„Was lässt sich gegen Dauergrübler am Tisch unternehmen, Herr Dr. G. Ame?“
Meine Güte, das hat gedauert. Während Riemi den Doktor suchte, dachte ich schon, der ist uns endgültig abhanden gekommen. Aber irgendwie hat er ihn dann doch gefunden. Zu zweit kamen sie die Treppe hoch. Riemi wirkte etwas verwirrt, der Doktor hatte einen fahlen Hautton und dunkle Ränder unter den Augen. Aber irgendetwas funkelte darin. Er wirkte wie eine Mischung aus Sherlock Holmes mit irrem Blick und einem alten Mann mit einer dicken Brille.
Riemi sagte nur kurz angebunden: „Er ist im Keller gewesen und hat die ganze Zeit auf den Kommentar zu seiner Antwort auf ein Problem mit schummelnden Kindern gestarrt. Der muss ihm übel mitgespielt haben.“ Okay, das war es also. Aber wir hatten ja einen Plan.
Bereit für neue Aufgaben
„Herr Doktor“, begann ich, „wir haben eine neue Leseranfrage. Es ist wieder einmal verzwickt. Können Sie bitte übernehmen?“ Der Doktor schaute erst zu mir, dann zu Riemi und dann wieder zu mir. „Ach, das meinten Sie mit Hilfe. Selbstverständlich. Ich bin ja genau dafür da.“
Riemi und ich schauten uns wortlos an. In Gedanken klopften wir uns auf die Schulter. Nun hatten wir ihn da, wo er hingehört.
„Herr Doktor, bitte, hier, lesen Sie selbst.“ Ich reichte ihm den E-Mail-Ausdruck, denn noch immer hatte er keinen Computer.
Die Sache mit den Dauergrüblern
Der Doktor las die Frage laut vor: „Mariö aus Berlin hat geschrieben. Übrigens ein komischer Name. Aber gut. Er schreibt: Lieber Herr Dr. G. Ame, wir haben in unserer Spielerunde ein Problem. Wir lieben strategische Spiele, bei denen es auch mal komplizierter wird. Eine Person in der Runde kalkuliert aber jeden Zug so lange durch, bis wir es nicht mehr aushalten. Meine Frau hat schon gesagt, das nächste Mal schmeißt sie ihn raus oder tritt ihm gegen das Bein. Das ist doch nicht richtig. Was können wir machen?“
Die Antwort des Doktors zum Problem mit spielenden Dauergrüblern
Wie ein Blitz flog ein Lächeln über das Gesicht des Doktors. Er holte sein Diktiergerät heraus und begann aufzuzeichnen: „Lieber Mariö, zunächst einmal bin ich gern aus dem Keller gekommen, um deine Nachricht zu lesen. Der Name wirkt witzig. Du kommst bestimmt aus Ost-Berlin? Aber darum geht es nicht. Ich glaube, du solltest dringend mit deiner Frau sprechen, um das erste Problem zu lösen. Denn ihr habt gleich zwei am Tisch.“
Er setze ab und blickte uns an. „Ist das zu offensiv?“ Wir schauten uns fragend an. Ich erinnerte ihn: „Herr Doktor, Sie wissen, dass Sie hier der Experte sind. Selbstverständlich müssen Sie genau das machen, was Sie machen müssen, um eine hilfreiche Antwort zu liefern.“
Zum Nachdenken in den Keller
„Ach, was?“ Der Doktor guckte irritiert. Dann setzt er wieder das Diktiergerät an. „Lieber Mariö, deine Frau hat ein Problem. Wenn sie sich schon über etwas aufregt, was gar nicht passiert, was macht sie denn erst dann, wenn etwas passiert? Ich empfehle, eine Zeit lang in den Keller zu gehen, Luft zu holen und das Problem von allen Seiten zu beleuchten. Möglichst an einem Fenster. Das hilft bei mir auch meistens. Sollte deine Frau ihre Ankündigung mit dem Hinauswerfen oder Treten in die Tat umsetzen, habt ihr einen Spieler weniger, und ich weiß nicht, ob das in eurem Interesse ist. Also, bitte sei so gut und rate ihr, einfach … Ihr habt doch einen Keller?“
Das Problem mit Dauergrüblern am Spieltisch lösen
Dann setzte er ab und schaute wieder auf uns. „Sagen Sie, meine Herren, haben Sie auch Erfahrung mit solchen … Nennen wir sie mal ‚Dauergrüblern‘?“ Wir sagten nichts. Aber da wir beide tief seufzten, nickte der Doktor nur wortlos. Er setzt erneut das Diktiergerät an.
