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Kommentar: fragwürdiger Spendenaufruf für spiel digital

Von großer Irritation und treuen Schafen

Ich bin äußerst irritiert. Ja. Warum? Weil ein Unternehmen, das eine siebenstellige Bilanzsumme aufweist, um Spenden bittet. Im Gegenzug bietet es was? Nichts! Würde jemand von euch, liebe Leserschaft, so einer Bitte nachkommen? Nein? Eben! Um meine Irritation zu verstehen, muss ich kurz ausholen.

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Irritation pur!

Wenn ich mal irgendwann auf einer Messe war, bin ich eine mehr oder weniger klare Zielgruppe des Veranstalters. Wenn dieser wegen Corona nun die Messe ausfallen lässt, ist das schade. Ihm entgeht ein Millionengeschäft. Wenn er stattdessen eine digitale Form der Ausstellung ans Laufen bringt, ist das toll. Ich wäre aber äußerst irritiert und fände es mehr als befremdlich, wenn dieser Veranstalter um eine Spende bittet, weil sich die ganze Alternative nicht rechnet.

Wohl gemerkt: Es handelt sich ja nicht um einen gemeinnützigen Verein, sondern um Unternehmen, das Jahr für Jahr Millionen umsetzt.

Spenden statt solider Finanzierung

In der Spielebranche findet genau das gerade statt. Der Friedhelm Merz Verlag richtet üblicherweise die Spielemesse in Essen aus. Dieses Jahr musste diese wegen der Pandemie ausfallen. Um wenigstens ein bisschen was bieten zu können, findet als kleine Alternative die spiel digital statt. Eine reine Online-Veranstaltung, über die wir, soweit es uns sinnvoll erscheint und es für uns machbar ist, bei Reich der Spiele berichten.

Bei der Gelegenheit: Das Konzept der digitalen Alternative basiert zu einem nicht unwesentlichen Teil auf das Einbinden von Medien. Medien, die vor und zum Messetermin von der Veranstaltung selbst und den dort vorgestellten Spielen berichten. Ohne die Medien wäre die Messe vermutlich nur „halb so viel“ wert.

Ein anderer Teil basiert auf Teilnahme der Verlage, die gegen einen gewissen finanziellen Beitrag ihr Programm im Rahmen der digitalen Messe vorstellen dürfen. Das refinanziert einen Teil der Kosten. Einen weiteren Teil der Kosten holt der Ausrichter über den Verkauf von Merchandiseartikeln rein (übrigens mit einem – wie ich finde – recht hässlichen und erklärungsbedürftigen Logo von Meisterillustrator Vohwinkel – Franz, das kannst du besser!).

Nun sagt aber der Ausrichter: Die Kosten für die digitale Messe übersteigen die Einnahmen. So weit, so schlecht.

Der unsägliche Spendenaufruf

Was nun wirklich irritiert: Auf der Webseite der Messe bittet der Friedhelm Merz Verlag seit Kurzem um Spenden. Dort heißt es:

„Dieses Jahr ist alles anders, aber wir trotzen der Pandemie und scheuen keine Mühen, euch eine SPIEL der anderen Art zu ermöglichen. Unterstützt uns, damit wir auch in Zukunft viele weitere grandiose SPIELe-Messen auf die Beine stellen können!“

Hobbyszene als willige Schafe

Hallo? Hier bittet ein Messeveranstalter, der bisher und wohl auch zukünftig Jahr für Jahr Millionen umsetzt um Spenden? Bei allem Verständnis für die tolle Veranstaltung: Der Friedhelm Merz Verlag verdient mit einer regulären Messe viel Geld. Sehr viel Geld. Glaubt man der letzten aktuell im Bundesanzeiger veröffentlichten Kurzbilanz, weist das Unternehmen einen beachtlichen siebenstelligen Betrag als Bilanzsumme auf. Dieser ist sogar etwa 25 Prozent höher als im Vorjahr. So schlecht scheint es dem Unternehmen nicht zu gehen. Wobei der Kurzbericht keine echten Rückschlüsse auf die Situation zulässt. Ein paar Indizien sprechen aber für eine recht gesunde GmbH & Co KG.

Und nun bittet dieses Unternehmen um Almosen von seinen Kunden, dem Publikum? Das wäre schon merkwürdig genug, wenn es dafür eine Gegenleistung geben würde. Ein Premium-Besuch oder sonst etwas. Nein, das Unternehmen bietet dafür genau: nichts! Da werden Erinnerungen wach an die Preview-Night auf der Spiel ’19.

