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(K)eine Zahl der gespielten Partien

Zahl der gespielten Partien - Abbildung von Reich der Spiele

Warum wir auf eine bestimmte Angabe verzichten

Seit einigen Jahren kommt in Foren und in Leseranfragen immer wieder eine verständliche Frage auf. Die Frage, wie häufig ein Rezensent ein Spiel auf den Tisch gebracht hat, bevor er sein Urteil fällt und den Text verfasst. Mit der Frage eng verbunden ist die Bitte nach Offenlegung der gespielten Partien. Diese Frage nach einer objektiv greifbaren Zahl ist verständlich. Dennoch werden wir diese nicht liefern. Aber nicht, weil wir uns einfach nur weigern wollen. Sondern, weil diese Zahl nichts aussagt.

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Rezensionen und der Wunsch nach einem objektiven oder zumindest gründlichen Urteil

Hinter dieser Frage steht der Wunsch, die Urteilskraft des Rezensenten einschätzen zu können. Zum einen können Leser dann für sich besser einschätzen, ob sie es mit einem „schnell dahingewischten Ersteindruck“ oder mit einer fundierten und gründlichen Rezension zu tun haben. Kurz: Wie verlässlich der Text ist. Die Vermutung liegt ja nahe: Wer ein Spiel nur zweimal gespielt hat, kann unmöglich ein fundiertes Urteil fällen. Wer ein Spiel aber zehnmal ausprobiert hat, wird alle Vor- und Nachteile kennen. Daher sind dessen Rezensionen – ähm – verlässlicher!?! Aber ist das überhaupt so?

Die Anzahl gespielter Partien ist kein Garant für fundierte Kritik am Spiel

Ich möchte einmal ein extremes Beispiel bringen. Das Spiel Der Ringkrieg ist für Tolkien-Fans ein Muss. Dieses Spiel erfordert aber eine extreme Einarbeitungszeit und zudem ein äußerst gründliches Regellesen. Die Mechanismen sind so heftig miteinander verzahnt, dass jeder kleine Fehler riesige Auswirkungen hat. Ebenso gibt es mehrere mögliche Strategien zu entdecken. Dennoch gelingt es erfahrenen Spielern und damit auch erfahrenen Rezensenten bereits vor der ersten Partie, die Komplexität und Möglichkeiten zu erfassen. Nach zwei oder drei Partien haben sie den Bogen des Spielmechanismus raus.

Diesen Rezensenten traue ich eine wirklich gute Kritik zu. Eine fundierte Rezension zu einem Moloch von Spiel. Vorausgesetzt, sie haben die Regeln begriffen. Gibt der Rezensent nun aber an, sein Artikel beruht auf drei Partien, wäre der Aufschrei groß. Und das, obwohl vielleicht die Rezension inhaltlich top ist.

Anders wäre es jedoch bei einem Spiel wie – sagen wir – Codenames. Dieses einfache Spiel ist schnell begriffen und sollte doch nach zwei, drei Partien ebenfalls gut zu rezensieren sein. Ein anderer Rezensent könnte also problemlos … Oder doch nicht? Was ist denn, wenn dieser auch nach zehn Partien immer noch nicht begriffen hat, wie er Begriffe umschreiben muss, dass seine Mitspieler den Hinweis verstehen, der Gegner im Dunkel gelassen wird und zudem das verbotene Word nicht genannt wird? Es gibt solche Spieler und damit auch Rezensenten, die können trotz einfacher Mechanismen das Spielprinzip nicht für sich entdecken. Angenommen, dieser Rezensent, an dem der wesentliche Spielmechanismus vorbeirauscht, veröffentlicht dennoch eine Rezension und gibt die Zahl seiner Partien mit acht oder gar zwölf an.

Ist diese große Zahl nicht scheinbar viel „besser“ als die kleine Zahl unter der Rezension seines Kollegen zu Der Ringkrieg? Eben nicht! Obwohl sie um ein Vielfaches größer ist, bleibt die Substanz der Rezension ein missverstandenes oder nicht in der Gänze erfasstes Spiel.

Viele Partien sind nicht besser als wenige

Auch wenn es sich um ein Extrembeispiel handelt: Für mich bedeutet dies, dass die Anzahl der Partien keinerlei Aufschluss darüber gibt, ob der Rezensent das Spiel wirklich richtig gespielt, vollständig erfasst und mit allen Stärken und Schwächen kritisch beleuchtet hat. Die Zahl gibt nicht einmal wieder, ob das Urteil nach x Partien anders ausgefallen ist, als es bereits nach y Partien der Fall gewesen wäre.

