Wirft man – quasi im Vorbeigehen – einen flüchtigen Blick auf den Spielplan von Strasbourg, mag man zunächst einen etwas wirren Eindruck von dem haben, was da u. a. das Stadtbild darstellen soll. Die, die sich von diesem ersten Eindruck bereits haben abschrecken lassen, sollten erst recht weiter lesen, denn sie haben was verpasst!
Um die Machtverhältnisse im Strasbourg des späten Mittelalters geht es in dem Spiel von Stefan Feld, das den Namen der Hauptstadt der Region Elsass trägt. Handwerkerzünfte kloppen sich um die Vorherrschaft im Stadtrat, die Spieler kloppen sich darum, Ihre Angehörigen in den Zünften unterzubringen, um so an der Macht teilzuhaben. Wer durch Familienmitglieder im Stadtrat und durch das Erfüllen von Aufträgen am Schluss die meisten Prestigepunkte ansammeln konnte, gewinnt. Aber nicht nur die Zünfte sollen beeinflusst werden. Auch die Kaufleute und – natürlich – die Kirche sollen ihre Macht nicht ungeteilt einsetzen.
Um ihren Einfluss geltend zu machen, verfügen die Spieler über Einflusskarten (je vier in den Werten 1-6). Von einem eigenen gemischten Stapel zieht jeder Spieler zu Beginn jeder Runde so viele Karten, wie er meint einsetzen zu wollen. Jeder weiß: Das Spiel geht über fünf Runden, auf die man seine 24 Karten aufteilen muss. Es gilt also, mit Bedacht die Anzahl der Karten zu wählen.
Die gezogenen Karten ordnet man dann – rein gedanklich – den folgenden sieben Versteigerungen einer Spielrunde zu. Dazu bildet jeder verdeckt kleine Stapel (Stapel = mindestens eine Karte), von denen, beginnend beim Startspieler, je Versteigerung jeder reihum einen aufdecken darf, wenn er möchte.
Wenn man nun gedanklich seine 24 Einflusskarten auf die fünf Spielrunden aufteilt, kommt man zum Ergebnis, dass im Schnitt ca. fünf Karten pro Spielrunde genug sein sollten. Das bedeutet auch, dass man an allen sieben Versteigerungen einer Runde kaum teilnehmen kann. Man bildet also meist zwei, drei Stapel und setzt Schwerpunkte.
Welche Versteigerungen einen erwarten, sieht man auf Pappstreifen, die bei jeder Partie in zufälliger Weise neu angeordnet werden. Jeder Pappstreifen gilt für eine Runde. So ist zwar die Reihenfolge der Versteigerungen auf den einzelnen Pappstreifen immer dieselbe, aber die Reihenfolge der Streifen variiert.
Eine Runde beginnt immer mit der Einflussnahme auf den Adels- und den Kirchensitz im Rat. Beide Sitze bringen je einen Prestigepunkt, wirken sich aber erst am Ende der Runde richtig aus. Der Spieler auf dem Adelssitz nämlich baut am Ende der Runde ein Gebäude, der Kirchensitz erlaubt seinem Inhaber, eine Kapelle zu bauen. Beides kann für die Erfüllung von speziellen Aufträgen, die zu Spielbeginn verteilt werden, wichtig sein.
Dazwischen liegen aber noch die restlichen Versteigerungen. In jeder Runde werden drei verschiedene Zünfte (von fünf) und dreimal die Kaufleute beeinflusst. Das Besondere ist, dass bei einer Versteigerung, in der es um Zünfte geht, nicht nur der Erste gewinnt, sondern, je nach Spielerzahl, die Zweit- und Drittplatzierten auch noch etwas abbekommen. Von den Zünften erhält man bei entsprechender Platzierung ein Warenplättchen, einen Platz für ein Familienmitglied (Pöppel) in der Stadt und/oder einen Sitz im Rat (= ein Prestigepunkt).
Wer hingegen die Kaufleute erfolgreich beeinflusst, darf als einziger seine bis dahin gesammelten Warenplättchen wieder verkaufen. Dies ist die einzige Möglichkeit, an Geld zu kommen und darum nicht unwichtig. Geld wird benötigt, um seine Familienmitglieder in der Stadt unterzubringen, wenn man das Recht dazu erhält. Am Ende jeder Runde erhält jeder für seine Familienmitglieder im Rat je einen Punkt und der, der die meisten Mitglieder im Rat hat, ein Privileg. Das kann er bei einer der Versteigerungen einsetzen, um anderen Spielern bei der Abgabe ihres Gebots den Vortritt zu lassen. Die anderen Runden verlaufen bei Strasbourg nach gleichem Schema. Das Spiel endet nach fünf Runden.
Wenn auch die Versteigerungen im Mittelpunkt der Aktionen stehen, ist doch ein anderes Element das Kernstück von Strasbourg: die Planungsphase. Es gibt unzählige Spiele mit Versteigerungsmechanismen, doch keines lässt den Spielern über das Mittel der Planung einer Versteigerung so viel Platz für Entscheidungen, wie Strasbourg. Abgesehen davon, wie man die Karten zieht, lässt Stefan Feld den Spielern freie Hand für den Einsatz der Karten bis hin zur denkbar ungünstigsten Lösung, seinen Einsatz verfallen zu lassen.
Jeder Spieler muss zu Beginn einer Runde bei Strasbourg entscheiden, wie viele Karten er von seinem Stapel zieht. Geleitet von den Gedanken an seine Aufträge schwirren ihm dabei womöglich schon eine ganze Reihe von Fragen durch den Kopf: Wie viele Karten wurden bereits gezogen bzw. wie viele bleiben einem noch für die restlichen Runden? Welche Karten (Werte) zieht man vom Stapel? Welche Versteigerungen erwarten einen in der Runde? Wie viele Karten ziehen die anderen? Und ganz wichtig: Auf welche Versteigerung(en) kann man verzichten?
