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Watson & Holmes

Deduktionsspiel Watson & Holmes - Foto von Space Cowboys

Infos zu Watson & Holmes

  • Titel: Watson & Holmes
  • Verlag: Space Cowboys, Asmodee
  • Autor: Dr. Jesús Torres Castro
  • Spieleranzahl (von bis): 2-7
  • Alter (ab oder von bis in Jahren): 12
  • Dauer in Minuten: 45-75
  • Jahrgang: 2018

Ein kompetitives Detektivspiel im viktorianischen London

Noch vor einem Jahr habe ich festgestellt, dass es erstaunlich wenige Deduktionsspiele zu Sherlock Holmes gibt (zumindest weniger, als man bei einem so bekannten Stoff erwarten würde). Nun, Watson & Holmes von Dr. Jesús Torres Castro (Space Cowboys) ist eines. Ein Krimispiel, um genau zu sein. Schon länger auf dem englischsprachigen Markt, kommt es nun im Vertrieb von Asmodee nach Deutschland. Wir schlüpfen in die Rolle von Detektiven und spüren bislang unveröffentlichten Fällen aus den Tagebüchern von Dr. Watson nach. So beschrieben erinnert es stark an Cluedo – dabei spielt sich Watson & Holmes gänzlich anders. Und das nicht nur, weil es sich nicht auf eine Villa beschränkt. Die Fälle sind zumeist etwas komplexer als die bloße Frage nach Tatort/Raum – Tatwaffe – Mörder. Hier gilt es das Unmögliche vom Unwahrscheinlichen zu trennen. Jeder Fall ist dabei nur einmal spielbar – schließlich kennen wir danach die Lösung (bei dreizehn Fällen dauert es dennoch, bis uns die Rätsel ausgehen). Kompetitives Escape-Spiel-Feeling? Ein klein wenig. Es hat aber auch ein bisschen was von einem Krimidinner. Und ist doch keines von beidem.

Klingt ungewöhnlich? Ist es auch. Irgendwie. Dabei gibt es (und das schon lange) ein Spiel mit durchaus ähnlichen Zügen: das Sherlock Holmes Criminal Cabinett. Spiel des Jahres von 1985, und ja, ebenfalls in Sir Arthur Conan Doyles Welt angesiedelt. Und wie damals ermitteln wir, tauchen mit Watson & Holmes buchstäblich ein ins viktorianische London …

Ehrensache: Dieser Artikel enthält keine Spoiler, die das Krimivergnügen trüben

The game is afoot: So spielt sich das Detektivspiel Watson & Holmes

Wir starten mit der Fallakte, genauer gesagt mit einer Art Prolog, der auf der Rückseite der Akte steht und ins Geschehen einführt. Dabei werden auch die zu lösenden Fragen gestellt. Und schon hat das Spiel begonnen. In der Besuchsphase, die nicht nur dem Namen nach an das Kartensammelspiel Holmes erinnert, gilt es zu entscheiden, an welchem der Orte in der Kartenauslage wir zuerst ermitteln wollen. Natürlich ist es naheliegend, dabei den Hinweisen aus dem Prolog nachzugehen.

Nur was, wenn wir alle (oder zumindest einige von uns) an denselben Ort wollen? Hier kommt der Auktionsmechanismus ins Spiel: Wer die schnellste Kutsche hat, ist auch zuerst da. Anders gesagt, wer von uns die meisten Droschkenmarker bietet, vertreibt die übrigen (die dann erneut wählen und natürlich bieten können).

Manche Karten sind aber auch von vornherein gesperrt, weil die Polizei dort ermittelt. Das lässt sich dann nur lösen, wenn wir diese mit einem Abberufungsmarker wegschicken können (der Ort ist für alle wieder zugänglich) oder uns in der Ermittlungsphase mit einem Dietrich(-marker) an den Polizisten vorbeischleichen (der Ort bleibt für alle anderen gesperrt).