„Mariö, wenn das mit deiner Frau besser geworden ist, bleibt ja noch immer das Problem, das sich durch Nicht-Existenz des erwarteten Zuges ergibt. Wenn ich das richtig verstehe, verhält sich euer Mitspieler alles andere als sozial. Gesellschaftsspiele leben ja davon, Gesellschaft zu haben. Kommt ja auch in der Bezeichnung vor. Das stille In-sich-Hineinoptimieren bedingt jedoch einen gewissen Grad an asozialem Verhalten. Aber ich möchte nicht wieder bemerkenswerte Kommentare lesen, daher erläutere ich das: Das meint nicht, das die Person asozial wäre, sondern in dem Moment des Spielzuges einfach keine Gesellschaft vorhanden ist. Das ist aus meiner Sicht das größte Problem dabei. Wenn ich die Blicke des Teams hier richtig deute, ist das übrigens ein verbreitetes Phänomen.“
Das Sanduhr-Theorem: Zugzeit verkürzen
Er setzte erneut ab und blickte uns an: „Wenn Sie das auch kennen, nutzen Sie dann das Sanduhr-Theorem?“ Wieder blickten wir uns wortlos an. Irgendwie wussten wir keine Antwort auf diese hochwissenschaftliche Frage. Der Doktor machte nur eine abfällige Handbewegung und murmelte so etwas wie „verstehen wieder nichts“. Dann setzte er erneut an.
„Mariö, ihr könnt es natürlich mit gutem Zureden versuchen. Da du aber deine Frau schon in den Keller geschickt hast, fehlt die weibliche Intuition der korrekten Problemansprache. Daher empfehle ich als Narraloge, besser das von mir in karibisch-wissenschaftlicher Arbeit entwickelte Sanduhr-Theorem in die Praxis zu übertragen. Das Theorem besagt: ‚Wenn dir etwas zu lang vorkommt, verkürze die Wartezeit durch eine Sanduhr. Denn während der Sand die Seiten wechselt, gewinnst du eine ganz neue Perspektive.‘
Für euch übertragen bedeutet das: Setzt ein Zeitlimit. Durch Sanduhr, Timer oder diese neumodischen Apps, die auch nichts anderes als digitale Eieruhren sind. So werdet ihr den verschiedenen Zeitsträngen am Tisch gerecht und könnt dennoch Spaß haben. Aber zwei Sachen solltet ihr wirklich vermeiden. Zum einen unterbrecht diese Person nicht, schon gar nicht mit Tritten gegen das Schienbein. Denn dann beginnen sie mit dem Überlegen von vorn. Zum anderen betont vorab immer wieder, dass es bei dem Spiel um Spaß und nicht das beste Ergebnis geht. Niemand muss wirklich alle Optionen durchrechnen.
Ich hoffe, dass ihr mit der praktischen Anwendung des Sanduhr-Theorems besser zurecht kommt. Aber: Nicht vergessen, rechtzeitig umzudrehen! Sonst droht das Zeitparadoxon, dass die reale Zeit bis zum eigenen Zug langsamer vergeht, obwohl der Grübler schneller fertig ist.“
Bei Grüblern Zeitlimit setzen!
Der Doktor drückte die Stopp-Taste und blicket uns erneut an. Er wedelte mit dem Gerät und sagte: „Meine Herren, stehen Sie hier nicht so herum! Muss ich Ihnen auch eine Sanduhr geben? Sehen Sie zu, dass der Text in dieses Dingsda …, dieses Internet kommt!“
Werbung
Nach neuen Spielen schauen bei:
Amazon
Spiele-Offensive