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Anno Domini: Menschenrechte für die Tonne

Anno Domini - keine Menschenrechte

Der Urs und seine Projektidee mit Amnesty International

Urs Hostettler ist frustriert. Urs wer? Jetzt muss ich ausholen. Ich kenne Urs nicht persönlich, musste aber feststellen, er ist einer meiner Lieblingsautoren. Und das schon ziemlich lange. Das Spiel Ein solches Ding begleitet mich, seitdem ich mich intensiver mit Spielen beschäftige. Schraumeln lieb ich noch heute, herrlich abgedreht und für mich voller positiver Emotionen. Eben dieser Urs hat, wie ich finde, eine Spielereihe entwickelt, die ihresgleichen sucht. Die Rede ist von dem Kartenspiel Anno Domini.

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Anno Domini als Basis für etwas Besonderes

Kurz erklärt: Leg aus deiner Hand ein Ereignis aus uralten oder modernen Zeiten ab. Die nächste Spielerin kann es so hinnehmen und ein weiteres Ereignis einsortieren. Oder sie zweifelt an. Dann wird die ganze Reihe aufgedeckt und kontrolliert, ob alles (!) passt. Danach gibt es Belohnung oder Haue. Beispiel gefälligst? Mein erster Haarschnitt war wahrscheinlich vor meinem ersten Pickel. Aber wann wuchsen mir Barstoppeln? Keine Ahnung. Also baut man solch ein Ereignis irgendwo ein, wo es einigermaßen passen könnte. Wenn ich jetzt unvorsichtig war und dieses Ereignis vor der Einschulung einsortiert habe, Pech für mich, wenn es jemandem auffällt! Es gibt mittlerweile ganz viele Themensets und jedes ist auf seine Art und Weise großartig.

Menschenrechte und Amnesty International – das passt doch, oder?

Jetzt überlegt sich der Urs: „Mensch, Menschenrechte wäre doch ein Thema, das richtig gut wäre.“ Was hat die Menschheit sich schon alles gelappt: Kannibalen, Folter, Kreuzzüge, Piraterie, Extremismus und was nicht noch alles. Die Arbeit, die hinter so einen Projekt steht, kann sich jeder selbst vorstellen. Muss ja alles stimmen. Denn vorne auf der Karte ist plakativ das Ereignis und hinten auf der Karte die korrekte Jahreszahl. Wer könnte bei so einem Projekt Pate stehen? Na? Nicht die Grünen. Nee! Sondern Amnesty International itself. Kurz AI genannt (sic!). Yes! Die sind mit im Boot und (wow!) wollen dieses Projekt unterstützen.

Jetzt denk dir allen möglichen kranken Scheiß aus, den Menschen fabrizieren können (und fabriziert haben!) und mach daraus ein Anno Domini Menschenrechte. Üble Gänsehaut nur bei dem Gedanken! Du legst deinen fertigen Prototyp Amnesty vor und die zaubern aus der Schublade ein Pamphlet über die Vermeidung diskriminierender Sprache und fangen an, deine Karten über miese Menschenrechtsverletzung sprachlich zu überarbeiten. Da hast du schon per se verloren. Dass Kreuzritter sich nicht an menschliche Standards gegenüber Andersgläubigen gehalten haben, ist das eine. Jetzt möchte AI aber, dass es Kreuzritter*innen heißen soll. Ok, darüber kann man reden. Warum nicht. Die ein oder andere Kreuzritterin war bestimmt dabei. Oder? Wer zweifelt an?

Sprache verhindert das, was es eigentlich sein soll

Das Problem ist aber, und das hat Urs Hostettler eindrucksvoll beschrieben, was ist, wenn Eskimo nicht Eskimo heißen darf, sondern (nur) Inuit. Jetzt kommt jemand von den Yupiks und sagt, wir sind aber keine Inuit und fühlen uns deswegen nicht angesprochen! Eskimo wäre aber ok. Derweil sagt Amnesty so etwas wie: „Egal! Eskimo ist aber so was von pupu! Geht gar nicht.“ Auf den kleinen Karten des Spiels ist dieses Dilemma nicht zu klären. Von diesen Einwänden gab es letztlich so viele, dass Urs jetzt hinschmiss und dieses öffentlich gemacht hat! Es ging nicht mehr.

Hundete Arbeitsstunden für die Tonne? Ich hoffe nicht. Bei allem Verständnis für die belange von antidiskriminierender Sprache, es muss trotzdem praktikabel sein. Was nicht in Ordnung ist, muss auch in einfacher Sprache möglich sein zu beschreiben. Mir als Nicht-Betroffenem könnte es egal sein. Aber, wie ich schon festgestellt habe, ist Urs Hostettler unverhofft einer meiner Lieblingsautoren geworden und das schon seit Jahrzehnten. Und für die kann man mal einen solchen Text raushauen!

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5 Kommentare

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Axel Bungart 11. Oktober 2021 at 13:06

Ich halte gendern für sprachlichen Schwachsinn, der zu grammatikalischen Fehlkonstrukten führt. Trotzdem stehe ich mit (fast) jedem auf, der gegen echte Diskrimierung aufsteht.
Doch hier sieht man wieder, wozu der Genderquatsch und eine falsch verstandene Diskriminierungsmanie führen. Würde man die Sache mit Sinn und Verstand angehen, käme es auch nicht zu solchen Auswüchsen.

Auf jeden Fall: guter Blog, Sir!

