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Die Sache mit dem Kulturgut Spiel

Kulturgut Spiel - Foto von Reich der Spiele

Bei der Lobbyabeit sind neue Denkmuster gefordert

Leute, wir müssen reden. Über das „Kulturgut Spiel“. Jedenfalls ist es dieser Begriff, den relevante Teile der Spieleszene und -branche gern im Denken verankern möchten. Mehr noch: Sie möchten es auch politisch verankern. Doch bisher klappt das gemessen an den Zielen nicht so recht. Die Gründe sind vielfältig. Einige wesentliche hausgemacht. Unabhängig davon, ob es überhaupt wünschenswert ist, ergeben sich ein paar Ansätze zur Neuausrichtung. Und zum Neudenken. Es beginnt bereits mit der misslungenen Bezeichnung.

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Status: Das Kulturgut Spiel und das Spielen

Wirklich. Es soll Kulturgut Spiel heißen. Das impliziert begrifflich zunächst das Spiel als generalisiertes Produkt. Es ist aber das Spielen und nur indirekt das Spiel gemeint. Nun sind die Interessenlagen durchaus unterschiedlich. Die Jury Spiel des Jahres möchte das Spielen mit Gesellschaftsspielen gefördert sehen. Die Verlage möchten das Produkt als kulturell wichtiges Gut aus wirtschaftlichen Interessen gefördert sehen und die Spieleautoren hegen natürlich den Wunsch, dass ihre Arbeit kulturell und urheberrechtlich anerkannt wird. Die Spieler als solche möchten einfach nur, dass ihr Hobby vorankommt. Ab und zu geht es dann „nur“ um den angepassten Mehrwertsteuersatz. Jedenfalls kommt all das in Diskussionen immer wieder durch.

Dazu haben die institutionalisierten Beteiligten wie Jury Spiel des Jahres, Spieleverlage und Spieleautorenzunft immer wieder Versuche gestartet, bei politischen bzw. kulturpolitischen Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Unter anderem haben Spieleverlage und Spieleautoren einen Sitz im Kulturrat, besser in der Untersektion Rat für Soziokultur und kulturelle Bildung, erhalten. Einer der Ansätze: Gesellschaftsspiele sind so etwas wie Literatur. Wesentlich voran ist die Verankerung des Kulturguts Spiel in der kultur- und gesellschaftspolitischen Diskussion jedoch im Endeffekt nicht nicht gekommen. Während die Games-Branche (PC-Spiele, Apps usw.) massiv von Fördergeldern profitiert (Beispiel), geht die Gesellschaftsspielbranche weitgehen leer aus. Insbesondere ist das ein Schlag für die Spieleautoren. Denn diese müssen um die urheberrechtliche Anerkennung bangen. Spielideen sind nicht schützenswert. Nach aktuellem Stand der Rechtsprechung auch nicht die Spielanleitungen. Allein die Umsetzung als fertiges Spiel genießt einen Schutz. Hier aber weniger auf Basis des Urheberrechts, sondern tendenziell eher auf Basis des Marken- und Patentrechts sowie des allgemeinen Produktschutzes.

Kulturgut Spiel: Der Begriff ist schlecht gewählt

Das Problem fängt aus meiner Sicht bereits mit der Bezeichnung an. Es müsste vielmehr „Kulturgut Spielen“ heißen. Denn das ist zum einen in Wahrheit gemeint und öffnet die Bezeichnung zum anderen. Die Bezeichnung Spiel ist eng verbunden mit dem Produkt und impliziert auch, dass ein Gesellschaftsspiel kulturstiftend sein muss. Doch – jetzt festhalten – das ist nicht der Fall. Selbstverständlich leisten Spieleautoren und Redakteure und letztlich auch Verlage eine kulturell wichtige Arbeit. Doch das Produkt selbst ist recht weit von der Kultur entfernt. Bei Literatur ist nicht das Lesen der kulturelle Beitrag, sondern das Schreiben. Beim Spielen jedoch ist es genau anders herum. Die kulturelle Bedeutung entfaltet sich erst beim Spielen. Hier erfolgen unter anderem Lernen, soziales Miteinander und ein Beitrag zur Sozialisation. In diesem Sinne ist ein Gesellschaftsspiel dem Spielzeug tatsächlich näher als dem Buch. Der Vergleich mit Literatur hinkt in meinen Augen leider.

