heike und ich das Spiel gern auf dem Tisch für mehrere Personen erlebbar machen. Deshalb haben wir uns mit Martin und Michael sowie Jonas in Essen getroffen und schnell gemerkt, dass wir auf der gleichen Wellenlänge sind.“
Friedrich Ebert und die Anpassungen des Browser-Spiels, um als Kartenspiel zu funktionieren
Du hast als Redakteur sicher einige Details abändern müssen. Welche Unterschiede gibt es zwischen dem Browserspiel Ebert und dem Gesellschaftsspiel Friedrich Ebert? Gibt es markante Änderungen im Ablauf?
„Da die Online-Version grafisch auf Spielkarten in Form von Briefen und Zeitungsausschnitten basiert, war die Umsetzung nicht so kompliziert, auch wenn viele Detail-Anpassungen notwendig waren. Wir haben in Absprache mit der Stiftung Reichspräsident Friedrich Ebert sehr darauf geachtet, dass das Spielgefühl und die historische Korrektheit der online-Version erhalten bleibt.
Das Online-Spiel kann nur allein gespielt werden. Wir haben zunächst die einzelnen gesellschaftlichen Gruppen aufgeteilt und verschiedenen Spielern zugeordnet, so dass alle involviert sind, auch wenn man das Spiel allein spielen kann. Eine Herausforderung war das Handling bei Ereignissen, die von anderen Karten abhängig sind. Beispielsweise sollte man den Brief zum ‚Augusterlebnis‘ mit dem Optimismus zum Beginn des ersten Weltkriegs nicht mehr auf dem Tisch haben, wenn die Oberste Heeresleitung bereits öffentlich die Niederlage eingestanden hat. Das kann der Computer schnell im Hintergrund prüfen und die Karte aussortieren. Am Tisch müssen das die Spieler selbst erledigen. Dabei soll der Spielfluss natürlich nicht unterbrochen werden. Da haben wir einige Optionen ausprobiert und in Zusammenarbeit mit Playing History und den Autoren eine gute Lösung gefunden.“
Die Finanzierung des Kartenspiels
Warum habt ihr euch entschlossen, Friedrich Ebert per Crowdfunding in der Spieleschmiede zu realisieren? Ist es die schwer einzuschätzende Größe der Zielgruppe, in der sich Politikinteressierte und Spieler überlappen?
„Trotz mehrjähriger Erfahrung sind wir immer noch ein recht kleiner Verlag, der eine Startfinanzierung für ein Projekt gut gebrauchen kann. Außerdem können wir so Angebote an die Spieler machen, die bei einem ’normalen‘ Projekt nicht möglich sind, beispielsweise eine Nennung des Namens in der Spielregel oder auf Spielkarten, Sondermaterial in geringer Stückzahl etc.“
Geschichte zum spielerischen Erleben und die Parallelen zur Gegenwart
Martin und Stefan: Das Spiel zeichnet die wechselhafte Zeit der Weimarer Republik nach. Die Kartentexte haben zwar wenig Bedeutung für den Spielablauf, aber sind für die Atmosphäre wichtig. Ebenso wird die Zerrissenheit der Gesellschaft thematisiert. Seht ihr Parallelen zur heutigen Zeit mit der Fragmentierung der Parteienlandschaft? Welche Lehren soll das Spiel Friedrich Ebert vermitteln?
Stefan: „Leider gibt es einige Parallelen zwischen der damaligen Zeit und heute, wie das Erstarken der extremistischen Parteien und eine Skepsis der Bevölkerung gegenüber der Politik. Das Spiel kann ein wenig verdeutlichen, wie schwierig es für die Politik ist, allen Gruppen gerecht zu werden und dass es in der Tagespolitik und bei Einzelentscheidungen de facto kaum möglich ist, alle Prinzipien streng durchzuhalten und alle Bedürfnisse zu befriedigen.“
Martin: „Dem kann ich mich nur anschließen. Wenn ich – in der Auseinandersetzung mit Geschichtsthemen – eine Sache gelernt habe, dann ist es, dass wir Geschichte verstehen sollten, um klug in der Gegenwart zu handeln. Die Demokratie in Deutschland wurde gegen viele undemokratische Kräfte erkämpft und ging zeitweise verloren. Wir als Gesellschaft heute sollten unser möglichstes tun, für demokratische Werte einzustehen und undemokratische Kräfte mit einer klaren Haltung in die Schranken weisen.“
Politische Bildung über das Medium Spiel erfordert Vereinfachung
Zuletzt gab es mehrere neu Politikspiele wie unter anderem Weimar. Wie ist der Stellenwert von Gesellschaftsspielen als Teil der politischen Bildung zu bewerten? Welche Besonderheiten, Vorteile und Nachteile hat das Medium Gesellschaftsspiel in diesem Kontext?
Stefan: „Spiele mit historisch gut aufbereitetem Hintergrund geben die Möglichkeit, Entscheidungen selbst zu treffen und das Dilemma der Entscheidungsträger spürbar zu machen. Möchte ich bspw. im Spiel Weimar etwas von meinen Ressourcen abgeben, um einen weiteren Schritt der Nationalsozialisten auf dem Weg zur Macht zu verhindern – auch auf das Risiko, dass ich der einzige bleibe und die anderen ihre Ressourcen schonen?
In der Schule und Bildung allgemein wird mit derartigen Mitteln, bei denen die Lernenden aktiv einbezogen werden, viel zu wenig gearbeitet. Meist bleibt es bei passivem Wissenserwerb, der zu einer Sichtweise von oben herab als neutraler Beobachter verleitet, der es bestimmt besser gemacht hätte.
Die Nachteile oder Schwierigkeiten beim Medium Gesellschaftsspiel liegen in der erforderlichen Vereinfachung und Fokussierung auf einzelne Aspekte. Es ist auch in komplexen Spielen nicht möglich, alle gesellschaftlichen und geschichtlichen Zusammenhänge und Abläufe zu berücksichtigen.“
Martin: „Das stimmt. Gerade darum ist es uns, bei unseren Entwicklungen wichtig, zum einen Kontakt mit Lehrkräften herzustellen, um konkret deren Bedürfnisse zu berücksichtigen. Zum zweiten achten wir darauf, dass wir in den Begleitheften stets auf Vereinfachungen in der spielerischen Erzählung hinweisen und zu den historischen Ereignissen einen Kontext geben. So wird auch Friedrich Ebert – Der Weg zur Demokratie mit einer Chronik erscheinen, die alle Ereignisse noch einmal genau kontextualisiert.“
Service-Links zum Kartenspiel Friedrich Ebert
- OSTIA Spiele
- Playing History
- Ebert in der Spieleschmiede
- Online-Version des Spiels
- über Friedrich Ebert
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