Während der Ermittlungsphase dürfen wir die Karte unseres Ortes lesen und, elementar, uns Notizen dazu machen. Wer irgendwann glaubt, des Rätsels Lösung zu haben, schreibt diese auf und geht in der nächsten Besuchsphase in die 221B Baker Street. Dort gleicht er seine Antworten mit denen der Karte ab. Hat er alles richtig, hat er gewonnen. Wenn nicht, scheidet er aus und wird zu Sherlock Holmes. Wir übrigen können ihm nun über eine Sonderaktion Fragen zu den Lösungen stellen (nach bestimmten Vorgaben). Neben Holmes können wir übrigens (schon von Spielbeginn an) auch Watson als Sonderaktion wählen und einen Mitspieler anweisen, seine Karte für alle laut vorzulesen.

Wie schwer ist das Detektivspiel Watson & Holmes?

Der erste Fall ist als Einführungsspiel noch etwas schlichter gehalten. Ab Fall 2 bekommt jeder von uns eine Charakterkarte mit einer (zunächst geheimen) Sonderfunktion. Diese verkomplizieren den Ablauf aber nicht nennenswert und fügen sich nahtlos in den Spielablauf ein. Insgesamt sind die Fälle nach drei Schwierigkeitsgraden gestaffelt. Dabei werden nicht nur die Fälle an sich komplexer, sondern auch die Spielmechanismen variieren: Manche Fälle haben Sonderregeln, die von minimalen Anpassungen bis hin zu taktisch nutzbaren Neuerungen reichen. Spieler, die Escape-Spiele mögen, Krimifans und alle, die Rätsel mit Ausschlussverfahren und Ähnliches mögen, werden bei Watson & Holmes gut zurechtkommen. Tatsächlich kommt es sogar vor, dass wir zu kompliziert denken und der Penny deshalb einfach nicht fallen will. Trotzdem bleibt das Niveau durchgehend anspruchsvoll. Die Altersangabe ist mit ab 12 Jahren gut gewählt.

Im viktorianischen London: Wie atmosphärisch ist das Detektivspiel Watson & Holmes?

Im Gegensatz zu den Exit-Spielen ist der Storytelling-Aspekt bei Watson & Holmes elementar. Sprachlich und stilistisch sind die Prologe sehr angenehm zu lesen und erinnern zunächst tatsächlich mehr an den Anfang einer Holmes-Geschichte denn an ein Spiel. Besonders gelungen ist der Einstieg ins Spiel jedoch mit dem zugehörigen QR-Code, durch den wir uns die Anfangsszene vorlesen lassen können. Neben dem Auditiven ist die Welt von Sherlock Holmes auch optisch und haptisch sehr schön aufbereitet. Die Figuren sind aus Pappe und dem viktorianischen Zeitstil gemäß gekleidet, die Fallakten sind aus scheinbar vergilbtem Papier, die Karten der einzelnen Fälle werden in dafür vorgesehene Umschläge sortiert … Die kleinen Dinge sind unendlich wichtig.

Auch dramaturgisch ist die Umsetzung gelungen. Der Spannungsbogen der einzelnen Fälle funktioniert, die Herausgeberfiktion des Spiels an sich (in der Spielanleitung heißt es, der Autor sei nur der Herausgeber von aufgetauchten Fragmenten aus Watsons Tagebüchern) ist eine schöne Beigabe, die besonders Literaturbegeisterte ansprechen wird.

Ein weiteres besonderes Detail ist die Gestaltung der Spieleschachtel, die nicht nur aufrecht steht und damit mehr an ein Buch denken lässt. Haben wir alles durchgespielt, können wir auch den Schuber umdrehen, sodass ein „gelöst“ und eine römische I zu sehen sind. Ein schönes Gimmick, das außerdem den Gedanken nahelegt, dass es evtl. weitere Watson & Holmes-Fälle geben könnte.