Neidische Blicke auf digitale Spiele

Auf der anderen Seite des breit angelegten Kampfes um Anerkennung stehen digitale Spiele. PC-Games, Apps und andere Produkte erfahren eine Anerkennung und erhalten Förderungen. Stimmt. Allerdings ist zumindest die finanzielle Unterstützung als Wirtschaftsförderung zu verstehen. Die Politik hat einfach erkannt, dass Deutschland als Technologiestandort im internationalen Vergleich bei der Entwicklung von Games und Computerprogrammen hinterherhinkt. Durch eine politische Unterstützung sollen also nicht vorrangig kulturellen Werte geschaffen werden, sondern es geht implizit um die Zukunftsfähigkeit von Arbeit und Wirtschaft durch sich aus einer starken Games-Branche ergebene Synergieeffekte. Der Vergleich mit digitalen Spielen ist daher selbst dann zumindest fragwürdig, wenn es eine dicke Förderung von Museen gibt, die Games in der historischen Entwicklung archivieren und zugänglich machen. Während dessen suchen die deutschen Spielemuseen und -achive händeringend nach Geldern, um ihre Sammlung von Gesellschaftsspielen zu lagern und präsentieren.

Was heißt das jetzt? Kulturgut Spiel und die Suche nach Fördertöpfen

Ein wesentlicher Aspekt beim „Kampf“ um die Anerkennung als für mich falsch bezeichnetes Kulturgut Spiel ist der Wunsch nach finanziellen Mitteln und ggf. um die Anerkennung der kulturschaffenden Leistung. Logisch, sonst könnte man ja auch sagen: Ist uns egal, wir lieben Spiele einfach weiter. Unabhängig davon, ob es überhaupt erstrebenswert ist, dass möglichst viele Menschen sich mit Gesellschaftsspielen beschäftigen, gibt es eine Frage: Ist das Thema Kultur überhaupt der richtige Ansatz, um dem Spielen zu mehr finanzieller und gesellschaftspolitischer Anerkennung zu verhelfen?

Es wird einige auf die Palme bringen und viele werden sich daran stoßen. Aber ich meine: Nein! Wenn wir Spielen als Tätigkeit als den eigentlichen kulturellen Beitrag verstehen, ist zumindest die politische Lobbyarbeit völlig verfehlt. Nicht nur mit der bisherigen Bezeichnung schwingt zu viel Produkt im Begriff mit. Das Andocken an Literatur und Games ist ebenso fragwürdig. Zudem verfolgen Spieler meiner Meinung nach bei Games und Gesellschaftsspielen völlig verschiedene Intentionen.

Nicht zuletzt muss die ketzerische Frage erlaubt sein, was an mathematisch-trockenen Siegpunktschiebereien der typischen German Games kulturell wertvoll sein soll. Die Weiterentwicklung des Gesellschaftsspiel ist jedenfalls nicht den Dutzenden German Games zu verdanken, sondern Evolutionssprüngen von Spielen wie Schach auf Mensch ärgere Dich nicht auf Monopoly auf Die Siedler von Catan – nur beispielhaft. Das Spieleerfinden ist ein Handwerk. Handwerk ist ein Stück Kultur. Aber kulturell bedeutend sind viele der Produkte eben nicht. Dazu sind sie viel zu trocken-mechanisch – eben ohne eigenen größeren kulturellen Anspruch. Eine deutlich aktivere Einbringung in die wissenschaftliche Forschung wäre ein erster Schritt. Sonst bleibt die Frage: Warum eigentlich sollte das gemeinsame Klötzchenschieben irgendwie förderungswürdig sein?

Soziale Aspekte herausarbeiten!

Aber! Es wäre äußerst zielgerichtet und wird dem Thema viel gerechter, wenn die Lobbyarbeit das Soziale und ggf. pädagogische Konzept des Spielens in den Mittelpunkt stellen würde. Ansprechpartner für ein Stärken des Spielens in der gesellschaftlichen Wahrnehmung sowie der Bedeutung für die Menschen sind für mich eher andere Institutionen. Und zwar das Bundessozialministerium und die Landessozialministerien sowie das Bundesfamilienministerium. Das ist weit vom gewünschten Thema Kultur weg. Eine dorthin zielende Lobbyarbeit würde aber den Weg zur Förderung deutlich vereinfachen. Die Arbeit im Kulturrat oder die Hoffnung auf die Anerkennung als Kulturgut müssen darunter nicht leiden. Das soziale Miteinander, die Lerneffekte, das Stärken von Familien und Freundesgruppen – das ist die eigentlich wichtige Errungenschaft des Kulturgut Spielen. Dort stehen zudem andere Fördertöpfe zur Verfügung, die je nach Ansatz eines Projektes erfolgversprechender sind. Unter anderem eine Förderung durch Lotteriemittel wie Glücksspirale und Aktion Mensch. Etwas, von dem Spielarchive aus meiner Sicht profitieren könnten, sofern sie eine soziale Ausrichtung und eine Vereinsstruktur haben. Projekte wie das Spielecafe der Generationen zeigen eindrucksvoll, wie man so arbeitend eine Förderung erhalten kann.

