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Vorgestellt: Kris Burm (Interview, Teil I)

Kris Burm (m.) erklärt Dvonn von Erwin Broens

Über den Zusammenhang von abstrakten Spielen und Picasso

Gipf?! Tamsk?! Zertz?! Dvonn?! Alles klar? Nein? Bei diesen futuristisch anmutenden Wörtern handelt es sich um vier ganz hervorragende Zwei-Personen-Strategiespiele. Alle gehören zum Gipf-Projekt und stammen vom belgischen Autor Kris Burm. Auf der Essener Spiel ’01 trafen wir erstmals Kris – und damit die Geschichten, die mit dem Gipf-Projekt zusammen hängen.

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Die Wurzeln des Spiele-Erfindens liegen bei Kris zweifellos in seiner Kindheit. Zusammen mit seinen vier Geschwistern besaß er eine ganze Reihe von Spielen. Besonders mit seinem jüngeren Bruder spielte er viel und gerne. War einer von beiden krank, durfte der andere ebenfalls zu Hause bleiben, weil ihre Mutter wusste, dass beide eine spielerische Ruhe (!) verbreiten würden, die sie sonst nicht bekommen konnte …

Nach einer Spiele-Abstinenz während seiner Teenager-Phase bekamen Spiele erst wieder eine Bedeutung als er Ende zwanzig war – bei regelmäßigen Kochtreffen mit Freunden wurde häufig bis spät in die Nacht Risiko, Monopoly, Kartenspiele und ab und zu auch mal etwas Abstraktes gespielt.

Wie wurde der Spieler Kris Burm aber zum Autor?
„Ich dachte nie daran, ein Spiel zu entwickeln. Eines Tages kam mir völlig aus dem Nichts die Idee, ein Puzzle-Spiel zu entwerfen. So etwas wie Rubicks Würfel. Ich hatte es praktisch sofort fertig, aber arbeitete vier Tage ohne Pause daran, bis ich es gelöst hatte.“

An eine Verwertung dachte Kris aber nicht. Erst ein wirklich blöder Zufall brachte ihn dazu, weitere Spiele zu entwickeln. Zwei oder drei Jahre später traf er in einer Kneipe einen Typen, der sich als Spiele-Designer ausgab.
„Nun, das war interessant! Um gesellig zu sein – was ist sonst der Grund für einen Kneipenbesuch? – erzählte ich ihm von meinem Puzzle-Spiel. Er schien interessiert und kam ein paar Tage später bei mir vorbei. Noch ein paar Tage später hatte er meine Idee unter seinem Namen registrieren lassen. Das war eine höchst unschöne Erfahrung. Aber es zeigte mir auch, dass man überhaupt etwas aus Spielekonzepten machen kann. Anstatt dem Typen auf die Fresse zu hauen, begann ich mit der Arbeit an ein paar neuen Spielen. Mit anderen Worten: Spiele zu erfinden war  niemals eine echte Wahl, sondern eine Reaktion. Ohne diesen Typen wäre ich kein Spieleautor geworden.“

Woher kommt Dein Interesse für abstrakte Spiele wie Gipf oder Dvonn? Gab es da eine „Initialzündung?
„Ich weiß nicht. Es passierte einfach. Ich denke, es war aus ästhetischen Gründen. Ich meine damit nicht die Schönheit der Materialien, sondern die Ästhetik der Regeln. Für mich sind abstrakte Spiele ganz klar die reinsten und schönsten Spiele. Kein Ballast, keine Tricks, keine speziellen Effekte, keine unnötige Geschichte – nichts außer reiner Essenz. Nur ein paar Regeln, ein Brett und ein paar Spielsteine und du hast einen ganz neuen Kosmos zu entdecken. Für mich ist ein Spiel wie Go zehnmal schöner als das beste Gemälde von Picasso – und mir kommt das nicht leicht über die Lippen, weil Picasso einer der größten Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts war.“