So etwas gibt es vielleicht nur in der Gesellschaftsspieleszene. Denn wie willige Schafe werden einige spenden. Weil sich alle so gut kennen und „liebhaben“ (was nicht stimmt, denn die Szene ist nur vordergründig nett zueinander, hinterrücks fliegen schon einmal Messer). Und der Messeausrichter ist ja sooo freundlich, weil er jedes Jahr die Messe für die Szene veranstaltet … Blah! Natürlich nutzt allen in der Szene diese Veranstaltung. Aber der Ausrichter macht das ja nicht aus Spaß, sondern verdient damit richtig viel Geld. Das vergessen einige schnell. Es handelt sich um ein Wirtschaftsunternehmen wie jedes andere auch. Abseits der begeisterten Spieler ist die Gesellschaftsspielbranche ein mehr oder weniger knallhartes Wirtschaftssegment wie jedes andere auch.

Die allermeisten Unternehmen in der freien Wirtschaft würden sich vermutlich für einen solchen Spendenaufruf eher schämen. Die Sache ist ganz einfach: Gibt es kein Produkt, bekommst du kein Geld. Lieferst du ein Produkt, solltest du nicht um zusätzliche Spenden bitten. Bittest du um Spenden, wirft das ein schlechtes Bild auf deine Finanzen oder Unternehmensentscheidungen. Klar, User können der Messe kostenlos folgen. Dennoch ist eine Spende meiner Meinung nach absolut unangebracht und offenbar auch nicht zweckgebunden.

Würde jemand zum Beispiel der Deutschen Messe AG Geld spenden für eine – auch sonst – für User kostenlose digitale Form einer Besuchermesse? Oder der Deutschen Bank für das Einrichten eines kostenlosen Kontoservices? Oder der DFL für ein TV-Angebot, das die Sender nicht ausreichend finanzieren? Auf diese Idee käme niemand. Aber die im positiven Sinne Hobbybekloppten werden schon zahlen …

Kosten übersteigen Einnahmen?

Angeblich decken die Einnahmen nicht die Kosten. Kann sein. Das nennt sich dann unternehmerisches Risiko. Ist die Messe schlecht kalkuliert, ist es eben Pech oder zu kurz gerechnet. Dann muss die Veranstaltung eben ausfallen oder anders aufgezogen werden. Nun zusätzlich zu den Einnahmen um Spenden zu bitten, wirkt da äußerst befremdlich. Es handelt sich ja eben nicht um ein Crowdfunding.

Ja, im Corona-Jahr 2020 ist tatsächlich alles anders. Aber wenn es dem Unternehmen so schlecht geht, kann es Staatshilfen in Anspruch nehmen. Wenn es ihm nicht schlecht geht, ist der Spendenaufruf wiederum sehr fragwürdig.

Es profitiert nur der Veranstalter!

Der Witz ist jedoch: Die digitale Spiel ist letztlich auch eine Investition in die Zukunft. Denn bisher war die Messe im Internet selbst äußerst minimal vertreten. Durch das dieses Jahr gewonnene Know-how kann sich das erheblich ändern. Teile des Konzepts könnten die nächsten Jahre fester Bestandteil der Spielemesse in Essen werden und sich vielleicht sogar noch als Gelddruckmaschine für den Veranstalter herausstellen. Ganz sicher lässt sich aber ein solcher Verlust auch steuerlich ganz gut nutzen. Es ist eine Unternehmensentscheidung, diese Veranstaltung zu realisieren. Niemand hat den Friedhelm Merz Verlag gezwungen.

Hier geht es nicht um ein Hobbyblog, der zu einer Minispende aufruft. Es geht auch nicht um ein fragwürdiges Crowdfunding für eine Videoausrüstung, damit eine GmbH über ihren Kanal Unterhaltungsspielevideos senden kann. Und es geht nicht um ein Crowdfunding, bei dem der Unterstützer am Ende ein Produkt bekommt. Hier geht es um ein Messeveranstalter mit einer siebenstelligen Bilanzsumme, der um eine „Wohlfühlspende“ ohne (zusätzliche) Gegenleistung bittet und dafür Know-how und Infrastruktur für sein Geschäftsmodell aufbauen kann. Es profitiert nur einer: der Veranstalter!

Mich „irritiert“ das. Und jetzt mal ernsthaft: Dafür sollen Spielefans eine Spende leisten?

 

Hinweis: Ich bin hin und wieder für mehrere Spieleverlage tätig. Diese Arbeit steht aber in keinem Bezug zum Inhalt dieses Blogartikels. Dieser spiegelt meine ganz persönliche Meinung wider, die zudem in unserem Team nicht unumstritten ist.

