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Warum so verbissen, liebe Spielenerds?

Rant!

Rant für den Rant gegen Spieleabende

Ich muss mich immer wieder wundern. Ja, wirklich. Da draußen gibt es mehrere Millionen Menschen, die gern spielen. Also Skat, Doppelkopf, Backgammon, Schach und Uno, Phase 10 oder Ligretto. Aber eben auch Brettspiele wie das Spiel des Jahres, das eine oder andere moderne Familienspiel und „Freakspiele“.

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So weit, so gut. Das gipfelt dann immer wieder in einen Spieleabend. Und nun kommt die Spaltung. Während diese Menschen sich freuen, ihre Lieblingsspiele zu zocken oder Neuheiten auszuprobieren, gibt es die andere gefühlte Hälfte der Menschen. Die lehnt Gesellschaftsspiele ab. Sie hat keinen Bezug zum „Stapeln von Klötzchen“, zum Ziehen von „Pöppeln“ oder zum Einsetzen von Aktionspunkten. Und sie hat keinen Spaß daran und will den auch gar nicht haben. Das kann man akzeptieren. Auch, wenn es eine Autorin vom Tagesspiegel in einem Rant zum angefragten Spieleabend so ausdrückt: „Für mich Zeichen zum sofortigen Aufbruch. […] Spieleabende sind eine Erfindung von Menschen, die auch das erste Treffen mit den Schwiegereltern für das Größte hielten.“

Erklärung: Ein Rant ist eine Art Hasstirade, eine recht unreflektierte Meinungsäußerung, die in einen Rundumschlag ausarten kann.

Ein Rant und das, was die Spielegemeinde daraus macht

Der Tagesspiegel dürfte alles richtig gemacht haben. Der Autoren wird vorgeworfen, sie hätte den Artikel schlecht recherchiert, sie wäre arrogant, ein ganzes Hobby in den Dreck ziehen. Die Gruppe Brettspielwiese auf Facebook, die übrigens eine ganz hervorragende Adresse ist, um sich im Internet über Gesellschaftsspiele auszutauschen, kocht geradezu über. So viel Hass gegen einen einzigen Artikel über das Hobby Spielen habe ich selten erlebt. Sogar der neue Vorsitzende der Jury Spiel des Jahres, Harald Schrapers, hat sich genötigt gefühlt, dazu einen Artikel zu veröffentlichen. Aber Kritik in der Spieleszene ist ja ohnehin gar nicht gern gesehen. Alles in allem: Der Artikel im Tagesspiegel bekommt die Aufmerksamkeit der Bestürzten. Und genau das ist ja wohl Ziel eines solchen Textes. Mich aber bestürzt etwas anderes: Die Vehemenz der Spieleszene, gegen diesen Artikel zu wettern.

So, mal langsam: Wie verbissen seid ihr eigentlich?

Jetzt mal ehrlich. Was ist los mit d(ies)en Spielern? Eigentlich sind spielende Menschen weltoffen, locker, humorvoll … Aber es gibt auch Vorurteile. Diese reichen bis zu Begriffen wie ignorant, selbstverliebt, egozentrisch und sogar soziophob. Die Reaktion in der Gruppe bestätigt eigentlich alle diese Vorurteile auf die eine oder andere Art. Und ja, einige lautstarke Menschen müssen keine Mehrheit sein. Dennoch bleibt ein Eindruck.

Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, einige fühlen sich persönlich in ihrer Spielerehre gekränkt, weil jemand undifferenziert und ablehnend über ihr Hobby schreibt. Schlimmer noch: Sie sind wirklich angefressen, fühlen sich unverstanden und ausgegrenzt. Nach dem Motto: „Wieso mag die Welt da draußen mein geliebtes Hobby nicht?“

Ist es wirklich so, dass Spielefans so sind? Sind sie wirklich so verbissen, dass sie eine Bestätigung benötigen? Müssen alle vom neuesten Gaia Project, Azul und Gloomhaven schreiben? Dürfen Terraforming Mars und Scythe wirklich nicht fehlen? Ist es denn wirklich arrogant, unreflektiert und schlecht recherchiert, wenn eine Autorin in ihrem Beitrag Scrabble, Mensch ärgere Dich nicht und Sagaland als beispielhafte Titel nennt?