Viele Partien sind also nicht besser als wenige. Jedenfalls nicht, um eine Spielerezension zu verfassen. Damit meine ich selbstredend nicht, dass Rezensenten alle Spiele nur einmal anspielen müssen. Ganz im Gegenteil. Aber die bloße Zahl der Partien liefert nicht das, wonach der Leser sich scheinbar sehnt: eine Möglichkeit zur objektiven Einschätzung des Fundaments der Rezension. Eben dieses Fundament ist bei jedem Spieler und jedem Rezensenten und nicht zuletzt für jedes Spiel zwangsläufig ein anderes. Daher sind solche Angaben eine nur scheinbar informative Angabe. Im Gegenteil, diese Zahlen verführen, eine Rezension nur durch eine scheinbar objektive Quantifizierung falsch einzuschätzen. Sie tragen somit eher zu Fehleinschätzungen bei. Daher verzichten wir ganz bewusst auf solche Angaben. Nicht, weil wir etwas zu verbergen hätten, sondern weil die Angabe Objektivität und Vergleichbarkeit vorgaukelt, wo keine zu finden ist. Die Qualität des Urteils hängt nicht mit der Anzahl der gespielten Partien zusammen. Auch nach 30 Partien kann eine Rezension inhaltlich totaler Murks sein.

Nach wie vielen Partien kann eine Rezension eine verlässliche Rezension sein?

Nun stellt sich die Frage, nach wie vielen Rezensionen eine Rezension möglich oder sinnvoll ist. Böse Zungen behaupten, dass einige Spiele bereits nach dem Lesen der Spielanleitung rezensiert werden könnten. Aber diese Spiele sind Ausnahmen. Daher gilt: Eine Rezension kann der Autor dann verfassen, wenn er so viele Partien gespielt hat, dass er das Wesen des zu rezensierenden Gesellschaftsspiels und seine wichtigen Feinheiten erfasst hat, und er sich ein Urteil nach seinen Erfahrungen am Spieltisch zutraut. Das bedingt ausdrücklich nicht, dass jede feine mögliche Strategie ausgetüftelt sein muss. Es bedingt jedoch, das Spiel verstanden und die Reaktion der Mitspieler erlebt zu haben. Kurz: So viele Partien, wie nötig sind.

Anzahl der Partien vor einer Rezension: Was gilt bei Reich der Spiele?

Stellt sich noch abschließend die Frage, wie das eigentlich bei Reich der Spiele läuft. Unser Team ist angewiesen, so viele Partien wie nötig zu spielen. Allerdings gibt es in der Tat eine Vorgabe. Diese lautet:

  • Spielt das Spiel in mindestens zwei verschiedenen Spielrunden.
  • Spielt das Spiel in unterschiedlicher Spielerzahl, idealerweise mit der Mindest- und Maximalzahl.
  • Spielt Kinder- und Familienspiele mit Spielern an der Altersuntergrenze (und ggf. Obergrenze).
  • Spielt das Spiel mit erfahrenen Spielern und Gelegenheitsspielern.

So einfach ist das. Und so schwierig. Denn nicht immer wird diese Mindestanforderung überhaupt umsetzbar sein. Unser Team versucht jedoch nach Kräften, jedes Spiel für sich so umfassend wie möglich auszuprobieren. Am Ende steht dann ein sachliches, kritisches, aber aus Spielerfahrung gewachsenes Urteil. Diese Vorgabe ist dann aus meiner Sicht deutlich mehr wert als eine nackte Zahl, die aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet völlig unterschiedliche Aussagen zulässt. Und ganz nebenbei: Wir veröffentlichen Ersteindrücke, also Erfahrungen nach ein oder zwei Partien, in unserer Blogrubrik „Spielgefühl„. Unsere Rezensionen sind also entsprechend fundierter und erfüllen idealerweise noch andere Punkte wie den Bezug zu ähnlichen Spielen usw. Bei einem Spiel ist das klarer zu lesen, bei anderen weniger klar. Aber für uns sind Rezensionen mehr als ein Ersteindruck und damit stets ein vom Rezensenten nach belastbaren Erfahrungen gefälltes Urteil – unabhängig von der Anzahl der Partien.

Ergänzung: Unser Chefredakteur machte mich noch auf ein Detail aufmerksam, das wirklich sehr bedeutend bei einer Rezension ist. Wichtiger als die Anzahl der Partien ist nämlich, dass ein Spiel an den richtigen Rezensenten geht. Nämlich zu dem, der was damit anfangen kann und der kompetent dafür ist. Für jeden Topf der richtige Deckel. Dann klappt es auch (zumindest in der Theorie) mit der Rezension, egal nach wie vielen Partien.

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1 Kommentar

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Beate J. 9. Dezember 2016 at 09:39

Wichtiger als die Anzahl der gespielten Partien ist für mich eine Aussage darüber, wie sich ein Spiel zu zweit (bzw. mit der Mindestspielerzahl) spielt.

 

Oftmals muss in 2er Runden mit einem Dummy gespielt werden, was mir nicht gefällt. Üblicher Weise wird dies nicht auf der Spieleschachtel angegeben.

So manches Spiel liegt deshalb ungespielt im Regal.

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