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3 Kommentare

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Florian 1. Oktober 2020 at 12:17

Das ist schon eine sehr eigenwillige, um nicht zu sagen gruselige Meinung.

Die Spiel hat für mindestens 1 Jahr kein Produkt, über das Geld generiert werden kann. Es wäre nicht verweunderlich, wenn es trotzdem bereits einiges an Verbindlichkeiten für die abgesagte Messe gibt, da manches/einiges bereits weit im Vorfeld gebucht werden muss. Wie die vertragliche Situation durch die Absage aussieht, wird niemand sagen können, der die Verträge nicht kennt. Momentan kann/muss zudem leider sogar davon ausgegangen werden, dass es 2 Jahre kein Produkt geben wird. Da hilft es nicht eine Bilanz aus den Jahren heranzuziehen, in denen es volle Hallen gab.

Schlimm finde ich Ihren Duktus, vor allem das Nutzen der Metapher von Schafen, die aktuell bei Coronamysthikern gerne genutzt wird. Kann man so schreiben, sollte man aber besser nicht. Außer man fühlt sich der Querdenker-Bewegung nahe. 

Dass Sie sich am Ende darüber wundern, dass es für eine Spende keine Gegenleistung gibt, ist die Kirsche auf der Sahne. Was genau ist noch einmal eine Spende?

Tur mir leid, aber wenn hier jemand stark irritiert, dann sind es Sie, Herr Weber. Als Journalist sollten sie hinsichtlich des Duktus noch einmal in sich gehen. Und ein bisschen mehr Recherche und Hinterfragen von Gründen, wäre sicherlich auch nicht verkehrt.

Florian B.

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Michael Weber 1. Oktober 2020 at 12:56

Vielen Dank für die Kritik.
Das mit den Schafen ist etwas, was in der Tat als Brückenschlag zum genannten Thema nicht beabsichtigt ist.

Duktus: Okay, es ist harte und direkte Kritik. Ich akzeptiere, dass einige der Meinung sind, da würde zu viel Negatives mitschwingen. Dazu möchte ich nur sagen, dass ich die Arbeit des Teams vom Merz-Verlag als Veranstalter sehr schätze und auch dien „kurzen Dienstwege“ zu der Geschäftsführerin sehr mag. Es ist also nichts Persönliches.

Recherche: Ich sage mal so, das stimmt einfach nicht.

Und wenn man es nüchtern betrachtet, müsste dann jedes Unternehmen in der Krisenzeit um Spenden bitten. Da würde aber vermutlich – wenn überhaupt – kaum einer zahlen. Warum also hier? Weil es das heimische heilige Wohnzimmer der Hobbyverrückten betrifft, die eine sonst Jahr für Jahr Millionenumsatz generierende geliebte Spielemesse? Also, Hobbyfans mal eben was rausrücken? Kann ja jeder machen, wie er will. Dennoch gibt es eben auch kritische Meinungen dazu. Das hier ist eine davon, die recht viele Aspekte aufführt.

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Arne Hoffmann 1. Oktober 2020 at 21:02

Servus Michael,

den Punkt bzgl. finanziellen Situation des Friedhelm Merz Verlags lasse ich mal außen vor. Die Kurzbilanz im Bundesanzeiger gibt, auch im Vergleich über mehrere Jahre, nicht so viel deutungsfreies her. Hohe Verbindlichkeiten mit einjähriger Laufzeit, dann aber auch fast ebenso hohe Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern, die den Großteil der Passiva abbilden.

Wo aus meiner Sicht Dein Vergleich zum normalen Messejahr hinkt ist in Deiner Aussage zum Mehrwert. Zugegeben, eine Spende erzeugt keinen Mehrwert im Vergleich zu nicht erfolgter Spende. Der Mehrwert im digitalen Angebot liegt meines Erachtens darin, dass jede Besucherin und jeder Besucher heuer umsonst das volle Angebot einer Spiel.digital wahrnehmen kann und nicht, wie bei der normalen Messe einen Eintritt um die €20 pro Tag zahlt (wo immer der Satz aktuell liegt). Klar wird das digitale Angebot mit hoher Wahrscheinlichkeit weit weniger umfangreich sein, als es diverse Messehallen in Essen sein können. Doch bietet der Merz Verlag, der kommerziell agieren muss, für uns alle hier draußen ein kostenfreies Angebot. In dem Zusammenhang um einen freiwilligen Eintritt in Form einer Spende zu fragen, halte ich persönlich nicht für irritierend. 

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