Das klingt einigermaßen komplex, ist es womöglich auch, aber es lässt dem Spieler in erster Linie mal alle Entscheidungen offen. In gewisser Weise fühlt man eine ungewöhnliche Freiheit bei Strasbourg. Wo sonst Regeln das Nadelöhr bilden, regelt man sich in diesem Fall fast selbst – so fühlt es sich jedenfalls an, und das macht großen Spaß! Selbst, wenn man seine Stapel einmal festgelegt hat (man darf sie später nicht mehr verändern), kann man immer noch spontan entscheiden, ob man sie nun so einsetzt, wie man es anfangs dachte oder ob man vielleicht doch auf das unerwartete Gebot des Vordermannes mit Passen reagiert und dafür bei einer anderen Versteigerung mitbietet. Wohlgemerkt: Man legt nur die Stapel an sich fest, nicht die Reihenfolge, in der man sie ausspielt.
Nur eines sollte man verhindern: Einen Stapel ungenutzt verfallen lassen. Denn alle Karten sind am Ende der Runde weg, mit einer Ausnahme: Wenn man mitbietet aber nichts erhält, darf man eine Karte seines Gebots wieder unter seinen Kartenstapel schieben. Das ist deswegen ein richtig toller Kniff, weil man auf diese Weise – bewusst eingesetzt – eine bereits ausgespielte Karte wieder ins Spiel bringt und damit sein Kontingent an Karten indirekt erhöht. Klasse gelöst!
Da eine Versteigerung immer derjenige eröffnet, der die vorige gewonnen hat, kommt es innerhalb einer Spielrunde auch nicht zu einem entscheidenden Vorteil für den in Hinterhand sitzenden Spieler. Und selbst der, der das erste Gebot abgeben müsste, kann sich gegen Abgabe eines Privilegs in der Reihenfolge nach hinten katapultieren und erst mal sehen, was die Konkurrenz so treibt. Beides sind dynamische Lösungen mit Potenzial zum Taktieren.
Wer schließlich eine Runde oder auch nur eine Versteigerung nach seinen Vorstellungen abschließen konnte, steht immer noch vor der Aufgabe, die Zusammenhänge zwischen den Möglichkeiten, die ihm die gewonnene Einflussnahme bietet und den Erfordernissen der Punkteausbeute zu entscheiden. Wohin setzt man sein Familienmitglied? Diese Aufgabe lässt sich erst nach ein paar Partien vom Start aus einschätzen.
Und damit wird es ganz klar strategisch. Denn wer schon in der ersten Runde den Einsatz bei einer der Zünfte verpasst, die für die Erfüllung eines Auftrages beeinflusst werden muss, kann u. U. schon nach der zweiten Versteigerung einen Auftrag nicht mehr erfüllen. Da heißt es von Beginn an „wach sein“!
Erhalten die Spieler während der aktiven Spielphase kaum Punkte, ändert sich das mit der Schlusswertung. Hier werden alle Aufträge aufgedeckt und ausgewertet. Dann entscheidet sich, wer seine Familienmitglieder auftragsgerecht einsetzen konnte, wer die Kapellen in die Nähe seiner Familie gebaut hat und wer die lukrativsten Häuser umringt.
Aus dem Bauch heraus spielt man Strasbourg nur in der ersten Partie. Dann merkt man, dass man planen, taktieren und flexibel reagieren muss – und kann! Und doch: Trotz aller Grübeleien, gerade in der Planungsphase, ist die Spieldauer mit ca. 20 Minuten pro Person angenehm kurz für ein Spiel mit so viel Tiefe. Die Spielregel ist schlanke acht Seiten kurz und verhilft zu einem einwandfreien Einstieg. Das Material ist insgesamt gut. Die Sichtschirme sind zwar nicht sehr hoch, doch müssen sie auch nur Plättchen und Münzen vor den neugierigen Blicken der Mitstreiter verbergen, was kein Problem ist.
Die Grafik – ja, darüber kann man streiten. Für meinen Geschmack ist der untere Teil des Spielbretts zu unruhig und wirkt überfrachtet. Auch über ein paar Kleinigkeiten, wie eine fehlende grafische Krücke, dass bei der dritten Kaufmann-Versteigerung ein Platz im Stadtrat zu besetzen ist, kann man diskutieren. Hilfreich wäre es, wenn die Phasen H und I einer Spielrunde optisch abgetrennt würden; es würde die Spieler daran erinnern, dass dort keine Karten mehr vonnöten sind.
Aber das alles dämpft den Spielspaß, den Strasbourg verbreitet, nicht nachhaltig. Mir gefällt es ausgesprochen gut. Weil es einen thematisch einfängt, aber vor allem, weil es dem Spieler Entscheidungen abverlangt und gleichzeitig Möglichkeiten zur Lösung einräumt. Es verlangt strategische Planung und taktische Winkelzüge – und ist daher eher kein Familienspiel. Zu viert und fünft entfaltet es seinen vollen Reiz, doch auch zu dritt spielt es sich schon gut.
Infos zu Strasbourg
- Titel: Strasbourg
- Verlag: Pegasus Spiele
- Autor: Stefan Feld
- Spieleranzahl (von bis): 3 - 5
- Alter (ab oder von bis in Jahren): 12
- Dauer in Minuten: 90
- Jahrgang: 2011
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