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Till Meyer über das Brettspiel Neustart

Neustart - Ausschnitt der Cover-Illustration - Foto von Spieltrieb

Spielerisch den Ernstfall beim Blackout simulieren

Plötzlich geht im Haus das Licht aus! Gleichzeitig wird es in der Nachbarschaft und auf der ganzen Straße dunkel. Das kann nur bedeuten, dass der Strom ausgefallen ist. Betrifft das aber nicht nur ein Stadtviertel, sondern eine ganz Stadt, Region oder schlimmstenfalls das Land, ist das kein normaler Stromausfall, sondern ein Blackout. Nahezu die gesamte Alltagsstruktur geriete aus den Fugen. Zwar könnte sich freuen, wer ein batteriebetriebenes Radio hat, doch auch das, was da rauskommen soll, muss irgendjemand produzieren – mit Strom. Alles Folgen, die angesichts der Energiekrise als Folge des Ukrainekriegs Anfang 2022 einige Zeit ernsthaft befürchtet wurden. Experten zufolge ist die Wahrscheinlichkeit des Eintretens immer noch hoch.blank

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Angefixt von dem gleichnamigen Buch von Marc Elsberg hat sich der Spieleentwickler und Geschäftsführer des Verlags Spieltrieb Till Meyer mit dem Präsidenten der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV) Herbert Saurugg zusammengetan. In fachlicher und spieletechnischer Kooperation entwickelten sie das Spiel Neustart. Ein Spiel, das sich mit einer Situation befasst, die hoffentlich nie eintreten wird.

Tipp: Neustart bestellen und sparen

Wer das Spiel direkt beim Verlag bestellen möchte, erhält bei Eingabe des Codes „Reich der Spiele“ einen kleinen Nachlass und zahlt nur 69 Euro zzgl. Versandkosten (Preisangabe laut Verlag, Stand 23.02.2024).

Neustart ist das Brettspiel (nicht nur) für Einsatzkräfte

Nach der Fertigstellung und Veröffentlichung im März 2022 und mithilfe der Publikationen des GfKV trat dann etwas ein, das beide Verantwortliche vielleicht erhofft, aber nicht wirklich zu glauben gewagt hätten. Aus dem Spiel, das sowohl als Schulungsmodell für Krisenstäbe als auch für Normalspieler geeignet sein sollte, entwickelte sich rasch ein Erfolgsmodell für die Fortbildung von kommunalen Krisenstäben. Es gab rund 600 Vorbestellungen, und allein das Bundesland Oberösterreich versorgte mit 400 Exemplaren alle seine Kommunen mit einem Exemplar. Auch die zweite Auflage von 2.000 Stück ist bereits zu einem großen Teil verkauft, und es gehen nach wie vor zahlreiche Bestellungen ein, die bereits eine dritte Auflage wahrscheinlich machen. Orts-, Landes- und Bundesverbände des THW, Hilfsdienste, wie die Malteser und Johanniter, Kliniken, Polizeischulen, Feuerwehren, Unternehmen für Unternehmensrisikomanagement und seit einiger Zeit sogar verstärkt die Führungsakademie der Bundeswehr zeigen Interesse an Neustart.

Diese ungewöhnliche Entwicklung nahmen wir zum Anlass, um mit Till Meyer über die Hintergründe von Neustart zu sprechen.

Neustart - die Stadt | Foto: Axel Bungart
Neustart – die Stadt | Foto: Axel Bungart

Eine fordernde Managementaufgabe

Till Meyer, worum geht es bei Neustart?

„Um die organisatorische Bewältigung der Folgen eines überregionalen Strom-, Infrastruktur- sowie Versorgungsausfalls („Blackout“) in einer Kleinstadt.“

Was sind die Kernelemente und -mechanismen des Spiels?

„Ganz kurz: Im Fall eines überregionalen und länger andauernden Stromausfalls funktioniert praktisch nichts mehr so, wie wir es kennen. Dass Licht, Wasserver- und Abwasserentsorgung nicht mehr funktionieren ist klar. Aber es werden auch keine Lebensmittel mehr geliefert, es kann nicht mehr getankt werden, Handy, Telefon und Computer bleiben stumm und dunkel. Alle müssen daher bis zur Wiederherstellung der Versorgung mit dem auskommen, was noch in den Speisekammern oder in den Supermärkten vorhanden ist.