Kann man wirklich die „Schönheit“ von Kunst und Spielen vergleichen?
„Ich weiß nicht, ich tu es einfach. Auch Marcel Duchamp tat das. Er hörte auf tätig zu sein, als er merkte, dass seine Kunstwerke niemals so schön sein würden wie eine durchschnittliche Stellung einer Schachpartie. Als ich das erfuhr, wurde mir klar, dass das Spielen eines abstrakten Spiels eine Kunst ist. Go ist ein schönes Beispiel. Es ist über drei- oder viertausend Jahre alt. Wir benutzen inzwischen Hammer und Meißel nicht mehr für Schriftzeichen, glauben nicht mehr, dass die Erde flach ist und so etwas. Nein, wir sinnen über eine Technologie nach, die es ermöglicht, den Apfel auf dem Kopf eines Menschen zu treffen, den wir auf den Mars geschickt haben. Gleichzeitig sitzen Menschen aber immer noch wie vor Jahrtausenden vertieft vor einem Go-Brett und versuchen herauszufinden, was sie mit den weißen und schwarzen Steinen auf einem kleinen quadratischen Feld machen können. Wahrscheinlich kann bei allem Fortschritt kein Computer dieser Welt die Möglichkeiten berechnen, die die wenigen Go-Regeln bieten. Ist das nicht verrückt? Sagt das nicht alles über den Reichtum und die Zeitlosigkeit eines guten Spiels? Denk daran, eines abstrakten Spiels! Nichts repräsentiert unser kulturelles Erbe besser, als abstrakte Spiele.“

Würdest Du das auch von den Spielen der Gipf-Reihe behaupten?
„Sei so nett und frag mich in 3000 Jahren noch einmal …“

Kris, welches ist Dein bestes Spiel und ist es zehnmal schöner als das beste Gemälde von Picasso?
„Mein bestes Spiel ist ohne jeden Zweifel Gipf – und ich glaube nicht, dass ich ein besseres entwickeln kann. Für den gezogenen Vergleich mit Picasso ist das Spiel aber zu jung. Ich hoffe, Gipf hat dieses Potenzial, aber ich würde das niemals behaupten. Meine Arbeit endet mit der Veröffentlichung. Dann ist es Sache der Spieler zu entscheiden, was mit dem wesentlichen Wert des Spiels geschieht. Je tiefer sie graben, desto mehr werden sie über das wahre Potenzial oder den Mangel an Potenzial herausfinden. Gipf ist für mich mein bestes Spiel, weil ich es immer noch gerne spiele und es mich immer noch fasziniert und überrascht. Mehr als meine anderen Spiele. Und das ist es, was zählt – für mich als Spieler.“

Und was ist mit dem Autor Kris Burm? Was zählt für ihn?
„Das trifft auch für den Autor zu. Aber als Autor hat man einen anderen Zugang. Ein Aspekt des Spiels, den ich besonders mag, ist der nicht-lineare Verlauf. In Spielen wie zum Beispiel Schach oder Go ermöglicht eine bessere Position die Dominanz über den Mitspieler und damit einen möglichen Sieg. Bei Gipf ist dies nicht der Fall, weil es viel schwerer ist, eine gute Stellung zu halten. Meistens muss man die eigene Position schwächen, um ein Spielstein des Mitspielers zu schlagen und neue Steine in die eigene Reserve zu bekommen. Deshalb kann dabei oft der Mitspieler die Initiative übernehmen. Daraus resultiert ein wellenförmiger Spielverlauf: Man erreicht eine gute Stellung, schlägt einen Stein und schwächt die eigene Position und muss sich anschließend wieder ins Spiel kämpfen. Ich sage nicht, dass das Gipf besser als andere Spiele macht, aber das macht Gipf eben anders.“

Hinweis:
Hier geht es zum zweiten Teil des Interviews.

 

Webseite des Gipf-Projectes

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