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Ralf zur Linde über vegane Spielentwicklung

Ralf zur Linde - Foto mit freundlicher Genehmigung

Möglichst wenig Leid antun

Ralf zur Linde ist Spieleautor. Von ihm stammen Titel wie Triqueta, Dizzle, Less Is More, Eselsbrücke und Stichling. Er hat sich entschieden, vegan zu leben. Dabei achtet er auch darauf, dass seine Spielideen thematisch eng an seiner Lebenseinstellung bleiben. Was bedeutet eine klare Haltung in Diskussionen mit Verlagen? Ist seine vegane Lebensführung ein Problem bei der Spieleentwicklung? Wir haben ihn gefragt.blank

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Die vegane Lebensweise

Ralf, du bist inzwischen eine bekannte Größe in der Spieleentwicklung. Seit einigen Jahren lebst du vegan. Wie schwer ist dir damals die Umstellung gefallen?

„Bevor ich mich vor rund fünf Jahren entschieden habe, mich rein pflanzlich zu ernähren, war ich bereits fast zehn Jahre Vegetarier. Ich hatte also nicht mehr den ganz großen Schritt vom Fleischesser zum Veganer zu bewältigen, sondern nur noch den dann folgenden, kleineren Schritt, durch den dann nicht nur Tiere von meinem Teller verbannt waren, sondern eben auch deren Derivate wie Milch, Eier, Käse usw. Ich bin also – freilich ohne es in dieser Weise geplant zu haben – schrittweise vorgegangen, was die Sache vielleicht einfacher gemacht hat.“

Ein kompletter Verzicht auf tierische Produkte ist für viele bereits schwer vorstellbar. Aber gibt es abseits von Ernährung und vielleicht Kleidung noch Bereiche, wo du genau hinsehen musst, welche Art Konsum oder Verwendung von Dingen für dich akzeptabel ist?

„Tiere sind für mich – genau wie Menschen – leidensfähige Geschöpfe, denen ich möglichst wenig Leid und Tod antun möchte. Komplett lässt sich das leider gar nicht vermeiden: selbst beim Ernten von Kartoffeln (die ich zum Überleben brauche) kommen Feldhamster um. Beim Autofahren kommen Rehe zu Schaden, beim Fliegen Vögel. Sogar beim Spazierengehen zertritt man aus Versehen die eine oder andere Ameise. Der oben stehende Ausdruck ‚möglichst wenig‘ ist also so etwas wie mein Leitsatz, den ich versuche, nicht nur auf die Ernährung, sondern auf alle Aspekte des Tierwohls anzuwenden. Weiter würde ich meinen Veganismus-Begriff aber nicht fassen. Kartoffeln selbst anzubauen und mit der Hand zu lesen, auf Autofahren oder Spazierengehen zu verzichten, sind für mich darum keine Optionen.“

Veganismus – was heißt das für die Spielentwicklung?

Spieleerfinder Ralf zur Linde - Foto mit freundlicher Genehmigung
Spieleerfinder Ralf zur Linde lebt vegan – das hat Einfluss auf seine Spiele – Foto mit freundlicher Genehmigung

Gilt das auch für Spielmaterial? Gibt es irgendwelche Komponenten, die du nicht nutzen möchtest, weil sie aus tierischem Material bestehen?

„Wenn das Material direkt und unmittelbar aus tierischem Material bestehen würde, würde ich einer Veröffentlichung selbstredend nicht zustimmen. Würfel aus Elfenbein, ein Tamburin aus Ziegenhaut würde ich nicht mittragen können. Aber soweit ich weiß, sind derlei Auswüchse heute kein Thema mehr.

Komplizierter wird es, wenn man die Kausalketten etwas weiter spannt. In jedem Spiel wird durch die Spielfiguren, Karten oder Pappplättchen immer auch Holz verarbeitet. Der Baum, der dafür niedergehen musste, war aller Wahrscheinlichkeit nach auch mal ein Zuhause für das eine oder andere Tier. Aktuell verbuche ich die damit einhergehenden Tiertode, aber nach wie vor auf der ‚möglichst wenig-Seite‘ und erlaube mir daher, an der Spieleproduktion beteiligt zu sein, genau wie ich eben Auto fahre oder Kartoffeln im Supermarkt kaufe.“

Bei Meduris war das Thema leicht austauschbar - Foto von Haba
Bei Meduris war das Thema leicht austauschbar – Foto von Haba

Wie beeinflusst deine Lebensführung deine Arbeit als Spieleerfinder? Gibt es überhaupt eine spürbare Wechselwirkung?

