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Viticulture

Viticulture - Foto von Feuerland Spiele

Was für ein Spiel! Es heißt: „In Vino Veritas“. Wahrhaftig, so ist es auch hier. Selten hat mich ein Spiel so gepackt und thematisch überzeugt. Bei Viticulture von Jamey Stegmaier, Alan Stone und Morteh Monrad Pedersen, schlüpfen die Spieler in die Rolle eines Winzers, der sein Weingut Schritt für Schritt aufbaut, Trauben anpflanzt, Wein keltert und die Flaschen dann einlagert. Dieses Brettspiel für Experten ist herrlich leicht, mundet samtig und rund wie ein guter Rotwein und hat einen ganz besonderen Charakter. Es ist der edle Tropfen unter den Weinspielen. Vergessen sind Die Weinhändler, Vino oder Grand Cru. Viticulture rockt mit all seinen feinen Geschmacksnuancen. Und ist dabei so bekömmlich, dass nicht einmal Kopfschmerzen entstehen.

Viticulture – das Thema

Trotz der bereits genannten Konkurrenz durch andere Weinspiele ist Viticulture einfach die Top-Umsetzung des Themas. Weinbau wird in diesem Spiel zu einem regelrechten spielerischen Erklärfilm. Es ist eng an der Realität, nutzt dennoch die spielerischen Möglichkeiten und vermittelt so auf dem Brett die typischen Herausforderungen der Winzer – zumindest so, wie sich die meisten Spieler diese vorstellen. Das Thema greift bis in die kleinsten spielerischen Details und ist absolut stimmig. Top!

Viticulture – die Aufgabe der Spieler

Die Spieler stehen vor der Aufgabe, einerseits möglichst ertragreiche Reben anzubauen, andererseits diese zu ernten und in Wein zu verwandeln. Dabei stellt sich schnell heraus, dass eine gute Traube noch lange nicht zum guten Wein reifen muss. Oder eben nur, wenn die gesamten Umstände dem Winzer in die Hände spielen. So muss dieser zum Beispiel sein Weingut ausbauen. Um beim Thema zu bleiben: Gute Reben benötigen ein Spalier oder/und eine Bewässerung. Erntet ein Spieler seine Trauben, muss sein Weingut ausreichende Kapazitäten bieten. Sinngemäß bedeutet dies: Eine im Übermaß vorhandene Traube drückt den Preis. Soll aus der Traube noch ein guter Wein werden, muss der Spieler erst einmal seinen Keller entsprechend ausbauen. Das alles kostet natürlich Geld. Und Geld ist wie immer knapp. Also gilt es, über Besucherführungen, Verkauf von Trauben und Weinen oder besondere Besucher, Einnahmen zu generieren. Das wiederum bedeutet, dass Personal und Voraussetzungen durch weitere Gebäude zu schaffen sind. Wer Platz, Zeit und Geduld hat, die Weine nebenbei noch reifen zu lassen, kann am Ende lukrative Aufträge (Bestellungen) erfüllen und so mächtig Kohle und vor allem Prestigepunkte scheffeln – und um die geht es letztlich.

Viticulture: vom Thema zum Mechanismus

Das scheinbar leichte Thema bietet in diesen Punkten Detailtiefe, ohne die Spieler zu überfordern. Spielerisch greifen viele Rädchen eng verzahnt ineinander und bringen das ganze Konstrukt sehr realitätsnah ins Rollen.

Es beginnt bereits mit der Spielvorbereitung. Optional haben die Spieler jeweils Vorfahren, die ihnen individuelle Voraussetzungen mitgeben. Weiter geht es über die Positionswahl für die Runde. Der erste hat die erste Wahl bei den Aktionen der Runde, der letzte die besseren Rundenboni. Das Spielbrett ist in Jahreszeiten unterteilt. Im Sommer und Winter dürfen die Spieler aus verschiedenen Aktionen wählen, sofern die Mitspieler ihnen diese Optionen übriglassen. Im Frühling und Herbst kommen Besucher aufs (in Handkartenform) Weingut und bieten besondere Vorteile und Aktionsmöglichkeiten. Welche Besucherkarten ein Spieler bekommt, ist dem Zufall überlassen. Das ist ein klitzekleines Manko für hartgesottene Vielspieler. Denn die Besucherkarten variieren in Nutzen und Stärke doch erheblich. Letzlich muss aber auch jeder Spieler mit seinen Möglichkeiten etwas anfangen können. Die Besucher im Sommer und Winter sinnvoll einzusetzen, ist ohnehin eine Kunst und wiederum an freie Aktionsmöglichkeiten gekoppelt.

Die Aufteilung der vier Jahreszeiten unterscheidet die deutsche Essential Version von Feuerland Spiele übrigens scheinbar von der ursprünglich amerikanischen Ausgabe und der Tuscany-Erweiterung von Stonemaiergames. Redakteur und Erfolgsautor Uwe Rosenberg hat das System offenbar etwas verschlankt. Da ich die Originalversion aber nicht kenne, verbleibt mir an dieser Stelle nur der entsprechende Hinweis.