Ein wesentlicher Teil dieses kooperativen Spiels dreht sich daher um Priorisierung, Rationierung und das Ressourcenmanagement von immer knapper werdenden Ressourcen, da auch auf Seiten der organisierten Hilfe nur begrenzte Mittel zur Verfügung stehen.

Hinzu kommt, dass für jede Runde – zwei pro Tag – wie in einer echten Krise nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung steht. Alle Probleme, die in dieser Zeit nicht gelöst werden können, bleiben unerledigt – mit allen negativen Konsequenzen. Ungelöste Probleme und mangelnde Versorgung der Bevölkerung führen zur Unzufriedenheit bis hin zu offenen Unruhen. Kommt es in vier Stadtvierteln zu Aufständen, ist das Spiel verloren.“

Das Neustart-Szenario: Ist ein Blackout realistisch?

Was hat Dich an dem Thema besonders gereizt?

„Ich habe das Buch ‚Blackout‘ von Marc Elsberg gelesen und – auch, wenn das Buch ein Thriller ist – war fasziniert von den Informationen über die umfassenden und gewaltigen Probleme, die ein tagelanger, überregionaler Stromausfall mit sich bringen würde. Bis hin dazu, dass ein französisches AKW mit einem Super-GAU riesige Flächen verseucht, weil die Notstromversorgung ausfällt. In Marc Elsbergs Buch liegt der Grund für den Blackout zwar in den Aktionen von Öko-Terroristen, aber die braucht es eigentlich gar nicht.“

Neustart - ein Stadtviertel | Foto: Axel Bungart
Neustart – ein Stadtviertel | Foto: Axel Bungart

Hältst Du das Spielthema, die Bedrohung durch einen Blackout, für realistisch?

„Die Frage ist für uns nicht, ob es zu einem gravierenden Blackout kommt, sondern wann.
Ende der 90er-Jahre waren noch nicht einmal zehn Eingriffe notwendig, um die Stabilität der Stromversorgung sicherzustellen, 2022 waren es dagegen 12.000 und im letzten Jahr 15.000. Erst Anfang Januar waren fast 200 Eingriffe an nur einem Tag erforderlich, um die Systemstabilität aufrecht zu erhalten. Die Stromversorger machen einen super Job, aber es ist offensichtlich, dass irgendwann die Schwierigkeiten nicht mehr beherrschbar sind. Die Herausforderungen werden laufend mehr. Ich bin überaus glücklich, dass die Ära der Nuklearenergie in Deutschland beendet ist, aber derzeit stehen immer weniger Reserven zu Verfügung, wenn es eng wird. Auch wenn mit der Digitalisierung vieles besser wird, sollten wir dennoch die Schattenseiten nicht vergessen. Was bei Elsberg noch Öko-Terroristen sind, können mittlerweile durchaus gezielte Hackerangriffe durch eine andere Nation sein.“

Zusammenarbeit für die Krisenbewältigung

Wie kam es zu der Kooperation mit der Gesellschaft für Krisenvorsorge und Herbert Saurugg, und welchen Nutzen hat das dem Spiel gebracht?

„Marc Elsberg fand die Idee eines Spiels zum Thema überaus spannend, hatte aber wegen eines neuen Buchprojekts keine Zeit, sich in eine Spieleentwicklung einzubringen. Er verwies mich aber an seinen Landsmann, Herbert Saurugg, dem internationalen Blackout- und Krisenvorsorgeexperten und Präsidenten der Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV). Herbert fand die Idee auch bestechend, meinte aber, dass er von Spieleentwicklung keine Ahnung habe. Herbert war für die Inhalte verantwortlich, während ich mich um die Spieleentwicklung gekümmert habe.

An vielen Stellen waren zu viele Informationen enthalten, die Herbert im Spiel haben wollte. Das Spiel wäre nur für Fachkräfte spielbar gewesen. Meine Aufgabe bestand darin, dieses komplexe Thema in eine spielbare Form zu bringen.“

Neustart - Teamtableau Verwaltung | Foto: Axel Bungart
Neustart – Teamtableau Verwaltung | Foto: Axel Bungart


Hast Du bei der Spielentwicklung bereits geplant, das Spiel als ernsthaftes Schulungstool einzuführen?