„Nein, gar nicht! Das gilt vor allem deshalb, weil ich ein sehr mechanisch getriebener Spieleerfinder bin. Die Suche nach innovativen Spielmechanismen treibt mich an, nicht das Thema. Das Thema ist für mich in aller Regel austauschbar. Ein gutes Beispiel ist mein Spiel Meduris (Haba), das in einer keltischen Welt spielt, von mir aber als Südsee-Atoll eingereicht wurde. Bei der thematischen Einbettung des Spiels vertraue ich tatsächlich sehr auf das Know-how der jeweiligen Redaktion. Die dort arbeitenden Menschen wissen viel besser als ich, welche Themen gerade angesagt sind und zudem noch zum Verlagsprofil passen. Erst wenn bei diesem redaktionellen Prozess ein Thema ausgewählt werden würde, das Tierleid impliziert, würde ich ein Veto einlegen.“

Die Esel bei Finca als potenzielles Problem

Finca - nicht ganz so vegan, wie es scheint- Foto von Franjos
Finca ist trotz der Obstsorten nicht ganz so vegan, wie es scheint – Foto von Franjos

Was heißt das konkret: Klammerst du zum Beispiel schon während der Entwiclung oder später Handelsspiele aus, bei denen Fisch oder Felle eine Handelsware ist? Was wäre mit einem Kinderspiel auf dem Bauernhof oder einem Spiel, bei dem Bienen Honig sammeln?

„Ja, ein Spiel, bei dem in der heutigen Zeit Fisch gehandelt wird, wird es von mir nicht mehr geben. Das gilt auch für den Bauernhof, die Honigbienen, Pferderennen und in letzter Konsequenz vermutlich auch den Zoo. Das war nicht immer so. In meinem Spiel Finca mussten beispielsweise Esel die schweren Früchtekarren zum Markt ziehen. Allerdings handelt es sich hierbei um eine historische Darstellung, die aus meiner Sicht durchaus ihre Berechtigung hat. Das Spiel fungiert dann wie eine Art Geschichtsbuch, das aufzeigt, was früher einmal war. Würde Finca in der heutigen Zeit spielen, würden die Früchte vermutlich von Kleintransportern geliefert werden.

Man könnte jetzt natürlich noch argumentieren, dass auch heute noch Fisch gehandelt wird und ein Spiel zu diesem Thema lediglich eine Darstellung der aktuellen Lebenswirklichkeit ist. Das ist richtig. Wenn dies nun aber unkritisch und ohne das Aufzeigen von besseren (weil leidfreien und im Zweifel vielleicht sogar nachhaltigeren und gesünderen) Alternativen passiert, käme eine derartige thematische Umsetzung für mich nicht in Frage. Ich habe hier viel lernen müssen und würde heute das eine oder andere Element in meinen alten Spielen anders aufbereiten. Zum Beispiel die Perlenzucht im 1995 erschienenen Tahiti oder die Peitsche im 2011 erschienenen Eselsbrücke.“

Auch auf die richtigen Fragen kommt es an

Die Fragen bei Less Is More wurden geändert - Foto von Ravensburger
Die Fragen bei Less Is More wurden geändert – Foto von Ravensburger

Verlage ändern gern Themen oder bei Quizspielen Fragen. Hast du vielleicht Beispiele für Änderungen und Überarbeitungen, die du nicht verwirklichen wolltest bzw. für deren Endfassung du nicht dein Okay gegeben hast, weil sie dir nicht vegan genug waren?

„Spontan fallen mir da meine beiden Spiele Less Is More (Ravensburger 2021) und Schätz It If You Can (Moses 2023) ein. In Less Is More werden Begriffe geraten. Mein beim Verlag eingereichter Prototyp hatte seinerzeit aber noch sehr wenige Begriffe, weshalb der Verlag die Liste um etliche weitere Begriffe ergänzt hatte. Begriffe wie ‚Ledergürtel‘, ‚Käse‘ oder ‚Schnitzel‘ wurden aber nach meinem entsprechenden Einwand mit viel Verständnis umgehend gestrichen, so dass das Spiel jetzt ziemlich ‚vegan daherkommt‘. Bei Schätz It If You Can war das genauso. Auch die Moses-Redaktion war in allerhöchstem Maße offen, die eine oder andere Frage (es handelt sich um ein Halbwissen-Quiz-Spiel) zu streichen, umzuformulieren oder gar in einen Kontext zu rücken, der auf etwaig speziesistische Probleme richtiggehend aufmerksam macht (großer Milchkonsum o. ä.).“