Aktionsverknappung führt zum Zwang vorausschauender Zugplanung

Besonders trickreich bei Viticulture ist die Verknappung der Aktionen. Zwar kann jeder Spieler Gehilfen anheuern und diese verschiedene Tätigkeiten ausführen lassen. Allerdings sind Aktionen wie Reben pflanzen, Ernten, Wein herstellen und Aufträge abarbeiten sowie Besucherkarten spielen äußerst umkämpft und zugleich limitiert. So kommt der Positionswahl am Rundenbeginn eine taktisch wichtige Rolle zu. Zugleich gilt es, die eigenen Aktionen umsichtig zu planen, denn alle Spieler sind gemäß Positionstabelle reihum an der Reihe. So ist eine Fehleinschätzung der wahrscheinlichen Mitspieleraktion gleichbedeutend mit dem potenziellen Verlust einer dringend benötigten Aktion. So wenig die Spieler untereinander handeln, so interaktiv ist das knappe Angebot bestimmter, wichtiger Aktionen. Je nach Spielrunde erzeugt dieser Mechanismus einen gewissen Grübelfaktor, der sich meiner Erfahrung nach jedoch in Grenzen hält.

Viticulture in verschiedenen Besetzungen

Viticulture ist hervorragend auf die verschiedenen Spielerzahlen abgestimmt. Da je nach Spielerzahl die Aktionen unterschiedlich häufig verfügbar sind, ändert sich weder Entscheidendes an den Grundmechanismen, noch verliert der Kampf um die besten Aktionen an Reiz. Dennoch wirkt Viticulture ganz subjektiv auf mich am besten in voller Besetzung. Der Konkurrenzkampf ist deutlicher spürbar.

Eine Besonderheit ist die Solovariante. Neben Lookout Spiele gibt es nicht viele Verlage, die einem komplexen Spiel wie Viticulture eine Solovariante spendieren. Hier gilt es für den Spieler, gegen den Automa (Automat) anzutreten. Ein paar Feinheiten machen dieses Spiel gegen einen Kartenstapel gut spielbar. Der Spieler muss gut planen und seine Züge optimieren. Für mich ist Viticulture Automa jedoch eine Krücke, die keinen allzu großen Reiz bietet. Lieber spiele ich mit anderen darum, wer den besten Wein anbietet und entsprechend Prestige (Punkte) einheimst.

Viticulture – ein Spiel wie ein exzellenter Wein

Viticulture spielt sich so, wie ein erstklassiger Bordeaux schmeckt: Absolut rund. Es ist ein komplexes, aber nicht wirklich kompliziertes Spiel. Viticulture richtet sich an Experten, ist aber meiner Erfahrung nach auch für ambitionierte „Gelegenheitsspieler“ bei einer guten Erklärung stolperfrei spielbar. Denn die Grundmechanismen sind relativ einfach verständlich. Das liegt zum Teil auch daran, dass sie eben die Realität wunderschön nachempfinden.

Denn was passiert mit eingelagertem Wein? Grundsätzlich reift dieser jedes Jahr und wird dabei immer wertvoller. So ist es auch im Spiel. Und genau dieser Prozess von Anbau über Ernte bis zum Reifen ist einfach wunderbar für das Spielverständnis. Schnell ist auch Anfängern klar, dass dieser Prozess an bestimmte Voraussetzungen gebunden ist und eben diese vom Spieler zu schaffen sind. So kann jeder sein ganz persönliches Weingut aufbauen, seinen ganz persönlichen Spitzenwein keltern und entscheiden, ob er mit wenigen Gehilfen lieber wegen der Konkurrenz gewagt auf die wesentlichen Aktionen setzt oder doch sein Streben breiter anlegt. Ganz am Ende muss jedoch die Kasse klingeln, um alles zu finanzieren. Und schließlich muss das gesamte Handeln in Punkte münden. Das ist in sich schlüssig, verständlich und dennoch alles andere als trivial.

So läuft Viticulture langsam an, um dann schnell ein sehr dynamisches Spiel zu werden. Es offeriert viele Wege, aus einem Stück Land ein berühmtes Weingut mit erlesenen Tropfen zu formen. Die Entwicklung des Weingutes über die Spielrunden (Jahre) ist sichtbar und macht richtig Spaß. Material, Illustrationen, Mechanismen und Atmosphäre sind dabei erstklassig und das Spielvergnügen entsprechend. Viticulture ist ein Worker-Placement-Spiel, das mich voll überzeugt hat. Der Schwierigkeitsgrad liegt etwa knapp über dem von Die Säulen der Erde oder Village, wobei ich Viticulture etwas eleganter finde, auch wenn es an einigen Stellen mehr Details zu beachten gibt. Ein Spitzenspiel.

In Vino Veritas. Es spricht nichts gegen ein Glas guten Rotwein zu einer Partie Viticulture. Vielleicht ergibt sich aus dieser besonderen Verknüpfung von Realität und Spiel so ein noch intensiveres Spielerlebnis. Oder ein Spieler möchte am liebsten zum Winzer umschulen. Verstehen würde ich es.

Spielanleitung zu Viticulture

Infos zu Viticulture

  • Titel: Viticulture
  • Verlag: Feuerland Spiele
  • Autor: Alan Stone, Jamey Stegmaier, Morteh Monrad Pedersen
  • Spieleranzahl (von bis): 1-6
  • Alter (ab oder von bis in Jahren): 12
  • Dauer in Minuten: 45-90
  • Jahrgang: 2016

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