Manchmal gibt es Spiele, die trotz großem Potenzial den Durchbruch nicht geschafft haben und unberechtigt ein Schattendasein fristen. Ein solches „hässliches Entlein“ ist Anno 1452. Spieler, die sich trotzdem darauf einlassen, werden überrascht sein, was sich an Spielspaß hinter diesem spröden Titel verbirgt. Eine Warnung vorab: Die Grafik, insbesondere der Karten, entspricht nicht dem heutigen Stand, aber das wäre meine einzige Empfehlung bei einer Überarbeitung.
Nach Öffnen der Schachtel werden die Spieler ins Mittelalter versetzt, ins Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Der große Spielplan zeigt als Landkarte das Reich mit 16 unterschiedlichen Regionen, Provinzen, genannt. Dazu Anzeigeleisten für das Prestige der Spieler, das Jahr und die Spielreihenfolge und Ablagefelder für die Besitzkarten und Aktionskarten. Jeder Spieler erhält die 16 Besitz- und 24 Bürgersteine seiner Farbe, je zwei Markierungssteine werden für die Prestigeleiste und die Spielreihenfolge benötigt. Zusätzlich enthält die Schachtel noch zwölf Söldner, eine Zeitstein, 32 Stadtplättchen, vier Kurzreferenzen, drei verschiedene Spielendemarkierungen, die Besitz- und Aktionskarten und das Spielgeld.
Anno 1452 hat ein paar ungewöhnliche Mechanismen, die zu Beginn erläutert werden sollten. Das Spielende ist variabel, das heißt, die Spieler einigen sich bis zu welcher von drei Jahreszahlen das Spiel dauern soll und markieren das auf der Zeitleiste. Zu jeder Jahreszahl gibt es außerdem ein bis drei Aktionsrunden und eine Ergebnisrunde. Ob eine weitere Aktionsrunde stattfindet, hängt von den Würfeln ab. Nach der ersten beziehungsweise zweiten Aktionsrunde wird mit zwei beziehungsweise drei Würfeln auf weitere Aktionsrunden gewürfelt. Bei einer Sechs wird zur nächsten Jahreszahl gewechselt. So kann das Spiel im Extremfall aus nur neun oder ganzen 27 Aktionsrunden bestehen. Dies erklärt auch die hohe Varianz der Spieldauer. Die Spielerreihenfolge wird außerdem jede Runde erneut festgelegt und zwar durch die Spieler selbst. Die Aktionskarten haben oft mehrfache Funktionen, dies kommt in der Spielregel leider nicht deutlich zum Ausdruck. König wird zudem der hinten liegende Spieler, entsprechend der historische Praxis der Kurfürsten einen möglichst schwachen König zu küren.
Doch nun zum Spielablauf selbst. Nach Festlegung der ersten Spielreihenfolge erhält jeder Spieler fünf Aktionskarten und fünfzehn Goldmünzen als Startkapital, danach werden reihum zwei Besitzstein, die drei Bauern entsprechen, in benachbarte Regionen gesetzt. Dann beginnt die erste Aktionsrunde. Einem Spieler stehen immer drei Grundaktionen zur Verfügung. Er kann angreifen: Ein Besitzstein mit Anhang greift einen anderen Besitzstein in der gleichen oder einer benachbarten Region an. Der Ausgang des Kampfes hängt vom Würfelglück ab und wird durch diverse Randbedingungen wie Anzahl und Art der Einheiten und der angegriffenen Siedlung beeinflusst. Als zweites kann der Spieler, freie Plätze vorausgesetzt, neue Besitzsteine einsetzen. Dafür ist aber Geld vonnöten und zwar umso mehr, je mehr Besitzsteine diese Region schon besetzen. Oder er setzt Bürger ein. Auch dafür ist Geld die Voraussetzung und unterstützende Bauern, da jeder Bauer nur einen Bürger ernähren kann. Für alle weiteren Aktionen wie Verleihung von Stadtrechten, Heirat, Titelvergabe, Erbschaft et cetera wird die passende Aktionskarte benötigt und müssen die auf der Karte angegebenen Bedingungen erfüllt sein.
Bei all diesen Möglichkeiten haben die Spieler die Qual der Wahl, da sie pro Runde nur eine Aktion wählen können. Und jede Aktion hat ihre eigenen Auswirkungen auf das Prestige und den Geldbeutel. Nach Abschluss aller Aktionen der Runde wird gewürfelt, ob eine weitere Aktionsrunde stattfindet. Wenn nicht, kommt die Ergebnisrunde. Zuerst ergänzen die Spieler ihre Kartenhand. Dabei können durch sofort auszuspielende Karten oder besonderen Aktionskarten noch überraschende Wendungen wie zum Beispiel ein Gegenkönig auftreten. Danach gibt es Geld: Für alle Besitztümer bekommen die Spieler Steuereinnahmen. Im Expertenspiel folgt nun der Handel und die diplomatischen Verhandlungen der Spieler untereinander. Danach wird noch das Prestige für den derzeitigen Stand der Besitztümer verteilt. Im Anschluss daran wird der König bestimmt und bekommt seine Privilegien. Als letztes darf der König noch als erstes seinen Stein auf die Reihenfolgeleiste setzen, der Zeitstein rutscht auf eine neue Jahreszahl und die Runde beginnt von Neuem. Am Ende der neunten Runde erfolgt noch eine Endabrechnung und der Spieler mit dem meisten Prestige gewinnt.
Die Tiefe von Anno 1452 wird selten beim ersten Spielen deutlich. Die recht brauchbare Spielregel ist sehr umfangreich, um die Möglichkeiten und Interdependenzen alle abzubilden, aber hat man die ersten Partien hinter sich, erschließt sich einem ein großartiges Spiel. Die ungewöhnlichen Mechanismen sind sehr gut ausgewogen, sodass es fast immer bis zum Ende spannend bleibt. Meine Empfehlung ist dabei das Spiel zu viert, bei weniger Spielern sollte man unbedingt den vorgesehenen neutralen Fürsten mit aufs Brett nehmen. Auch ist die Basisversion primär für die Tutorialspiele geeignet, erst die Expertenregeln bringen den richtigen Spielspaß. Wer Glück hat findet von diesem Spiel gebraucht recht gut erhaltene Exemplare. Und vielleicht gibt es ja irgendwann eine Neuauflage. In meinem Regal liegt es jedenfalls weit vorne, um gleich bei der Hand zu sein, wenn die Runde nach einem schönen, anspruchsvollen Spiel verlangt.
Infos zu Anno 1452
- Verlag: Piatnik
- Autor: Gerhard Kodys
- Spieleranzahl (von bis): 2 - 4
- Alter (ab oder von bis in Jahren): 12
- Dauer in Minuten: 120
- Jahrgang: 1999
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