Bei Schätz It If You Can leistete die Redaktion ganze Arbeit - Foto moses.Verlag
Bei Schätz It If You Can leistete die Redaktion ganze Arbeit – Foto moses.Verlag

Ist es üblich, dass der Autor sein Okay zu einer finalen Fassung geben muss? Was passiert in Diskussionen mit Verlagen? Prallen da Welten aufeinander oder gibt es ein gegenseitiges Verständnis für gut verkaufbare Themen einerseits und deine Einstellung andererseits? Wie kommen beide Seiten letztlich zu einer Lösung?

„Nach meiner Erfahrung ist das so, ja, und zwar ganz klar. Gerade wenn von der Verlagsredaktion alternative Themenwelten angedacht werden, die vom Prototypen abweichen, wird man als Autor mit ins Boot geholt. Ich nehme hier durchweg einen absolut gleichberechtigten Austausch wahr, was es mir leicht macht, etwaige thematische Einwände anzubringen.“

Der sensible Umgang mit profan wirkenden Themen

Mit einer klaren Haltung eckst du sicher auch immer wieder an. Wie wichtig ist dir persönlich, deine Wertevorstellungen im Privaten und in der „Spiele-Öffentlichkeit“ zu vertreten? Was treibt dich dabei an?

„Im Rahmen der ‚geschäftlichen Tätigkeit‘ innerhalb der Spielebranche bin ich damit bisher noch nicht angeeckt, nein. In der Tat nehme ich eher ein wachsendes und durchweg positiv gemeintes Interesse an Veganismus im Allgemeinen wahr, aber auch im sensiblen Umgang mit profan erscheinenden Themen wie zum Beispiel dem klassischen Tierbauernhof. Das Vertreten meiner Wertvorstellungen in der Spiele-Öffentlichkeit wird mir dadurch natürlich mehr als leicht gemacht. Darüber freue ich mich sehr.“

Der Beitrag der Gesellschaftsspiele

Wie bewertest du vor diesem Hintergrund die generellen Tendenzen in der Branche, potenziell angreifbare Themen wie Kolonialszenarien oder Cowboys und Indianer zu vermeiden oder gar zu überarbeiten? Ist das für dich ein Schritt zu mehr Moral oder geht es teilweise auch zu weit? Wie moralisch muss ein Gesellschaftsspiel deiner Meinung nach überhaupt sein?

„Um diese Fragen zu beantworten, möchte ich nochmal an meine obigen Ausführungen zu einem gegebenen historischen Hintergrund anknüpfen. Wenn erkennbar ist, dass es sich um eine historische Darstellung handelt, ist für mich der Eselskarren voll zulässig, vielleicht sogar unabdingbar. Denn würde ich ihn in einem historischen Mallorca unter den Tisch kehren und stattdessen ethisch-moralisch weniger verwerfliche Liefermethoden, die aber mit der damaligen Wirklichkeit nichts zu tun haben, ins Spiel einbauen, wäre die historische Darstellung ja nicht mehr korrekt.

So würde ich es auch mit Themen wie ‚Cowboy und Indianer‘, ‚Kolonialismus‘, ‚Walfang‘, ‚Kinderarbeit‘, ‚Frauenwahlrecht‘, ‚Nationalsozialismus‘ usw. halten. In den richtigen historischen Kontext gerückt darf all das meiner Meinung nach in Spielen vorkommen. Zumal ein ‚Aus- und Weglassen von Themen‘ durch das damit einhergehende gesellschaftliche Vergessen ja sogar kontraproduktiv sein können.

Insofern wünsche ich mir hier verlagsseitigen Mut, die Themen künftig nicht zu unangreifbar-steril werden zu lassen. Ich bin davon überzeugt, ein sensibles Aufgreifen der ’schwierigen‘ Themen kann selbst im ungünstigsten Fall dabei helfen, die drei großen Fehlleitungen der Menschheit zu überwinden: Rassismus (ich stelle eine Ethnie über die andere), Sexismus (ich stelle ein Geschlecht über das andere), Speziesismus (ich stelle eine Spezies über die andere). Aus meiner Sicht kann ein Brettspiel – so banal es erstinstanzlich erscheinen mag – hier durchaus einen guten Beitrag leisten.“

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