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Streitegspräch zwischen Franz-Benno Delonge und Friedemann Friese über (Spiel-) Regeln

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Der Richter und sein Denker

Als wir die beiden Autoren Franz-Benno Delonge und Friedemann Friese baten, bei einem „Experiment“ mitzumachen, waren alle Beteiligten zunächst skeptisch. Umso erfreulicher war das Ergebnis. Wir gaben den beiden das Thema „(Spiel)-Regeln“ vor und ließen sie nach Herzenslust diskutieren. Zu beachten ist dabei, dass beide in längeren Blöcken geantwortet haben, wir diese etwas aufbereiten mussten und deshalb der eine oder Übergang etwas „hart“ wirken könnte. Als Eingangsfrage war vorgegeben: „Gibt es Bestandteile von „typischen“ Spielregeln, die unbedingt ins „echte“ Leben zu übertragen sind?“

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Franz-Benno Delonge ist Richter in München. Von ihm stammen unter anderem die Spiele Big City (1999, Goldsieber) und Trans America (2002, Winning Moves) von Franz-Benno DelongeFranz-Benno: „Also, diese Frage wäre leicht zu beantworten: Nein. Denn man überträgt nichts von ‚Spielregeln‘ ins echte Leben, sondern nur umgekehrt. Spielregeln sollten Aspekte der Wirklichkeit abbilden, weil ein gutes Spiel das Leben kopiert; hingegen gibt es keinen Grund für das wirkliche Leben, wieso es irgendwelche ‚Spielregeln‘ übernehmen sollte.“

Friedemann: „Also, diese Frage wäre leicht zu beantworten: Ja! Wenn alle guten Spiele das Leben kopieren, spiele ich viele nicht gute Spiele. Es ist doch im Spiel gerade möglich, Aspekte des Lebens mal ganz anders zu erleben beziehungsweise ganz andere Realitäten zu spielen. Und dies wird von mir immer wieder als positiv empfunden.
Ferner ist der Umstand, dass im richtigen Leben die Reichen immer reicher werden, nicht besonders spannend, wenn dies durch ein Spiel kopiert wird. Es gibt ja immer wieder den Kritikpunkt an einem Spiel, bei dem „die Schere auseinander“ geht. Wenn man das richtige Leben kopieren würde, müsste man zum Beispiel Die Siedler von Catan weiter als zehn Siegpunkte spielen, weil ab dann die Schere nämlich richtig lecker aufgeht.
Anders herum könnten die Gesetzgeber viel von Spielen lernen und somit Regeln aus Spielen in ihre Gesetzgebung integrieren.
Wenn es grundsätzlich ein Problem der Realität ist, dass die Reichen immer reicher werden und die Armen immer ärmer, kann die Politik im Optimalfall die verschiedenen geglückten Versuche von Spielautoren, dies zu verhindern, beleuchten und schauen, wie man diese Erkenntnis in das reale Leben transportieren kann.“

Franz-Benno: „Aber ich verstehe diese Frage jetzt einfach in einem etwas weiteren Sinn: Gibt es bestimmte Regeln, die sowohl im echten Leben (als ‚Gesetze‘) als auch im Spiel (als ‚Spielregeln‘) zwingend erforderlich sind? Nun – das echte Leben ist anarchisch.“

Friedemann: „Schön wär´s ;-)“

Franz-Benno: „Es herrscht im Prinzip das Recht des Stärkeren; Regeln gelten dann und nur dann, wenn hinter ihnen eine Macht steht, die sie durchsetzen und Verstöße bestrafen kann. In der einen Gesellschaft herrscht die Mehrheit, in der nächsten ein Monarch, in der anderen eine bestimmte Gruppe. Jeweils die herrschende Einheit bestimmt die Regeln so, dass das Leben für diese herrschende Einheit so angenehm wie möglich wird. Denkbar ist da im Prinzip alles – von der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft bis hin zur wüsten Willkürherrschaft.
Im Spiel ist die Bandbreite hingegen von vornherein eingeschränkt: Die Regeln müssen so sein, dass jeder Mitspieler Spaß am Spiel hat – sonst spielt er nicht mit. Daraus resultieren bestimmte zwingende Vorgaben.
Nehmen wir das Beispiel Monopoly: Wenn der eine Spieler mit 5.000 Mark ins Spiel gehen würde, der andere aber mit 500.000 Mark, dann hätte der erste keinen Spaß am Spiel und würde nicht mitspielen.
Im echten Leben passiert aber genau das: Der eine kommt als armer Schlucker auf die Welt, der andere als Milliardenerbe. Im echten Leben funktioniert das, weil der arme Schlucker keine Alternative hat – er muss aus seinen schlechten Karten das beste machen. Im Spiel hingegen würde jeder sagen: Ein sehr schlechtes Spiel – ich spiele lieber was anderes …“