Wohlbefinden und Spielspaß hängen nicht von Anerkennung des Hobbys ab

Ich wünsche mir, dass alle etwas lockerer sind. Missionseifer ist nie besonders gut. Schon gar nicht, wenn es um eine so entspannte Beschäftigung wie das Spielen geht. Im Gegenteil: Mich persönlich nerven solche Tendenzen immer ganz gewaltig. Nichts bei Freizeitbeschäftigungen ist schlimmer, als der Zwang von außen, dass ich mich unbedingt vom Hobby eines anderen überzeugen lassen soll. Das gepaart mit der Ignoranz gegenüber der Sicht „der Welt da draußen“ auf das Hobby ist eine sehr abstoßende Kombination. Übrigens empfinden das auch meine Mitspieler so. Und das ist gut, denn sonst wären meine Spielerlebnisse vermutlich nicht so entspannt, wie sie glücklicherweise sind.

Es ist ja nicht so, dass Reich der Spiele kein Angebot an alle Interessierten bereitstellen würde. Natürlich informieren wir unsere regelmäßigen, sporadischen oder einmaligen Leser. Aber wir würden ihnen nie das Hobby aufdrängen.

Und genau das ist der springende Punkt. Da draußen gibt es unfassbar viele Leute, die mit Sagaland und Scrabble als Titel sehr viel mehr anfangen können als mit Terraforming Mars oder sogar nur Codenames. Und zugleich hat ein großer Teil dieser Menschen in Wahrheit gar keinen großen Bezug zum Spielen. Viele mögen es sogar nicht, sie interessieren sich nicht dafür und wären auch nur unter Androhung von Schlägen zu einer Partie zu überreden. Oder selbst dann nicht.

Ja, liebe Nerds: So ist die Welt. Nicht jeder mag Gesellschaftsspiele. Nicht jeder hat Spaß am Spielen. Das ist so. Und ich füge bewusst kein „leider“ hinzu.

Andererseits: Es ist absolut nicht erforderlich, dass die Welt da draußen Gesellschaftsspiele toll findet. Oder bestimmte Spiele kennt. Es ändert nichts am Spielspaß und auch nichts am persönlichen Wohlbefinden. Oder bei euch doch? Das würde ich – ehrlich geschrieben – extrem bedauerlich finden.

Kein Spieleabend mit mir – ein Rant ist ein Rant!

Kommen wir zurück zum eigentlichen Artikel. Was die größten Teile der aufgebrachten Spielegemeinde so gar nicht begriffen haben: Es handelt sich um einen Rant. Und ein Rant ist weder eine Nachricht, noch muss er sachlich sein. Im Gegenteil: In einem Rant darf, nein muss man sich auch mal hemmungslos, unreflektiert und recherchelos auskotzen. Genau dafür ist diese Rubrik da. Er muss nicht recherchiert sein, er muss nicht ausgewogen oder fair sein, er muss ja nicht einmal begründet sein. Es ist eine persönliche Meinung.

In diesem Zeitungsartikel erklärt jemand, warum er (sie!) keine Spieleabende mag. Im Laufe des Artikels wird übrigens auch deutlich, dass die Autorin es durchaus probiert hat, Gesellschaftsspiele aber nichts für sie sind. Möglicherweise ist das eine Meinung, die sich sogar von zu viel Missionseifer ihrer Mitmenschen erhärtet hat. Niemand muss bei einem Rant oder einer persönlichen Meinung das Hobby Spielen ausführlich und in allen Besonderheiten nachzeichnen. Niemand muss die Top 10 der Abstimmung zum Deutschen Spielepreis der letzten 20 Jahre kennen. Ein Rant ist ein Rant.