„Die Sache lief eigentlich eher andersherum. Nach den ersten Kontakten mit Herbert und den Überlegungen, was ein solches Spiel vermitteln sollte, war relativ schnell klar, dass das Konzept in Richtung eines Planspiels für Fachkräfte gehen würde. Herbert war aber derjenige, der immer wieder dafür plädiert hat, aus Neustart AUCH ein Mainstream-Spiel zu machen, um damit nicht nur Fachkräfte zu erreichen.“

Neustart ist ein Brettspiel mit Erkenntnisgewinn

Fachkräfte sollen also mit dem Spiel auf den Ernstfall vorbereitet werden können. Können auch Nichtfachleute etwas daraus lernen?

„Für viele ist klar, dass ein gut ausgebildeter und vorbereiteter Krisenstab benötigt wird, um Krisen erfolgreich zu bewältigen. In einer solchen Lage ist es jedoch auch essenziell, dass die Bevölkerung entsprechend vorbereitet und selbstwirksam ist.

Wenn also die Menschen aus dem Spielablauf die Erkenntnis mitnehmen, dass man grundsätzlich für mindestens zwei Wochen Vorräte im Haus haben sollte (und damit sind nicht nur Klopapier und Nudeln gemeint), ein batteriebetriebenes Radio, Medikamente, Trinkwasser etc. UND die Erkenntnis, dass man im Krisenfall eben nicht zuhause sitzen und nörgeln, sondern dass man aktiv mithelfen sollte, dann hat Neustart seinen Zweck erfüllt.

Derzeit herrscht oft genug in der Bevölkerung die Mentalität vor, dass der Staat es schon richten wird. Aber das ist eine Illusion und wird in einer Blackout-Krise nicht funktionieren. Gleichzeitig herrscht noch in vielen Kommunen der Glaube vor, dass schon nichts passieren wird, weil bisher auch nichts passiert ist. Beide Einstellungen können eine beherrschbare Krise in ein unvorstellbares Chaos mit immensen Schäden und vielen Toten verwandeln.“

Das heißt, dass die Spieler (= Hilfsorganisationen) in Neustart von der Bevölkerung unterstützt werden können?

„Ja, aus diesem Grund sind rote und grüne Meeple, also unzufriedene und kooperative Bürgerinnen und Bürger, sowie die Einrichtung von dezentralen Anlaufstellen („Selbsthilfe-Basen“), spielentscheidend. Mainstream-Spielerinnen und -spieler durchblicken das vermutlich schon beim Lesen der Spielanleitung. Daher haben wir aus diesen Gruppen einige Male die Rückmeldung bekommen: ‚Kann man Neustart überhaupt verlieren?‘, während von Fachkräfte-Gruppen oft die Rückmeldung kam: ‚Kann man das Spiel überhaupt gewinnen?'“

Neustart - Ereigniskarten Foto: Axel Bungart
Neustart – Ereigniskarten Foto: Axel Bungart

Welche Schwierigkeiten entstanden bei der Gestaltung zwischen realistischer Simulation und Spielbarkeit für Normalspieler?

„Für Normalspieler hätte Neustart vermutlich noch komplexer sein können. Allerdings kann man auch hier mit einfachen Änderungen der Spielregeln Abhilfe schaffen.

Allerdings ist es auch so, dass wir bei Spieltrieb schon seit 25 Jahren Erfahrungen gesammelt haben, wie komplexe Themen in gut spielbare Spiele umgesetzt werden können. Ich denke, wir haben die Gratwanderung zwischen Fortbildungs- auf der einen Seite und Mainstream-Spiel auf der anderen, recht gut hinbekommen. Zumindest, wenn man den Rückmeldungen der Spielgruppe aus der einen wie der anderen Richtung liest.“

Neustart: Die Pro-Version steht „für Profis“

„Wenn eine Kommune durch das Spiel besser schnelles und effizientes Katastrophenmanagement trainieren kann, stehen die Kosten für das Spiel in keiner Relation zu den vermiedenen Schäden.“

Organisationen, die das Spiel zu Trainingszwecken, also kommerziell, nutzen, zahlen statt der regulären 75 Euro mit aktuell 250 EUR für die Pro-Version einen recht üppigen Preis. Was erhalten sie dafür?

„Kommunen und Hilfsdienste, die in der Nachbereitung selbst kompetent das Spiel-Erlebnis auf die Realität übertragen können, können natürlich die Basis-Version bestellen. Nutzer der Pro-Version erhalten zuerst einmal das Handbuch, das den Transfer zwischen Spiel und Realität herstellt. Hier finden sich neben einem Artikel von Herbert Saurugg zum Auftreten eines Blackouts und den zu erwartenden Aufgaben für Kommunen und Hilfsdienste, auch eine Erläuterung zu praktisch jeder einzelnen Ereigniskarte, zusammen mit einer Checkliste, welche Probleme in einer existierenden Kommune vermutlich nicht auftreten (hier in der Gemeinde gibt es z. B. kein Krankenhaus), oder welche massiv auftreten werden (z. B. Anzahl pflegebedürftiger/immobiler Menschen, allein lebende, Medikamentenbedürftige?).