Friedemann Friese studiert Mathematik in Bremen. Von ihm stammen unter anderem die Spiele Wucherer (Abacusspiele) und Funkenschla (aus seinem Eigenverlag 2F-Spiele) von Reich der SpieleFriedemann: „Ja, Du hast recht!“

Franz-Benno: „Zusammengefasst: Die tauglichen Regeln im Spiel sind sehr viel enger als die möglichen Regeln im echten Leben. Denn die Regeln eines Spiels müssen jedem einzelnen Mitspieler ein gewisses Vergnügen versprechen, wenn er sich nach diesen Regeln mit anderen messen soll. Im echten Leben gilt diese Einschränkung hingegen nicht.
Je gleichmäßiger aber in einer menschlichen Gesellschaft die Macht verteilt ist, umso ähnlicher werden die Gesetze einer solchen Gesellschaft guten ‚Spielregeln‘ – weil sie eben zur Zufriedenheit aller funktionieren müssen.“

Friedemann: „Sollte man sich damit abfinden und nicht in den Spielen nach guten Konzepten suchen, die diesen Missstand beheben?
Diese gleichmäßige Verteilung der Macht ließe sich über Spielregeln realisieren, die der Gesetzgeber durch zum Beispiel Planspiele erzeugt hat.
Wenn man zum Beispiel die aktuelle Entwicklung in der Formel 1 sieht, in der Ferrari immer wieder gewonnen hat und die Betreiber gemerkt haben, dass das Ganze für die Zuschauer dadurch ziemlich langweilig geworden ist, haben sie neue Regeln zu Beginn der aktuellen Saison beschlossen – und diese Formulierung erinnert mich schon sehr an Spielregeln, welche ich aus meinen Spieleautorenpraxen kenne.
Und nun noch mal zu Deiner Äußerung ‚Spielregeln sollten Aspekte der Wirklichkeit abbilden, weil ein gutes Spiel das Leben kopiert‘: Nein, ein gutes Spiel idealisiert das Leben und schafft eine Utopie mit gleicher Ausgangsposition und gleichen Chancen. Ich sehe keinen Nachteil darin, zu versuchen, dies auf das richtige Leben zu übertragen.“

Franz-Benno: „Friedemann, Du scheinst tatsächlich zu meinen, das Leben solle vom Spiel lernen, statt umgekehrt. Ein gutes Spiel sei keineswegs ein ‚Nachbau‘ bestimmter Lebenswirklichkeiten, sondern eine positive Utopie – das Modell eines besseren Lebens.
Das greift mir viel zu hoch. Keines meiner Spiele erhebt einen solchen Anspruch, und von deinen Spielen, die ich kenne, kann ihn eigentlich auch keines ernsthaft erheben. Kein einziger von uns Spieleautoren bemüht sich um ein ‚Modell einer besseren Welt‘, sondern wir sind ganz einfach froh, wenn wir irgendeinen Mechanismus finden, der Spaß macht und funktioniert.
In meinem Fall ist es so, dass mir solche Mechanismen nur dann einfallen, wenn ich einen bestimmten Vorgang in der Realität sehe, der mir als Modell für ein Spiel zu taugen scheint. Ich bemühe mich dann, diesen Vorgang in einem Spiel schematisiert, aber doch im Kern reell abzubilden.
Andere machen es anders; sie haben zuerst einen Mechanismus und suchen sich dann ein Thema dazu. Solche Spiele gefallen mir meistens nicht.“