Das kann man bzw. können wir doch alle auch einfach mal so akzeptieren. Unser Hobby wird dadurch nicht schlechter und wir allen haben dadurch nicht weniger Spaß. Wer aber nicht akzeptieren kann, dass die Welt da draußen anders tickt, dass Gesellschaftsspiele nicht für alle Menschen eine so große Bedeutung haben, der zeigt sich als verbissener Spielenerd. Und solche Leute möchte ich ebenso wenig an meinem Spieltisch haben wie Leute, die ohnehin lieber überhaupt nicht spielen wollen. Denn Spielen soll doch einfach Spaß machen. Und die Leute sollen „locker drauf sein“. Die Reaktion auf den Rant zeigt leider ein völlig anderes Bild. Das ist enttäuschend und bestürzt mich.blank

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4 Kommentare

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Axel Bungart 25. September 2018 at 13:01

Na, ich weiß nicht: So ein Aufreger über den Aufreger? Nachdem ich jetzt auch mal den – so genannten – Rant gelesen habe, komme ich zu mehreren Schlüssen.

1. Der Artikel ist eine Glosse. Ich habe den Begriff Rant hier zum ersten Mal gehört (was nichts bedeutet), aber ich glaube, den Begriff der Glosse gibt es heute noch, und er ist hier weit zutreffender. Er strotzt vor Ironie und Polemik und ist dabei – natürlich – subjektiv. Auch das ist ein Merkmal der Glosse.

Und ebenso natürlich weckt so eine Glosse manche Leser auf. Und zwar nicht mit einem Kuss auf die Wange sondern mit einem Tritt auf den Bauch (oder tiefer…). So sind Glossen zuweilen.

2. Da kommt es eben vor, dass jemand den Ironiemodus nicht versteht (oder grad nicht eingeschaltet hat) und deshalb den Tritt tiefer spürt als andere. Das macht aber den Inhalt nicht bösartiger als er ist.

Die Folge sind Reaktionen. Übrigens etwas, was sich jeder Redakteur sehnlichst wünscht und ihm die Rückmeldung gibt: Du wirst gelesen. Da gebe ich Dir dann auch recht, dass das das Ziel war. Ist aber nicht verwerflich.

3. Ja klar, die, denen die Welt der Spiele „ihre Welt“ bedeutet, fühlen sich dann auch ein bisschen angepisst (wie gesagt: Bauch oder tiefer). Vielleicht klingt das sogar unentspannt. Aber wie der Kollege von der Brettspielbox treffend sagte: „mir tut so ein Artikel echt weh.“. Und das tut er mir als Spieler auch, denn die Verunglimpfungen muss man erst ertragen und sie der Ironie und Polemik zuordnen.

Und schließlich 4.: Auf einen solchen Artikel kann man gar nicht „richtig“ reagieren. Regt man sich darüber auf, hat man ihn nicht verstanden. Lässt man es, wirbelt es innerlich weiter. Also lächele und sage Dir: Es hätte schlimmer kommen können.

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Riemi 10. Oktober 2018 at 12:03

Da schreibt jemand, Spieleabende sind zum davonlaufen. Ok. Solche Menschen gibt es.

Was die meisten von uns wurmt ist wahrscheinlich eher der Satz mit den Schwiegereltern. Der klingt so böse herablassend. So, wer spielt ist einfach nur uninteressant (so unendlich gähhn). Oder so wie, wer spielt trägt Hornbrille, Cordhose, Pullover und spuckt mit Körnern auf seine Mitspieler, wenn er verliert. Das hat gesessen! 🙂 Dabei sind wir Spieler/innen…. –  Lassen wir das. Die Szene hat die Muskeln spielen lassen. Nicht schlecht. Nur, die Autorin hätte auch über die Haltung von Luftratten schreiben können, dann wären es die Taubenväter gewesen, die Rabatz gemacht hätten. Deswegen, so what! 

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Gisela Weede-Sirak 15. April 2023 at 00:12

Spiele sind eine Krücke für Zeitgenossen, die sich nicht unterhalten können oder wollen. Für mich eine lästige Zumutung. Wie schön, dass ich mit dieser Sichtweise nicht allein bin.

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Riemi
Riemi 16. April 2023 at 22:47

Kommt immer drauf an mit wem man spielt. Kommunikation am Spieltisch ist echt ein eigenes Thema. 🙂
https://www.reich-der-spiele.de/specials/labertaschentaktik

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