Von mir finden sich im Handbuch Texte zur Vorbereitung und zum Einsatz des Spiels, sowie zur Nachbereitung und Evaluation. Des Weiteren erhalten die Nutzer die Lizenz, Neustart in Fortbildungen einzusetzen.

Till Meyer - Spieleerfinder und Verleger
Till Meyer ist Spieleerfinder und Verleger

Not at least eine Kennnummer, mit der sie sich in der Fachkräfte-Sektion des Neustart-Forums einwählen und mit anderen Fachkräften austauschen können. Hier geht es natürlich nicht nur um das Spiel an sich, sondern auch um reale Maßnahmen zur Krisenprävention und zum Krisenmanagement.

Und schließlich bekommen sie auf Wunsch von mir eine Einführung ins Spiel oder von mir betreute Spieleinsätze. Letzteres ist allerdings seit Erscheinen der ersten Auflage noch nicht in Anspruch genommen worden. Offenbar haben wir auch für nicht so spiel-affine Menschen ein leicht erlernbares Spiel entwickelt.

Des Weiteren: Ein ‚recht üppiger Preis‘ ist  relativ zu sehen. Wenn man bedenkt, dass der erwartbare Schaden in Folge eines Blackouts kaum vorstellbar ist und vor Jahren für die erste Stunde eines deutschlandweiten Stromausfalls die Schäden mit 600 Millionen Euro beziffert wurde, dann sind das alles Peanuts. Wenn eine Kommune durch das Spiel besser schnelles und effizientes Katastrophenmanagement trainieren kann, stehen die Kosten für das Spiel in keiner Relation zu den vermiedenen Schäden.

Auch in den Kommunen werden ganz andere Summen ausgegeben. Wir sind überzeugt, dass diese 250 Euro in jeder Gemeinde oder Organisation gut investiert sind und einen großen Nutzen bringen können. Neustart regt dazu an, über Dinge nachzudenken, an die man sonst nicht gedacht hätte. Man entdeckt neue Ideen und lernt, wie unterschiedliche Akteure effektiv zusammenarbeiten können.“

Sensibilisierung mit Spaßfaktor für Spielefans

Katastrophen-Lehr-Brettspiel Neustart - Cover - Foto von Spieltrieb

Somit ist das Spiel auch für Spielefans interessant, die nicht Mitglied eines Krisenstabs oder einer Rettungsorganisation sind?

„Auf jeden Fall, wie die vielen positiven Rückmeldungen bestätigen. Trotz des sehr ernsten Themas sind Spaß, Spannung, taktische Planung und Kooperation wesentliche Spielelemente. Wie gesagt, es ging uns bei der Entwicklung auch um Sensibilisierungsarbeit, die wir damit leisten wollen. Wenn das Spiel langweilig ist, funktioniert das aber nicht. Niemand will frustriert aus einem Spiel gehen, auch wenn es hier genug Gründe dafür gäbe. Aber man denkt hinterher darüber nach, was es bedeuten könnte, Menschen sterben zu lassen, brennende Häuser oder sogar ein Stadtviertel aufzugeben, um einen noch viel größeren Schaden abzuwenden. Auch, dass man eine solche Krise sicher nicht ohne größere Schäden bewältigen wird können, dass man aber diese durch kluge Taktik minimieren kann.“

Worin siehst Du die wesentlichen Unterschiede zu anderen Krisenmanagementspielen wie zum Beispiel Pandemie/Pandemic (Matt Leacock)?

„Mit Sicherheit der Realitätsbezug. Pandemie ist doch eher abstrakt gehalten. Als Vergleich würde ich vielleicht eher Flash point und ganz sicher This war of Mine in Betracht ziehen.“

Tipp: Neustart bestellen und sparen

Wer das Spiel direkt beim Verlag bestellen möchte, erhält bei Eingabe des Codes „Reich der Spiele“ einen kleinen Nachlass und zahlt nur 69 Euro zzgl. Versandkosten (Preisangabe laut Verlag, Stand 23.02.2024).

Zusatzinfos zum Interview mit Till Meyer über Neustart

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