Friedemann: „Also so pauschal behaupte ich nicht, dass das Leben vom Spiel lernen soll, sondern dass die Regel setzenden Instanzen des wirklichen Lebens von dem Schreiben einer Vereinssatzung bis hin zur Verabschiedung eines weltweit gültigen Gesetzes durchaus von den Erkenntnissen lernen können, die wir Spieler und Spieleautoren aus der Regelkunde und dem Regelschreiben und –verändern gelernt haben.
Solche Regeln sind in der Realität ja auch überall zu sehen, wie zum Beispiel das Kartellgesetz. Wobei das Kartellgesetz natürlich eine Entwicklung gewesen sein wird, die Gesetzgeber als sinnvoll und marktregulierend erkannt haben und so eingeführt haben, wie eben ein Autor solche Regeln auch einführt, um zum Beispiel zu erreichen, dass ein Führender noch eingeholt werden kann, sprich der Wettbewerb nicht stirbt.
Nun lassen sich sicherlich viele sinnvolle kreative Ideen der gesamten Spieleautorenschaft finden, die in der Realität den Wettbewerb dauerhaft spannend halten. Und ich trete dafür ein, dass die Politik davon durchaus lernen kann und diese Erkenntnisse in Gesetze mit einfließen lassen kann.
Ich bin aber auch nicht der Meinung, dass wir Autoren uns dransetzen und eine Utopie einer besseren Welt erdenken, aber zumindest herrschen in Spielen so utopische Zustände wie eine gleiche Ausgangsposition für alle, was ja im normalen Leben niemals so pur gelingen wird.
Auch ich nehme Mechanismen aus der realen Welt, welche mich interessieren, und wandele diese dann in Spiele um, aber auch dort idealisiert man diese Mechanismen zum bestmöglichen bzw. bestspielbaren hin, also erschafft schon wieder eine Utopie. Und diese verbesserten Mechanismen können durchaus ja Modell für die Realität werden, um somit das Spiel als Modell zu Erprobung und Verbesserung von Mechanismen der realen Welt zu sehen, welches dazu taugen kann, auf dem Rückweg die Realität zu verbessern.“

Franz-Benno: „Ich sehe jetzt die politische Dimension unserer Ausgangsfrage.
Ich hatte sagen wollen, dass keineswegs alle Aspekte der Realität als Modell für ein Spiel taugen. In einem Spiel muss es jedenfalls immer darum gehen, sich aus gleicher Ausgangssituation an einer für alle Spieler gleich schwierigen Aufgabe zu versuchen. Kein Spieler wäre bereit, ein Spiel mitzuspielen, in dem er von vornherein schwächer startet als der Gegner. Deshalb scheiden viele Vorgänge oder Zustände der Realität als Vorlage für ein Spiel von vornherein aus.
Aus dieser allgemeinen und eigentlich wertneutralen Feststellung machst Du eine politische Forderung: Du willst diese spiellogisch zwingende Einschränkung als moralisches Prinzip ins echte Leben übernehmen. Im Sinne der Ausgangsfrage hieße das also: ‚Die spieltypische Chancengleichheit aller Spieler ist unbedingt als Ordnungsregel ins echte Leben zu übertragen.‘
Rein von der politischen Aussage her kann ich dem zustimmen. Eine radikal liberale, genussorientierte Leistungsgesellschaft funktioniert genau dann am besten, wenn die individuelle Leistung individuell belohnt wird; genau dann setzt jeder seine Fähigkeiten optimal ein. Dazu passt es nicht, wenn die Spieler mit verschieden viel Geld (Monopoly) beziehungsweise verschieden vielen Siegpunkten (Siedler von Catan) starten und dann eine Belohnung (Spielgewinn) einfahren, ohne dass dem eine entsprechende individuelle Leistung zugrunde liegt.
Ich glaube aber nicht, dass diese politische Diskussion mit Argumenten aus der Logik des Brettspiels irgendwie vorangebracht werden kann. Denn da liegen doch einige Dimensionen dazwischen.
Im Spiel ist die Frage simpel und beantwortet sich von selbst: Nur bei Chancengleichheit findet man Mitspieler.“

Friedemann: „Ich will ja gar nicht revolutionär drangehen und die Reichen enteignen und das Geld den Armen geben oder Planwirtschaften einrichten. Es geht vielmehr darum, Mechanismen zu finden, die den Wettbewerb und somit auch die Leistung der gesamten Gesellschaft erhöhen, und ich glaube, dass diese Mechanismen in Spielen zu finden sind. Aber ist es denn strafbar, davon zu träumen, Gesetze zu finden, die jedem Neugeborenen die Chance ermöglichen, den Weg im Leben einzuschreiten, den dieser Mensch im Verlauf seines Lebens für den für sich richtigen hält.
Von Spielen zu lernen, heißt einfach, für alle transparente Regeln, die dafür sorgen, dass alle, aber besonders die schlechter stehenden, immer Chancen haben, ihre eigene Situation zu verbessern.“

 

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