Ermitteln wir mit Watson & Holmes lieber in der Gruppe oder im Duell?

Gestalterisch-redaktionell gibt es wirklich wenig, was man bei Watson & Holmes noch verbessern könnte. Der Spielmechanismus selbst könnte aber mehr Atmosphäre aufkommen lassen; hier wird das Potenzial nicht voll ausgeschöpft. Zwar sind die verschiedenen Fälle in Dramaturgie und Rätselkonzept abwechslungsreich und bauen auch eine gewisse Spannung auf. Trotzdem fehlt uns das gewisse Etwas. Vor allem wünschen wir uns schnell mehr Interaktion. Gerade der kompetitive Charakter ist es, der dafür sorgt, dass wir uns in unseren eigenen Ermittlungen zurückziehen, fast isolieren. Jeder notiert, grübelt, analysiert, knobelt für sich allein. Daher macht es für das Spielgefühl auch gar keinen so großen Unterschied, ob wir im Duell oder in einer großen Gruppe spielen. Die wenigen interaktiven Elemente greifen zwar ein wenig besser, wenn wir mit mehr Mitdetektiven unterwegs sind, sollten aber insgesamt mehr mit dem Spielgeschehen verknüpft sein. Das gilt für die Sonderfunktionen der Charaktere ebenso wie für den Auktionsmechanismus. Manchmal entsteht in der Besuchsphase ein Überbietungswettstreit, meist weichen wir uns aber auch in größeren Runden eher aus – schon deshalb, weil wir nicht unendlich über wertvolle Droschkenmarker verfügen und im Vorfeld meist ohnehin nicht klar ist, ob und wo der eine, elementare Hinweis zu finden ist, der uns für des Rätsels Lösung vielleicht noch fehlt (einige Karten bringen uns auch gar keine neuen Hinweise). Mit dem aktuellen Spielmechanismus ist Watson & Holmes daher gut für größere Gruppen bis zu sieben Detektiven geeignet, macht aber auch im Duell durchaus Spaß.

Schön wäre eine kooperative Variante (dann müssten die durchaus spaßigen Diskussionen um den Fall nicht mehr bis nach dem Spiel warten). Aber auch die kompetitive Spielweise ließe sich durchaus interaktiver gestalten. Z.B. gibt es in einem der komplexeren Fälle zwei abgetrennte Gebiete, zwischen denen wir per Zugkarte hin- und herfahren und unsere Mitspieler eben daran zu hindern versuchen. Das lockert auch das ansonsten schon bekannte Spielprinzip schön auf und sorgt für mehr Abwechslung. Solche kleinen (und interaktiveren) Sonderregeln dürfte es ruhig mehr geben!

Fazit: Wie mitreißend ist das Detektivspiel Watson & Holmes?

Meist liegt etwas mehr Zeit zwischen den einzelnen Fällen, wir haben uns dann doch irgendwann sattanalysiert. Und trotzdem ist da der Reiz, besser zu werden, neue Fälle zu lösen, neue Spielmechanismen (wie den Zug) zu entdecken. Watson & Holmes ist alles in allem ein gutes und einfach anderes Spiel, das nicht ständig, aber dafür als etwas Besonderes auf den Tisch kommt – eines, das trotz der sehr gelungenen redaktionellen Umsetzung noch Potenzial nach oben hat. Dabei könnte es ein sehr gutes Spiel sein, wenn es nur etwas abwechslungsreicher und vor allem interaktiver wäre – sogar eines, bei dem einfach alles stimmt. Bleibt zu hoffen, dass es tatsächlich eine weitere Box mit neuen Fällen und dann auch einem überarbeiteten (vielleicht sogar wahlweise kooperativen) Spielmechanismus geben wird. Die tolle Aufmachung und das Grundkonzept sind nämlich eigentlich viel zu schade dafür, nur ab und zu auf den Tisch zu kommen.blank

 

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