Links-Rechts-Dilemma

Wenn auf einem Partyspiel schon dieser feine, rote Vermerk „18+“ steht, beginnt mein rechtes Augenlid zu zucken. Oder im Sprachgebrauch dieser Spiele: Verschrumpeln augenblicklich meine beiden Ei**. Nach Studium der Spielanleitung und Sichtung der ersten Karten von Links-Rechts-Dilemma von Ken Gruhl und Jermy Foster bin ich mir sicher, dass mich die Nummer hier genauso abholt wie Top Ten 18+, die Hüpfburg für Spätpubertärer.

Es ist sicherlich auch kein gutes Zeichen, wenn man Schwierigkeiten hat, jemand zu finden, der bereit ist, das Spiel hier auszuprobieren. Die, die es schon gespielt haben, verziehen nur das Gesicht. Und gehören auch noch zu den Leuten, die Top Ten 18+ oder die Nicht 100 % jugendfreie Version von Krazy Wordz abgefeiert haben. Der Rest gräbt sich schon beim Blick auf die Rückseite schnell selbst ein.

He, warum hat keiner Spaß, ein Spiel zu spielen, wo man sich entscheiden muss, ob man lieber in einem Iglu oder an einem belebten Strand flachgelegt wird?!

Masturbation? Verstopfung? Hämorridensalbe? Was geht ab?

Schließlich gelang es mir und meiner Engelszunge dann doch noch fünf Leute zu überzeugen, dem Dilemma eine Chance zu geben. Bunt gemischte Truppe aus Heranwachsenden, 30-, 40- und 50-Jährigen. Von allem also etwas dabei. Ab in die kooperative Party-Oase aus dem Haus Cojones im Vertrieb von Asmodee.

Links-Rechts-Dilemma: Runter vom Gipfel …!

Der dreiteilige Spielplan ist flott zusammengepuzzelt, die Wertungsscheiben vorausschauend schon zuvor zusammengeklöppelt. Flugs noch sechs Karten über dem Spielplan zu einer Pyramide ausgelegt und schon darf der erste Spieler vom Gipfel der Pyramide seine Abfahrt zu einem der sechs Häuser auf dem Spielplan beginnen.

Nacktbaden in verzwickten Lebenssituationen

Dabei muss er schon am Gipfel die erste Entscheidung treffen: „Du badest nackt“. Mögliche Optionen: „Im Seniorenheim“ oder „Im Gefängnis“. Äh? Häh? Genau! Nacktbaden ist zumindest in meiner Badewanne normal, aber warum sollte ich dies nun an einem der beiden Orte machen? Egal, eins ausgewählt.

Ab zur nächsten Entscheidung: „Masturbation … dreimal pro Jahr oder dreimal pro Tag“. Ja, das wollte ich schon immer mal Leuten erzählen, mit denen ich mich hin und wieder zum Spielen treffe. Dreimal pro Tag dürfte auf den einen schon krankhaft wirken, drei mal im Jahr etwas verklemmt. Pest oder Cholera.

Augen durch und ab zur nächsten Entscheidung: „Dein Gesichtsausdruck beim Orgasmus … Verstopfung oder Schielen“. Keine Ahnung, ich schaue bei meiner drei Mal am Tag findenden Masturbation in einer Badewanne im hiesigen Gefängnis nicht in den Spiegel. Verstopfung scheint mir aber naheliegend. Eingeloggt.

Innerstes nach außen und die anderen sehen nicht nur zu

Somit lande ich bei Haus 3. Meine Mitspieler, die mich alle bisher (finger crossed) als seriösen Mitspieler kennengelernt haben, wissen nicht wirklich, wie sie mich bezüglich meiner Bade- und Sexgewohnheiten einschätzen sollen, sodass ein bunter Reigen auf den Wertungsscheiben folgt. Anschließend müsste noch gemeinsam diskutiert werden, wer richtig lag, aber wenn Frivolität gefragt ist, schenken wir uns die Spielregeln und machen unser eigenes Ding.

Punkte bei Links-Rechts-Dilemma gibt es auch

Jeder der richtig lag, bekommt einen Punkt und wir schauen am Ende des Spiels, wer hier der dickste Menschenkenner ist und wie wir insgesamt als Gruppe abschneiden. Eine Folgerunde soll zeigen, ob wir uns noch steigern können.

Pubertät und Farbe velierende Tomaten …

Noch ein Beispiel? Ansonsten einfach springen. Here we go. Nächster Spieler. Jüngstes Mitglied im Spielensemble.

Erste Entscheidung: „Die Person zu deiner Linken … Du scheuerst ihr eine oder Du gibst ihr einen Zungenkuss“. Wie kommt man als Heranwachsender sauber aus der Nummer, wenn links eine 30 Jahre ältere Dame sitzt?

Einmal kurz die Tomate gemacht und auf zur nächsten Entscheidung: „Du bist ein Werbegesicht für … eine Hämorridensalbe oder für Windeln für Erwachsene“. Genau das Richtige, wenn man die Pubertät immer noch in den Knochen hat und das Leben schwer auf der Brust liegt. Und irgendwie ist ja beides für den Arsch.

Kurz noch mal die Tomate machen und weiter zur nächsten Entscheidung: „Du wählst … links oder rechts“. Nach all dem Sex-, Nackedei- und Popogeschichten zieht das Spiel auf einmal die schmutzige Politikkarte. Kannst eigentlich nur verlieren. Und so verliert die Tomate auch jede Farbe …

Fremdscham im Ficki-Pipi-Kaka-Land

Links-Rechts-Dilemma konfrontiert einen die meiste Zeit mit kruden Entscheidungen, bei denen man am liebsten ab durch die Mitte fahren würde, sich aber für eine der beiden absurden Optionen entscheiden muss. Dinge, die man anderen eigentlich niemals im Leben über sich erzählen wollte. Oder die man selbst nicht über sich wusste. Daher gibt es reichlich „Häh?“, „Was?!“ und „Äh?“. Gelegentlich verhaltenes Schmunzeln, die meiste Zeit aber Irritation und unfreiwillige Entscheidungen, die die Mitspieler zum sinnfreien Raten verleiten.

Wäre eigentlich gar nicht so übel, wenn …

Dabei ist das Spielprinzip ja nicht verkehrt. Und manche Entscheidungen lassen sich auch gut treffen und sagen etwas über den Charakter aus. Zum Beispiel dann, wenn ich mich entscheiden muss, ob ich bei zwei kämpfenden Menschen einschreite oder lieber den Gaffer mache und mein Smartphone drauf halte. Oder ob ich anhand der Länge meiner Abendessen zeige, welche Bedeutung ich dem Essen zukommen lasse. Oder ob ich am Wochenende lieber sinnloses bei Amazon bestelle oder verborgene Schätze auf dem Flohmarkt suche. Das sind Dinge, die auch andere bei mir einschätzen können.

Aber die meiste Zeit bewegt man sich im Ficki-Pipi-Kaka-Sektor, was zur Fremdscham führt wie bierbäuchige Väter, die promillebeflügelt am Vatertag in der Kneipe die 30 Jahre jüngere Bedienung lallend beflirten.

Alles in allem ist das „Partyspiel“ nicht wirklich so originell und witzig, wie Links-Rechts-Dilemma gerne wäre. Arme Erklärbären, die das auf Spielemessen erklären müssen und diese Frage bekommen. „Du erklärst auf einer Spielemesse … Top Ten 18+ oder Links-Rechts-Dilemma“. Wie auch immer: Das Ding landet wieder auf meinem Pile of Shame. Gespielt.