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Urs Hostettler 12. Oktober 2021 at 00:47

Die Entstehung der Anno-Domini-Serie MENSCHENRECHTE lief nicht so, dass ich mir allen kranken Scheiss von übelsten Menschenrechtsverletzungen ausdachte und den Prototyp dann Amnesty International vorlegte. Oh nein. AI fragten mich für eine AD-Serie zu diesem Thema an. Sie brachten auch eine Reihe von Fragen aus ihrem Fundus mit ein, ich aus dem meinen. Ich recherchierte und blieb in stetem Kontakt zur Bildungsbeauftragten von AI Schweiz. Da waren auch sehr friedliche und harmlose Ereignisse drunter, etwa "Der Präsident von Amnesty International wird mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet" oder "Somalia und der Südsudan ratifizieren die UN-Kinderrechtskonvention. Damit haben sie allen Staaten der Welt ratifiziert – mit Ausnahme der USA".
Dabei habe ich die Formulierungen in vielen Fällen den Wünschen von AI angepasst, die Zusammenarbeit verlief – na ja, arbeitsmässig etwas einseitig, aber – erfreulich. Die Redaktion lag, so die Abmachung, bei mir als Autor und Koordinator der Anno-Domini-Reihe.
Erst als der Prototyp vorlag, d.h. eine Sammlung von ca. 400 Ereignissen, von denen am Ende 340 ausgewählt und auf Kärtchen gedruckt werden sollten, schaltete sich eine "Chefredaktorin" von AI Schweiz ein, die offenbar jede Publikation unter AI Label (und das sollte auf die Schachtel mitgedruckt werden) auf "inklusive nichtdiskriminierende Sprache" trimmt, dies gemäss einem neuen "Leitfaden für inklusive Sprache".
Das war natürlich eine Verletzung unserer Vereinbarung, dass die Redaktion beim Spieleautoren liegen sollte. Ich war den Leuten ja bereits entgegengekommen, war zu (mitunter etwas faden) Kompromissen bereit, doch AI erhob die Anweisung ihres "Leitfadens", dessen Listen verbotener Worte zu einem  Menschenrecht. Oder auch "Wir verwenden den Asteriks" (Gendersternchen). Keine Diskussion, keine Ausnahmen. Menschenrecht.
Nun – der Spieleverlag (Abacus) verwendet keine Gendersternchen. Ich lieber auch nicht. Sklav*innenhänder*innen? – Nicht wirklich. Die Republikaner*innen im "Repräsentantenhaus"# 
+ #Fussnote: Müsste inklusiv Repräsentant*innenhaus heissen.
"Besser: Das Ganze umschreiben.'Republikanische Parlamentarier*innen' im Parlament der Vereinigten Staaten."
Ethnien und Menschengruppen sollen möglichst umschrieben, nicht charakterisiert werden. Zauberwort "Indigene", was nun Indianer, Polarvölker, Südseeinsulaner, Aborigines u.a.m. bedeuten kann. Damit kann man Ereignisse zur Unterdrückung dieser Ethnien kaum mehr kurz formulieren. Oder: "Flüchtlingsboote" lassen sich nicht einfach als "Boote mit Menschen auf der Flucht" beschreiben. Bonnie & Clyde waren auch auf der Flucht, aber keine Flüchtlinge.
Ich will jetzt nicht Dutzende von inakzeptablen Umschreibungen zitieren.
Statement: 
– Gendern und Indigenern sind kein Menschenrecht. Sensibilität in der Sprache ist gut, aber der Situation angepasst anzuwenden, um Lächerlichkeiten zu vermeiden und exakten Ausdruck nicht zu zerstören. 
Spieler*innen sollen sich auf Inhalte konzentrieren können und sich nicht bereits durch die Sprache in die Haare geraten.
– Die Streichung von Aussagen, bloss weil die dazu nötigen Worte verboten sind, ist inakzeptabel.
– Ich hoffe, dass die Sprachinquisitor*innen bald ein Einsehen haben, dass Schreiben wieder mit Spass, Fantasie und variablem Ausdruck erlaubt sein wird.

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Axel Bungart 21. Oktober 2021 at 13:53

Das ist ja noch schlimmer als beschrieben.

Aber herzlich gelacht…. da man sonst wohl weinen müsste.

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Micha A. 12. Oktober 2021 at 08:20

Oh, wie wohltuend ist diese Meinung und der Kommentar von Axel Bungart! Ich dachte schon, die ganze schreibende, bloggende und sonstwie publizierende (Journalisten-)Zunft hätte sich das Gendergestammel zu eigen gemacht. Schön zu lesen, dass es auch noch normal denkende Menschen gibt – und traurig zu lesen, dass ein solches Spiel an derlei blödsinnigen Hürden der vermeintlichen political correctness hängen bleibt.

Zudem ein kurzer Kommentar zum Captcha, bevor man hier posten kann: Spamvermeidung in allen Ehren, aber dieses Captcha ist einfach nur schlecht. Habe nun gefühlt 20 Versuche gebraucht, weil man manche Buchstaben einfach nicht erkennen kann (bzw. ich mir nichtmal sicher war, ob das jetzt ein Buchstabe sein soll oder nur ein "Schleier".). Und nach der Vorschau kommt das gleiche Ding nochmal…

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Axel Bungart 21. Oktober 2021 at 13:54

Ich habe das mit dem Captcha eben mal selbst ausprobiert. Du hast recht, das ist teilweie kaum lesbar. Werde es mal anbringen. Danke für den Hinweis.

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