Ausblick: Nachteile zu Vorteilen machen

Die ganze Sache hat einen Haken. Einen Nachteil. Da kämpft „das Gesellschaftsspiel“ über Jahre hinweg um Anerkennung als Kulturgut und nun soll es doch wieder zum Spielzeug degradiert werden. Ja. Und nein. Denn so einfach ist es nicht. Geht es um konkrete Projekte und Fördermöglichkeiten, ist der Weg über die Sozial- und Familienministerien je nach Ausrichtung angebrachter als eine Kulturförderung. Dennoch muss niemand das „große Ziel“ der Anerkennung als Kulturgut aus den Augen verlieren. Die bisherige Denkweise und Ausrichtung in der Diskussion und Lobbyarbeit sind aber äußerst beschränkt und wird dem Thema aus meiner Sicht nicht gerecht. Es ist eine Verengung mit Scheuklappen und eine Portion Neid.

Diese unnötige Verengung auf „Kultur“ ist hausgemacht. Denn Gesellschaftsspiele sind letztlich ein Teil des Spielwarensegments. Und das hat ja Gründe. Solange dies so ist, wird das Spielen in der Gesellschaft überwiegend auch so wahrgenommen. Zurecht, wie ich finde. Denn die meisten Gesellschaftsspiele sind letztlich nichts Besonderes. Sie sind toll, keine Frage. Und Ausnahmen mit dem gewissen kulturellen Etwas gibt es alle Jahre einige. Der Kulturbeitrag entsteht jedoch in den meisten Fällen erst mit der Beschäftigung, dem Spielen. So kann der Nachteil, dass es sich um Spielzeug handelt, zum Vorteil werden. Dazu müssten die Protagonisten jedoch endlich das Spielen als verständlicheren Begriff mit all seinen sozialen Komponenten in den Mittelpunkt stellen. Als wichtigen Beitrag zur individuellen und gesellschaftlichen Entwicklung gegenüber Öffentlichkeit, Politik und Institutionen in den Fokus rücken. Über diesen logischen, aber vernachlässigten Weg ist dann auch wieder mehr möglich. Nämlich die Öffnung zu einem wichtigen Bestandteil der Kultur. Die Diskrepanz zwischen dem, was das Spielen eigentlich beinhaltet und bedeutet, und dem, was das Kulturgut Spiel gern sein möchte, ist für mich sehr groß. Und die wird zumindest bisher nicht ausreichend aufgelöst.

Falsch addressierte Lobbyarbeit

Ich möchte nicht verhehlen, dass mir das Kulturgut Spiel als solches nicht besonders am Herzen liegt. Ich beschäftige mich gern mit dem Klötzchenschieben. Ich habe sogar gemeinsam mit Dutzenden Aktiven diese Webseite zum Thema aufgebaut. Aber mir ist es für mein persönliches und privates Glück überhaupt nicht wichtig, ob Spiel oder Spielen als Kulturgut anerkannt ist, meine Nachbarn ebenso viel Spaß daran haben oder die Verlage auch nur ein Exemplar mehr verkaufen. Ebenso sind wir bei Reich der Spiele keine Missionare, die unseren Lesern irgendetwas aufzwingen möchten. Wir spielen und berichten in erster Linie, weil wir Spaß daran habe. Ich verfolge das Thema also mit etwas wohlwollender Distanz. Allerdings geht mir das ganze theoretische „Wir möchten gern Kulturgut sein“ zu stark am eigentlichen Thema und der tatsächlichen kulturellen Entwicklung vorbei. Und damit meine ich nicht, dass Spielen kein nennenswerter Beitrag zur Evolution und Sozialisation der Menschen oder der eigenen Entwicklung und damit selbstverständlich Kulturgut ist. Nur, wie es eingefordert wird, halte ich für wenig zielführend und falsch adressiert.

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